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Sprachcafé „Keiner zieht ohne Not von Zuhause los“

Im Soziokulturellen Zentrum in Burg bringen Ehrenamtliche den Flüchtlingen Deutsch bei.

Von Franziska Ellrich 30.11.2015, 10:00

Burg l Voller Stolz präsentiert Abubakar am Freitagmorgen seine „Hausaufgaben“. Eine gesamte A4-Seite hat der 22-Jährige aus Mali voll geschrieben - mit deutschen Vokabeln von A bis Z. Die Sprachcafé-Helfer Eva-Maria Halm-Kulke und Manfred Krause loben die jungen Männer. Einer nach dem anderen holt seinen ausgefüllten Zettel aus der Tasche und legt ihn vor sich auf den Tisch im Werkraum des Soziokulturellen Zentrums (SKZ).

„Wir legen gleich mit den Zahlen los“, kündigt Manfred Krause an. „1,2,3,4,5,6,7,8,9,10“, rattert Adel herunter. Der Syrer ist erst seit wenigen Wochen in Deutschland. Die Zahlen klappen schon super. Auch bei Adam. Dem 23-Jährigen rutscht hin und wieder eine „twenty-eight“ oder „twenty-nine“ raus. „Das ist richtig auf englisch“, sagt der ehrenamtliche Lehrer mit einem Schmunzeln. Und schreibt die deutsche Übersetzung an die Tafel.

Dann kommt der Körper. Der Deutschlehrer zeigt auf Hals, Kopf, Knie und Kinn - die richtigen Wörter kommen in Windeseile. Jetzt die Uhrzeit. „Viertel vor, zehn Minuten nach“, klappt alles einwandfrei. Die jungen Männer lernen offensichtlich schnell.

Helfer Manfred Krause ist schon seit zwei Jahren dabei. Mit sehr viel Elan und Humor. Davon profitieren alle im Raum. Warum er sich im Sprachcafé einsetzt? „Weil ich mich einbringen will“, sagt Manfred Krause. Und schiebt sofort hinterher: „Und weil wir Schuld sind - mit jeder Lieferung Waffen, die da runter geht.“

Auch Eva-Maria Halm-Kulke ist schon eine ganze Weile dabei und hat bereits enge Kontakte zu den Sprachcafé-Gästen geknüpft. Mal wird gemeinsam syrisch und mal albanisch gekocht. Am Freitag ist die studierte Künstlerin gespannt auf die Wörter, die ihre Deutschschüler in die A bis Z-Liste eingetragen haben. Adel beginnt: Apfel, Arm, ankommen. Die Vokabeln je nach Anfangsbuchstabe aufzuschreiben, soll den Asylsuchenden helfen, die Worte einzuprägen. Abubakar ist dran: B wie in Boot, Banane und Ball. Jedes Wort wird noch mal besprochen, alle machen sich Notizen. Das Blatt vor Adam bleibt leer. Der 23-Jährige erklärt, dass er nur ein wenig schreiben kann. Er lernt es gerade. Und bis dahin helfen die Ehrenamtlichen und die anderen Mitschülern dem Flüchtling aus Niger bei den Notizen.

Beim Buchstaben ‚Y‘ wird es für alle schwer. Doch Eva-Maria Halm-Kulke fällt ‚Yoga‘ ein. Und damit auch jeder weiß, was das ist, wird mal eben die Yoga-Übung ‚Baum‘ mit vollem Körpereinsatz demonstriert. Die jungen Männer applaudieren lachend und nutzen die Chance für einen Schnappschuss. Dann folgen die Umlaute. Beim Buchstaben ‚Ä‘ fällt dem 19-Jährigen Amin sofort Äthiopien ein. Helferin Eva-Maria Halm-Kulke hat einen Weltatlas dabei und sucht gemeinsam mit den Schülern nach dem Land. Plötzlich taucht die Frage nach den verschiedenen Heimatländern der Asylsuchenden auf.

Abukabar zeigt sofort auf Niger. Und beschreibt seine tausende Kilometer lange Flucht bis nach Deutschland. Zwölf Tage lang ist der heute 19-Jährige durch Wüste und Urwald gelaufen. Danach ging es mit einem völlig überladenem Boot über das Mittelmeer bis an die türkische Landesgrenze. „Das hat länger als 24 Stunden gedauert“, beschreibt Abukabar in einem ruhigen Ton. Alle hören aufmerksam zu.

In der Türkei hat er ein Boot nach Griechenland bestiegen, weiter zu Fuß bis nach Ungarn und dann in einem Bus nach Deutschland. Seit sieben Monaten lebt Abukabar jetzt in der Burger Gemeinschaftsunterkunft. Er will in Deutschland bleiben - und Bauingenieur werden. Seinen Schulabschluss hat er bereits in diesem Fachgebiet gemacht, aber die deutschen Behörden erkennen sein digitales Zertifikat nicht an, es müsse im Original vorliegen.

Eva-Maria Halm-Kulke will sich noch mal umhören, wie das Problem mit der Anerkennung der ausländischen Zertifikate zu lösen ist. Plötzlich traut sich einer der Runde zu fragen, ob Abukabar noch Verwandte in Niger hat. Seine Antwort: „Mein Papa, meine Mama sind tot, ich habe auch keine Brüder mehr, niemand würde einfach so von Zuhause weglaufen, nur mit einem kleinen Rucksack, wenn es dort nicht wirklich furchtbar wäre.“ Jemand, der nie in einem Land, wo Krieg und Armut an der Tagesordnung sind, vor Ort war, könne sich das nicht vorstellen. Abukabar: „Als ich hier in Deutschland angekommen bin, war das wie eine andere Welt - alles so friedlich und leicht.“