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Neuderbener bauen für Reedereien und Wasser- und Schifffahrtsämter in vielen Teilen Deutschlands. Von Sigrun Tausche 150 Jahre Schiffswerft Bolle: Vom hölzernen Schleppkahn zu modernen Fahrgastschiffen

20.10.2011, 04:26

In der Neuderbener Schiffswerft Bolle ist nach den Feierlichkeiten zum 150-jährigen Bestehen der Alltag wieder eingekehrt. Alltag, das heißt zur Zeit: Es wird in zwei Schichten gearbeitet. Denn die Auftragsbücher sind voll. Für 50 Mitarbeiter einschließlich fünf Lehrlinge ist schon bis 2013 die Arbeit gesichert.

Neuderben l Mehrere neue Schiffe befinden sich derzeit im Bau auf der Werft Bolle. Reparaturen spielen heute längst nicht mehr die Hauptrolle, wie das früher einmal war. Auch beim Neubau von Schiffen hat sich in 150 Jahren viel geändert. "Schiffbau damals und heute, das ist zweierlei", sagen Lothar Bolle, Inhaber und Geschäftsführer der Werft, und Mario Bolle, einer seiner Söhne.

Der andere, Marcel, machte sich ebenfalls eigenständig und gründete 2006 die Firma "InnoShip", zu der ein Jahr später Gordon Ringwelski stieß. Er ist der Sohn des Technischen Leiters der Werft Bolle, Frank Ringwelski. "Die Firma InnoShip steht für innovatives Design und Kreativität im Schiffbau." So steht es auf der Website im Internet. Tatsächlich haben die beiden in den wenigen Jahren schon viele Schiffsneubauten geplant, wie es sie bisher noch nicht gab, und damit nicht zuletzt der Werft Bolle Aufträge gesichert. Sie arbeiten aber auch für andere Auftraggeber.

Damals vor 150 Jahren hätten die InnoShip-Entwicklungen so futuristisch gewirkt wie heute erdachte Technik in Science-Fiction-Filmen. "Damals wurde viel Holz verwendet", erklären Lothar und Mario Bolle. Anfangs waren die Schiffe ganz aus Holz, später hatten sie nur noch Holzböden. Und an fast luxuriöse Ausflugsschiffe war seinerzeit gar nicht zu denken. In den ersten Jahren der Werft wurden hauptsächlich Schleppkähne gebaut.

Leider gibt es kaum noch Aufzeichnungen darüber, und nur wenige Fotos sind erhalten. "Im Krieg ist viel weggekommen", bedauert Lothar Bolle. Nicht einmal die Familienlinie kann er lückenlos zurück verfolgen. Das Gründungsjahr 1861 sei nur deshalb sicher, weil es überall auf alten Briefköpfen und auf dem Bürohaus stand. Sein Vater, sein Opa und vorher drei Brüder - Ernst, Gustav und Franz Bolle - waren Inhaber der Werft. Nach dem Krieg bis 1972 hieß sie deshalb auch "Gebrüder Bolle". Davor gab es einen Gustav Bolle und irgendwann noch einen Andreas.

Auch, welches das älteste noch vorhandene Schiff, das je hier gebaut wurde, ist, weiß Lothar Bolle nicht. Die "Vulkan" von René Birmuske aus Neuderben sei eines der ältesten, das noch gefahren ist. Etliche Jahre ist die "Vulkan" nun auch schon außer Betrieb. Denn sie war zu klein, um heute, wo die wichtigsten Schifffahrtswege auf Euro-Schiff-Maße ausgebaut werden, noch wirtschaftlich zu sein.

Lothar Bolle kann sich noch erinnern, wie auf der Werft Schiffe mit Holzboden repariert wurden. In den 60er Jahren war das, als er noch Kind war. Gebaut wurden sie damals schon lange nicht mehr. Später wurden sie umgerüstet, erhielten einen Boden aus Eisen.

Fotos gibt es noch von sogenannten "Reparationsschiffen". Die wurden nach dem Krieg hier gebaut: Fischereiboote fürs Schwarze Meer, Teil der Kriegsentschädigungen für die Sowjetunion.

