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Krankenkasse Saugglocken statt Operation

Die AOK Sachsen-Anhalt hat im Fall eines Jungen aus dem Harz die Kosten für die Behandlung der sogenannten Trichterbrust übernommen.

Von Gudrun Oelze 21.10.2019, 08:08

Magdeburg l Der jugendliche Wachstumsschub ließ einen Jungen im Harz nicht nur größer werden, sondern ging bei ihm auch mit Einziehung und Verformung der vorderen Brustwand einher, verbunden mit Schmerzen und psychischer Belastung.

Die Familie suchte ärztlichen Rat. Spezialisten der Magdeburger Universitätsklinik diagnostizierten bei dem Jugendlichen eine Trichterbrust und gingen nach klinischer Untersuchung von einer weiteren Verstärkung des Befundes aus. Um einer Operation vorzubeugen, empfahlen sie die konservative Therapie mit einer Saugglocke, in der sie gute Erfolgsaussichten sehen.

Die AOK lehnte jedoch die Kostenübernahme für dieses Hilfsmittel ab und verwies stattdessen auf „ein muskuläres Kräftigungsprogramm in Eigenregie des Patienten“, da durch eine bessere Körperhaltung „ein optisch günstigeres Erscheinungsbild möglich wäre“. Auf den Widerspruch der Mutter wurde ihr mitgeteilt, dass auch nach erneuter Prüfung der Unterlagen „die sozialmedizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nicht erfüllt“ seien. Das war Ende 2018.

Weil die Familie dem Heranwachsenden aber die empfohlene Therapie doch ermöglichen und einer Verschlimmerung der Trichterbrust vorbeugen wollte, griff Oma tief in die Tasche und bestellte die von den Magdeburger Ärzten empfohlene Saugglocke. „Weil mir die Gesundheit meines Enkels sehr am Herzen liegt“, wie sie dem Leser-Obmann schrieb, und weiter: „Ich finde es toll, wie sich die Krankenkassen um ältere, hilfebedürftige Menschen kümmern. Warum aber nicht auch um einen jungen, heranwachsenden Menschen?“

Im Sommer geliefert, wendet der Enkel die privat finanzierte Saugglocke nun täglich eine Stunde lang an mit dem Ziel, im Laufe der Zeit den Brustkorb allmählich anzuheben.

Diese Methode ist relativ neu, lasen wir im Internet nach, Anwender und Herstellerfirma aber hielten es für möglich, dass die Saugglocke die operative Behandlung für einige Patienten künftig überflüssig machen könne.

Zu dieser Auffassung gelangte man nach Intervention durch den Leser-Obmann nun auch bei der AOK Sachsen-Anhalt. „Gute Nachricht für die Familie“, teilte uns Pressesprecher Sascha Kirmeß mit.

Die Saugglocken-Therapie sei zwar grundsätzlich keine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen, doch habe man in diesem Einzelfall entschieden, die Kosten dafür zu übernehmen. Erklärend verwies der AOK-Sprecher darauf, dass sich der Fall noch im Widerspruchsverfahren befunden hatte und wegen fehlender Unterlagen bislang keine Entscheidung getroffen wurde.

Um eine Lösung zu finden, wurde der Medizinische Dienst der Krankenkassen jetzt nochmals beauftragt, ein Gutachten zu erstellen. „Dieses hat ergeben, dass aus medizinischer Sicht die Saugglocke bei dem Jugendlichen wahrscheinlich mit erkennbar besserem Erfolg eingesetzt werden kann als die verfügbare konservative vertragsärztliche Therapie. Auch sind die zu erwartenden Nebenwirkungen … als gering einzuschätzen, und das Risiko ist wesentlich geringer als bei einer Operation.“ Hinzu komme, dass die Trichterbrust in diesem Fall kein reines kosmetisches Problem darstelle, sondern bereits zu sichtbaren Haltungsschäden geführt habe und der Junge über ständige Brustschmerzen klage.

Sollten also konservative Behandlungsversuche scheitern, wäre eine medizinische Behandlung beziehungsweise Operation zwingend notwendig, so der AOK-Sprecher. Die Saugglocke aber könnte bei konsequenter und erfolgreicher Anwendung dazu beitragen, dass die Operation vermieden werde. „Ob das so sein wird, können wir aufgrund einer fehlenden Nutzenbewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses für die Saugglocken-Therapie nicht einschätzen.

Im Fall des Patienten im Harzkreis spricht aus unserer Sicht vieles dafür, es zu versuchen“, teilte Sascha Kirmes mit und versicherte, dass der Oma der für die Saugglocke verauslagte Betrag erstattet werde.