Thomas Geve malte als Kind Bilder über das Leben und Sterben in Auschwitz und Buchenwald Die Idee: Für den Vater einen Reiseführer über die Konzentrationslager gemalt
Thomas Geve war 13, als er ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert wurde. Er überlebte und hielt das Grauen in kindlichen Zeichnungen fest. Als 83-Jähriger ist er nun einer der letzten Zeitzeugen, die noch Auskunft geben können. So auch am Montag in Wendgräben.
Wendgräben l Nein, die 79 Bilder sind keine Kunstwerke. Es sind Kinderbilder. Aber sie zeigen Dinge, die kein Kind jemals erleben sollte. Sie zeigen das Leben und das Sterben in den Konzentrationslagern Auschwitz-Birkenau und Buchenwald. Mit Buntstiften und Wasserfarben auf die Rückseite von Formularen der KZ-Verwaltung hat Thomas Geve als Kind jüdischer Abstammung die Bilder vor fast 70 Jahren gemalt, die meisten sind nicht größer als neun mal 15 Zentimeter.
Die Zeichnungen entstanden, nachdem die amerikanischen Truppen am 11. April 1945 das KZ Buchenwald befreit hatten. Der zu diesem Zeitpunkt 15-jährige Junge konnte gesundheitsbedingt das Lager nicht gleich verlassen, blieb also und malte. In zwei Monaten entstand auf diese Weise eine Dokumentation des Grauens, die inzwischen als Wanderausstellung weltweit zu sehen ist. Gestern wurde sie in der Lutherstadt Eisleben eröffnet.
Bereits am Montag zuvor war der inzwischen betagte Zeichner von Damals auf Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung in Schloss Wendgräben zu Gast. "Ich halte keine Vorträge. Sie können mich fragen und ich antworte", erklärt Thomas Geve den Zuhörern in der Politischen Bildungsstätte.
Lange Jahre zuvor hat Geve nicht antworten wollen. Schon gar nicht den Deutschen. Er zog erst nach England, dann, in den 50er-Jahren nach Israel. Dort lebt er seitdem in Haifa. Erst seit dem Jahr 2000 besucht er auch in Deutschland wieder Schulen, berichtet und beantwortet der Jugend von Heute ihre Fragen zu dem Alltag in den Konzentrationslagern. Er zeigt ihnen die Bilder, die Titel tragen wie etwa "Aussuchen zum Tod - Auschwitz Bad".
Inzwischen sind auch die Gedenkstätten auf seine Zeichnungen aufmerksam geworden. Geve fertigte ganze Lagerpläne an. "Ich bin damals alles abgeschritten, die Pläne sind bis zu 70 Prozent genau", sagt Geve.
Die Originalbilder übergab er im Jahr 1985 der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem. Inzwischen sind die Zeichnungen auch in der Gedenkstätte Buchenwald dauerhaft zu sehen.
22 Monate in Konzentrationslagern gelebt
"Ich habe die Bilder damals gezeichnet, um meinem Vater einen Touristenführer zu den KZs zu erstellen", erklärt Geve heute sein damaliges Handeln. Der Vater lebte zu dieser Zeit in England. Er war 1939 vor dem Nazi-Regime geflüchtet. Plan war, dass Thomas und seine Mutter aus Berlin nachkommen. Doch daraus wurde nichts mehr. Nachdem die jüdische Schule, die er besuchte, 1942 geschlossen worden war, musste der Zwölfjährige auf dem Friedhof in Berlin-Weißensee Zwangsarbeit ableisten. "Täglich bis zu drei Gräber habe ich ausgehoben". Seine Arbeit rettete ihn vor einer ersten Deportation, er wurde gebraucht. Die anderen Juden waren schon alle deportiert worden.
Doch im Juni 1943 wurde dann auch der junge Thomas gemeinsam mit seiner Mutter nach Auschwitz deportiert und nach der Ankunft von seiner Mutter getrennt.
Thomas Geve stufte man, weil er älter aussieht, als arbeitsfähig ein. Insgesamt 22 Monate lebt der Junge in den Konzentrationslagern Auschwitz-Birkenau, Groß-Rosen und Buchenwald. Seine Mutter, die er im Lager nur einmal noch sieht, überlebt das Lager nicht.
Die Bilder der Ausstellung, die vor fünf Jahren auch schon in Schloss Wendgräben zu sehen waren, sind in ihrer Schlichtheit genau so beeindruckend, wie die Erzählungen des heute 83-Jährigen. "Es gab für das Essen nur Schüsseln. Gabeln, Löffel, Messer gab es nicht. Bloß das Leben". Dann berichtet Geve von den regelmäßigen "Selektionen" im Lager: "Wer krank wirkte oder schwach, der wurde erschossen".
Geve hat alles in seinen Bildern festgehalten: auch die Hierarchien im Lager, bei den Aufsehern und auch unter den Häftlingen.
Auf seinen kindlichen Zeichnungen sind in Druckbuchstaben oft Erklärungen zu lesen, Pfeile weisen auf das, was Geve damals wichtig war. Zu einem Bild, welches die Rampe im KZ Auschwitz zeigt, erläutert er den Zuhörern: "Hier an dem Waggon streichelt eine Mutter noch einmal ihrem kleinen Kind über den Kopf." Seine Ausstellung und das themenbegleitende Buch trägt den Titel "Hier gibt es keine Kinder".
"Kinder wurden gleich umgebracht", erzählt Geve. Er wirkt dabei emotionslos, distanziert, wie die ganze Zeit, in der er über das Unfassbare von damals spricht. Man muss wohl auf Distanz gehen, wenn man solche Erinnerungen sein Leben lang mit sich herum tragen muss. Auch der Name, den Geve trägt, wenn er in Deutschland ist, ist nur ein Pseudonym, erfährt man im Klappentext seiner Bücher, die Geve inzwischen geschrieben hat.
So lange es sein Arzt ihm erlaubt, wird er auch weiterhin nach Deutschland kommen, sich hier Thomas Geve nennen, und Fragen beantworten, wenn er gefragt wird. Neue Bilder wird es nicht geben. Thomas Geve hat seitdem nie wieder gezeichnet.