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Sozialamt Aus dem Heim in die eigene Wohnung

Weil die Bearbeitung ihres Antrags beim Sozialamt nicht vorankam, wandte sich die Familie an den Leser-Obmann.

Von Gudrun Oelze 20.08.2018, 04:00

Magdeburg l Seit einem schweren Unfall vor zehn Jahren ist ein junger Mann behindert und bedarf täglicher Pflege und Assistenz. Nach Abschluss der Reha-Maßnahmen kam der damals Jugendliche in die Kinder- und Jugendeinrichtung „Arche Noah“ in Magdeburg, wo er seither in einer Wohngruppe lebt. Mittlerweile aber ist er aus dieser Einrichtung „herausgewachsen“, da er inzwischen 27 Jahre alt ist.

Die Eltern möchten ihn nicht lebenslang in einer stationären Einrichtung betreut wissen, sondern suchten – und fanden, obwohl der Wohnungsmarkt in diesem Bereich recht leergefegt ist – für ihren Sohn eine Wohnung, die mit dem Rollstuhl nutzbar ist. Bevor aber der Mietvertrag unterzeichnet und eine unterfahrbare Küche bestellt werden konnte, brauchten sie die Zusage über ein persönliches Budget für ihren Sohn, mit dessen Hilfe dann „selbstbestimmt in eigener Verantwortung die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, die häusliche Pflege, die Assistenz und die hauswirtschaftliche Versorgung sichergestellt werden“ kann, wie sie ihren Antrag beim Magdeburger Sozialamt schrieben.

Sie verwiesen dabei auf Artikel 19 der UN-Behindertenrechtskonvention, der das Recht von Menschen mit Behinderungen anerkennt, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben sowie Zugang zu gemeindenahen Unterstützungsdiensten zu Hause zu haben. Das war im Februar 2018.

Doch die Mitarbeiter des Sozialamts hätten sich zu keiner Zeit mit dem trägerübergreifenden Verfahren vertraut gemacht, weder den Hilfebedarf des Sohnes ermittelt noch andere Reha-Träger ins Boot geholt, bedauert die besorgte Mutter. Denn dort glaube man wohl, wer einmal im Heim wohne, könne immer im Heim leben, meint sie. „Das Wunsch- und Wahlrecht behinderter Menschen wurde ebenso nicht berücksichtigt wie der Vorrang ambulanter vor stationärer Leistungen“, schrieb sie dem Leser-Obmann.

Wir haben sie an die Ergänzende Unabhängige Teilhabeberatung „Eine für alle“ (EUTB) verwiesen. Dabei handelt es sich um ein neues, vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gefördertes Beratungsangebot für alle Menschen mit Krankheiten und Behinderungen sowie deren Angehörige.

In Sachsen-Anhalt sind drei EUTB-Beratungsstellen beim Landesverband der Volkssolidarität angesiedelt. Bei den dortigen Fachfrauen und -männern traf die Leserin, die für ihren Sohn um ein trägerübergreifendes persönliches Budget im Arbeitgebermodell kämpft, auf kompetente Gesprächspartner. „Diese wussten gleich, worum es ging, und haben mich bestärkt, weiterhin alle Hebel in Bewegung zu setzen – notfalls mit anwaltlicher Hilfe“, berichtete sie.

Anja Girschik, Projektverantwortliche beim Volkssolidarität-Landesverband, freut sich über das positive Feedback zur Tätigkeit des Berater-Teams. „Themen unserer für Betroffene kostenlosen und von Trägern unabhängigen Beratung sind unter anderem das Antragsprozedere bei Schwerbehinderung und Rehabilitation. Dabei ist den Beratern vor allem das Zuhören wichtig“, sagt sie. Sie können aber auch sachkundig Auskunft geben zu allen Fragen der Rehabilitation- und Teilhabeleistungen, über mögliche Leistungsansprüche nach den Sozialgesetzbüchern, zu Ansprechpartnern sowie zuständigen Reha-Trägern.

Der Leserin aus Magdeburg wurden zum Beispiel Kontaktmöglichkeiten zum Muldentaler Assistenzverein, einer Selbstvertretung von Menschen mit Behinderung, sowie zu einem Küchenstudio, das barrierefreie Möbel fertigt, genannt. „Die Mutter hatte selbst schon viel auf den Weg gebracht und völlig richtig gehandelt, wenn sie ihren Sohn nach den Möglichkeiten des Bundesteilhabegesetzes nicht länger in einem Heim betreut haben möchte, denn ambulant geht vor stationär“, bestätigt auch die Beraterin Cornelia Schotte-Wege.

Und weil sie sich nicht vorstellen könne, dass das Bundesteilhabegesetz und die Sozialgesetzbücher für Behinderte der Stadt Magdeburg nicht gelten sollen, wandte sich die Mutter auch an die Sozialministerin und den Behindertenbeauftragten des Landes Sachsen-Anhalt – bisher allerdings ohne Erfolg.