Autobiografie der langjährigen Schulleiterin der Pestalozzi-Schule ist jetzt erschienen Das bewegte Leben der 2012 verstorbenen Pädagogin Ruth Kirsch
Burg l Nun sind die ersten Exemplare in Burg angekommen und werden bereits mit großem Interesse gelesen: Es geht um die Autobiografie einer Burgerin. Ruth Kirsch war im Februar 2012 verstorben. Kurz zuvor hatte sie ihrem Sohn das Manuskript zu ihrem Buch übergeben. Frank-Michael Kirsch, der an der Universität in Stockholm lehrt, hat das 170 Seiten umfassende Buch "Schulhof. Aus meinem Leben" herausgegeben und das Leben und Wirken seiner Mutter in liebenswürdiger Weise gewürdigt.
Wer war Ruth Kirsch? Nur noch wenige Burger werden sie unter ihrem Mädchennamen Ruth Tennstädt gekannt haben. Im kommenden Jahr wäre sie 90 Jahre alt geworden. Sie war die Tochter von "Else" und Walter Tennstädt. Ihr Vater war von Beruf Buchdrucker, Gewerkschafter, Sozialdemokrat und Betriebsrat bei der Druckerei Hopfer in Burg. Ein aufrechter Mann, der wegen seines Engagements und seiner Bildung von seinen Kollegen geschätzt wurde.
Ruth Kirsch schildert in ihrem Buch eindrucksvoll ihre Kindheit und welchen Einfluss das Wirken besonders ihres Vaters für ihre persönliche Entwicklung hatte, aber auch, wie das Leben der Leute in der damaligen Zeit in Burg war, worüber sie sich freuten und was sie bewegte.
Dabei ist Ruth Kirschs Buch keine Chronik der Ereignisse - einige geschichtliche Zäsuren, die von Historikern auf gar keinen Fall ausgelassen würden, werden von ihr mit keiner Silbe erwähnt - doch dabei ist das Buch auch nicht unpolitisch. Durchgängig berichtet sie darüber, wie sie zu ihrer Überzeugung stand und diese auch in schwierigen Zeiten lebte. So erzählt sie die Geschichten, wie nach der Machtergreifung der Faschisten im Jahr 1933 ihr Vater und sein Freund sozialdemokratische Dokumente in einem Versteck deponierten und wie es ihr später gelang, ihren Vater aus der Nazi-Haft zu befreien.
Das Theaterspielen und Sprachen interessierten sie brennend. So war es nach dem Krieg, als Lehrer gesucht wurden, naheliegend, dass man auf ihre Begabungen aufmerksam wurde. Doch nicht ohne Anfeindungen gelang ihr der Einstieg ins Lehrerleben.
Besonders bemerkenswert ist an dem Buch, dass Ruth Kirsch es versteht, die zwischenmenschlichen Grauzonen, die trotz ideologischer Schwarzweißmalereien, wie sie in Zeiten scharfer politischer Gegensätze vorkommen, so auszuleuchten, wie man sich heute die Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte wünschte.
Was Ruth Kirsch aufschrieb, ist konkret. So auch der erste Schultag im Oktober 1945. Am Ende des Tages fragten die Schülerinnen, ob sie morgen wiederkommen dürften. Bewegende Momente im Leben einer Pädagogin, die sie mit Leib und Seele wurde, die promovierte und als Schulleiterin und Volkskammerabgeordnete im Bildungsausschuss Verantwortung übernahm. Interessant sind die Schilderungen über die Gründung des Schullandheims, geradezu amüsant die Geschichte von Kritik und Selbstkritik im Lehrerkollegium.
Aufschlussreich ist, dass sich die DDR-Diplomatie ihrer bedienen wollte, um die Kontakte nach Belgien auszubauen, weil sie als ursprünglich sozialdemokratisches SED-Mitglied dazu geeignet erschien.
Dass einige Intrigen gesponnen wurden, dass es Klatsch und Tratsch gab, sollte den Leser nicht wundern. So sind ja auch andere fähige Geister dem Burger "kleinstädtischen Mief" gewichen. Ruth Kirsch ließ sich nicht beirren und blieb ihrer Heimatstadt treu, so lange es ihr möglich war. Die letzten Lebensjahre verbrachte sie in der ostfriesischen Heimat ihres Mannes Otto und widmete sich ihrer Familie und ihrem Buch. das sie als Gegnerin der neuen deutschen Orthografie konsequent klassisch schrieb.
Das Titelfoto stammt übrigens von dem Burger Fotografen Ernst Jäger, es wird mit der freundlichen Genehmigung seines Sohnes, Professor Gottfried Jäger, verwandt, der das Archiv seines Vaters verwaltet. Eine offizielle Buchpräsentation soll am 19. September um 18.00 Uhr in der Volkshochschule erfolgen. Schön, dass der Herausgeber sich die Zeit für Burg nimmt. (ISBN 978-91-637-2802-0)