Bis 1972 blieb die Werft Bolle auch zu DDR-Zeiten privat. Dann musste sie zwangsweise an den Staat verkauft werden. Das ging ganz schnell: Innerhalb von zwei Tagen wurde der Betrieb geschätzt, die festgelegte Summe gezahlt, und kurz danach eine Steuerforderung aufgemacht, die den überwiegenden Teil des Verkaufspreises wieder auffraß. Als Lothar Bolle die Werft 1990 zurückkaufte - den Antrag hatte er gleich 1989 gestellt - sei nur der damalige Kaufpreis noch bekannt gewesen. Auf dessen Basis wurde der Rückkauf abgewickelt - zuzüglich der "Sanierungsaufwendungen": Einige Gebäude waren mit Asbestdächern neu gedeckt worden. "Das mussten wir nun auch bezahlen - und ein Jahr später die Entsorgungskosten für den Asbest."

Nur ein Jahr nach der Verstaatlichung hatte die Werft noch als selbständiger "Volkseigener Betrieb" wirtschaften können. Dann wurde sie der Genthiner Werft angegliedert. Lothar Bolles Vater war als Betriebsleiter eingesetzt worden. "Aber er konnte nur Anträge stellen, die meist abgelehnt wurden. Mein Opa hat das gesundheitlich nicht überstanden, er ist verzweifelt."

Zurück bekommen hat Lothar Bolle einen heruntergekommenen Betrieb. "Die ersten zwei Jahre haben wir nur aufgeräumt, abgerissen und versucht, irgendwie über die Runden zu kommen." Ein Glück sei es gewesen, dass sein Vater vorher als Betriebsleiter eingesetzt war und dadurch noch Kundenkontakte bestanden. Trotzdem konnten anfangs nur Reparaturen übernommen werden. Für etwas anderes war die Ausstattung nicht da.

Die ersten Neubauten gab es 1993 wieder. Es waren ganz kleine Fischereiboote für Brandenburg, etwa acht Meter lang. 1994 gab es den ersten Auftrag für ein Wasser- und Schifffahrtsamt (WSA): ein sechs Meter langes Boot für das WSA Tönning. 1995 erhielt die Werft den Zuschlag auf eine Ausschreibung für vier Schuten für das WSA Minden. "Wir lagen weit unter dem Preis. Wir wussten es damals nicht besser", blickt Lothar Bolle zurück. So habe sich die Werft langsam an den Neubau herangetastet.

Das erste Fahrgastschiff war 1999 die "Sunshine", ein offenes Ausflugsschiff für Berlin. "Das war so gut, dass es sich nach einem Jahr für den Reeder schon gerechnet hat." Seine anderen, geschlossenen Ausflugsschiffe habe dieser immer erst voll bekommen, wenn es auf der "Sunshine" keine Plätze mehr gab. Also hat er gleich noch ein zweites Schiff hier bestellt. Da die Unsicherheit wegen des Wetters es aber nicht selten zum täglichen Lotteriespiel werden ließ, ob die Reederei offene oder geschlossene Schiffe einsetzt, reifte die Idee für die "AquaCabrios".

Das erste Schiff dieser Art, die "Adele", ist auf der Werft Bolle neu entwickelt worden. Verschiebbare, durchsichtige Elemente schützen den Fahrgastbereich. Bei schönem Wetter kann dieser so fast ganz geöffnet werden, bei Regen gibt es trotz Dach noch eine gute Rundumsicht.

Bisher sind 14 AquaCabrios hier gebaut worden, das 15. ist in Arbeit und soll Ende Mai wiederum an eine Berliner Reederei geliefert werden. Es ist ein besonders großes, nur zehn Meter kürzer als die "Sanssouci", das Flaggschiff der Weißen Flotte Potsdam, das im vorigen Jahr auf der Werft Bolle fertiggestellt wurde. Die "Sanssouci" war das bisher größte auf der Werft gebaute Schiff, 72 Meter lang, für 600 Passagiere. Sie hat sich bereits bewährt. "Der Reeder ist zufrieden, das Konzept geht auf, sie wird gut angenommen", freut sich Lothar Bolle. Das gleiche gilt auch für die "Belvedere", eines der ersten von "InnoShip" geplanten Fahrgastschiffe mit ganz modernem Design. Sie wurde 2006 ausgeliefert und fährt häufig auf dem Kanal von Potsdam zum Wasserstraßenkreuz Magdeburg.

