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Arbeitsmarkt Teilzeit, Minijob - wer will das noch?

Zu viele Minijobs und Teilzeit kritisiert die Gewerkschaft IG BAU in Burg. Aber trifft die düstere Beschreibung tatsächlich zu?

Von Falk Heidel 28.07.2017, 01:01

Genthin/Burg l Immer mehr unsichere Jobs: Gut 10.000 Menschen im Jerichower Land arbeiten in Teilzeit, Leiharbeit oder haben einen Minijob als alleiniges Einkommen. Damit ist der Anteil der so genannten atypischen Beschäftigung an allen Arbeitsverhältnissen im vergangenen Jahr auf einen Rekordwert von 35 Prozent gestiegen.

Das kritisiert die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU). Die Gewerkschaft beruft sich auf eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, die die Entwicklung am Arbeitsmarkt im Jerichower Land seit dem Jahr 2008 untersucht hat. Damals lag die Quote atypischer Jobs noch bei 28 Prozent.

IG-BAU-Bezirkschefin Elke Bobles spricht von einem Alarmsignal an die Politik: „Es kann nicht sein, dass wir einerseits einen wirtschaftlichen Aufschwung erleben, aber andererseits so viele Menschen in prekären Verhältnissen arbeiten.“

Hier sei „grundsätzlich etwas in Schieflage geraten“. Der unbefristete Vollzeit-Job müsse dringend wieder zum Normalfall werden, fordert die Gewerkschaft. Nach Angaben der Böckler-Stiftung hat im Jerichower Land besonders die Teilzeit-Beschäftigung drastisch zugenommen: Arbeiteten 2008 noch 4500 Erwerbstätige in Teilzeit, waren es 2016 bereits 7100 – ein Anstieg von 58 Prozent. „Gerade für Frauen ist es nach einer Familienpause enorm schwer, wieder voll in den Beruf einzusteigen. Gegen die Teilzeit-Falle brauchen wir endlich ein verbrieftes Rückkehrrecht in Vollzeit“, sagt Gewerkschafterin Bobles. Ein entsprechender Gesetzentwurf der großen Koalition war in diesem Frühjahr am Widerstand der Union gescheitert.

Auch bei Minijobs gibt es der Studie zufolge keine Entwarnung: Rund 3000 Menschen waren im Landkreis 2016 ausschließlich geringfügig beschäftigt. In der Gebäudereinigung machten Minijobs mittlerweile die Hälfte aller Arbeitsplätze aus, erklärt Elke Bobles. Auch hier seien es insbesondere Frauen, die nach einem Jobverlust oder einer Trennung oft schnell in Hartz IV abrutschten.

Klaus Günther Zehm aus Burg gehört zu den Arbeitgebern in der Gebäudereinigungs-Branche. Er sagt: „Man muss sich schon die Frage stellen, warum viele Menschen Teilzeit arbeiten wollen.“ Und er nennt zwei Beispiele aus seiner Erfahrung: „Viele Frauen wollen mehr Zeit für die Familie oder Frührentner möchten sich etwas dazuverdienen. Es liegt nicht am Arbeitgeber, wenn sich die Menschen Teilzeit wünschen.“

Klaus Günther Zehm zufolge streben die meisten Arbeitgeber Vollzeitbeschäftigungen für ihre Mitarbeiter an, weil sie dann oft zuverlässiger sind und sich in der Regel viel mehr mit dem Unternehmen identifizieren: „Es gibt kaum noch 450-Euro-Kräfte, weil diese Arbeitsverhältnisse für beide Seiten durch die hohen Abgaben nicht mehr lukrativ sind.“ Zehm sitzt in der Tarifkommission des Bundesverbandes seines Gebäudereinigerhandwerks. Zur Volksstimme sagte er: „Seit der Einführung des Mindestlohns hat sich in der Branche viel getan.“ Der gesetzliche Mindestlohn liegt für eine ungelernte Kraft bei 8,84 Euro. Der zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaft ausgehandelte Mindestlohn liegt höher, nämlich bei 9,05 Euro im Osten. Eine Fachkraft bekommt stündlich mindestens 11,53 Euro.

Dennoch: Mit Blick auf die Bundestagswahl im September fordert die IG BAU von den Parteien klare Konzepte „gegen die Unwucht am Arbeitsmarkt“. Dazu müsse die Abschaffung der Befristungen ohne sachlichen Grund genauso gehören wie die Einbeziehung von Minijobs in die Sozialversicherung. „Dabei sind auch die Arbeitgeber in der Pflicht. Statt aufs Billig-Prinzip sollten Chefs auf Kontinuität setzen“, sagt Gewerkschafterin Bobles. Wer heute vollwertige Stellen schaffe, brauche sich nicht um fehlende Fachkräfte sorgen.

Kreishandwerkerschafts-Geschäftsführerin Diane Sommer widerspricht der Gewerkschaft für den Bereich des Handwerks: „Ich kenne keinen Handwerksbetrieb, der mit Leiharbeitern seine Aufträge abarbeitet.“ Und: „Innerhalb unserer Innungen ist jeder Meister bestrebt, sich eine Vollzeit-Stammbelegschaft aufzubauen. Da zählen Werte wie Verlässlichkeit und ein harmonisches Miteinander. Dies lässt sich nur in festen Strukturen erreichen, die über Jahre gewachsen sind.“

Im Gespräch mit der Volksstimme erzählt Diane Sommer von Beispielen, wie Handwerksmeister ihre Mitarbeiter tagsüber mit Kaffee und anderen Getränken versorgen: „Wenn das Arbeitsklima stimmt, gibt es auch entsprechende Ergebnisse.“ Zudem achten wir darauf, dass unsere Innungsbetriebe nach Tarif entlohnen.“