Neben Fahrgastschiffen sind viele verschiedene Schiffe und Prahme für Wasser- und Schifffahrtsämter gebaut worden. Der neueste Auftrag für das WSA Bremerhaven eröffnet neue Perspektiven für die kleine Binnenwerft: Die "Blexen" ist ein seetaugliches Schiff, geeignet für den Einsatz im Küstenbereich der Nordsee. Sie ist kurz vor der Fertigstellung.

Um solche Aufträge zu realisieren, braucht eine Werft heute gute Partner. "Früher wurde ein Schiff fast komplett allein gebaut, heute werden in hohem Maße Subunternehmer eingespannt", erklärt Lothar Bolle.

Die Schiffswert Bolle allein besteht heute schon aus vier eigenständigen Unternehmen, wozu neben der Werft noch InnoShip, die Bautischlerei und der Schiffsservice gehören. Die Bautischlerei wurde 1993, der Schiffsservice 1995 und Innoship 2006 ausgegliedert. Alle befinden sich nach wie vor auf demselben Standort, sind aber in der Lage, selbständig am Markt aufzutreten. Insgesamt gehören heute 50 Mitarbeiter zu diesen vier Firmen. 1990 waren es 14, darunter Lothar Bolle und sein Vater.

Baulich hat sich mittlerweile viel verändert auf dem Werftgelände. Nur das alte Bürogebäude und die ehemalige Schmiede - heute Lagerraum - stehen noch. Alles andere ist neu. Früher hat es kaum Schiffbauhallen gegeben - heute verfügt die Werft über drei. Die mittlere Halle ist die älteste, Halle 1 wurde dort gebaut, wo früher ein Schuppen stand, der als Materiallager diente, und Halle 3 kam im März 2009 dazu, um die "Sanssouci" zu bauen. Sie ist mit 50 Meter Länge die größte Halle. Auch die Tischlerei ist neu, und 2009 wurde der neue Komplex mit Büros, Aufenthaltsräumen und Sanitär fertig.

"Hingucker" auf dem Kanal vor der Werft ist zur Zeit die im Bau befindliche, neue Lühe-Schulau-Fähre. In Gelb und Blau, wie die alte, aber in ganz neuem Design präsentiert sich das fast fertige Schiff. Die neue Fähre wird die alte ablösen, die Grünendeich in Niedersachsen mit Wedel in Schleswig-Holstein verbindet - unmittelbar hinter Hamburg über die Elbe, die hier kurz vor der Nordsee schon ein wenig Hochseecharakter hat. Wie die "Blexen" für das WSA Bremerhaven soll sie noch dieses Jahr ausgeliefert werden. Fast fertig ist der Rohbau der Wellnessyacht für Plau am See, die beim Auftraggeber fertig gebaut werden soll, und bis April 2012 soll ein Spreeschiff fertig werden, ein weitere AquaCabrio ist in Planung - beide für eine Berliner Reederei.

An ihre Grenzen kommt die Schiffswerft Bolle durch ihre Lage am Pareyer Verbindungskanal zwischen der alten Pareyer Schleuse und der niedrigen Neuderbener Straßenbrücke. Für die Auslieferung der "Sanssouci" musste der Wasserstand im Kanal bereits abgesenkt werden, damit das Schiff die Neuderbener und später auch eine Genthiner (inzwischen erneuerte) Brücke passieren konnte.

Ein ähnliches Problem gibt es beim Seeschiff "Blexen" und der Lühe-Schulau-Fähre. "Durch den Kanal kommen wir damit gar nicht. Deshalb wurde mit dem WSA vereinbart, dass wir auf eigene Kosten die Fahrradbrücke vor der Pareyer Schleuse demontieren, um mit den Schiffen durchzukommen, und danach wieder zusammenbauen", erklärt Lothar Bolle. Vergangenen Dienstag ist das bereits erfolgt. Bis Anfang November wird nun die "Blexen" auf der Elbe gründlich getestet, bevor sie ausgeliefert werden kann. Das verlangt der Auftraggeber - schließlich muss das Schiff künftig im Küstenbereich noch weitaus schwierigeren Bedingungen trotzen.

Wegen der unterschiedlichen Auslieferungstermine muss für die Lühe-Schulau-Fähre die Brücke später noch einmal ab- und wieder aufgebaut werden - ein riesiger Aufwand, der sich dennoch lohnt. Vor 150 Jahren wäre das nicht vorstellbar gewesen.