ADFC-Kreisvorsitzender Sven Wagener spricht sich gegen Pläne des Verkehrsministers aus "Helmpflicht lässt das Radfahren gefährlicher aussehen, als es ist"
Volksstimme-Volontär Christopher Kissmann hat mit Sven Wagener über die Helmpflicht für Radfahrer, Sicherheit im Straßenverkehr und den Radwegeausbau im Landkreis gesprochen. Der ADFC lehnt die Einführung einer Helmpflicht ab.
Volksstimme: Laut dem Statistischen Bundesamt gab es im Jahr 2010 65647 Unfälle mit Personenschaden, an denen Radfahrer beteiligt waren, 381 Radler kamen dabei ums Leben. Was denken Sie über das Vorhaben von Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU), für Radfahrer eine allgemeine Helmpflicht einzuführen?
Sven Wagener: Zuerst gilt: Jeder Verkehrstote auf den Straßen ist einer zu viel. Es ist gut, dass Herr Raumsauer sich um die Sicherheit der Radfahrer sorgt. Die Todesursachen bei Radfahrern können aber ganz unterschiedliche Gründe haben. Das Kernproblem des Radfahrens ist nicht das Fehlen von Helmen. Bei rund drei Vierteln aller Fahrradunfälle war im Jahr 2010 ein Auto beteiligt. Deshalb fordern wir bessere, breitere Radwege, generell Tempo 30 im innerstädtischen Bereich und verpflichtende Einführung technischer Sicherheitsmaßnahmen wie Außenairbags bei Kraftfahrzeugen. Überall dort, wo das Radfahren boomt, herrscht keine Helmpflicht. Wir als ADFC lehnen eine allgemeine Helmpflicht ab und setzen auf die Freiwilligkeit des Helmtragens der Radfahrer.
Volksstimme: Warum? Für die Fahrradfahrer würde das doch auf jeden Fall einen größeren Schutz bedeuten.
Wagener: Deshalb ermutigen wir zum Tragen eines Helms. Eine Helmpflicht aber wäre kontraproduktiv. Es gibt einen unerwünschten Begleiteffekt: Solch eine Verordnung lässt Menschen das Fahrrad meiden. Wenn aber weniger Menschen auf dem Rad sitzen, sondern lieber mit dem Auto unterwegs sind, hat das fatale Folgen. Jede Pflicht sollte durchsetzbar und kontrollierbar sein. Diese könnte bereits an der Kontrolle scheitern.
Volksstimme: Solche Effekte gab es 1991 in Australien, als das Helmtragen gesetzlich vorgeschrieben worden ist.
Wagener: Genau. Ähnliche Tendenzen wären bei uns auch zu erwarten. Eine Studie in Sydney hat kürzlich ergeben, dass das Ende der Helmpflicht den Radverkehrsanteil in Sydney auf einen Schlag mehr als verdoppeln könnte. Die Studie bestätigt den Effekt, dass eine Helmpflicht Menschen davon abhält, das Fahrrad zu benutzen. Wenn aber die Radnutzung sinkt, dann sinken auch die positiven gesundheitlichen Effekte des Radfahrens für die Gesellschaft. Wer täglich radelt, stärkt Herz und Kreislauf und bleibt länger fit. Hinzu kommt die psychologische Wirkung: Sie lässt Radfahren gefährlicher aussehen, als es tatsächlich ist.
Volksstimme: Wie sieht es mit einer Helmpflicht für Kinder aus?
Wagener: Fahrradhelme für Kinder empfehlen wir grundsätzlich. Kinder haben nicht die Sitzhöhe der Erwachsenen, können Situationen nicht so gut vorausschauend einschätzen und werden auch von den anderen Verkehrsteilnehmern schlechter gesehen. Die motorischen Fähigkeiten sind meist noch in der Entwicklung. Aufgrund ihrer teilweise fehlenden Erfahrung im Straßenverkehr ist ein Helm sinnvoll. Da sind übrigens auch die Eltern gefordert: Helme werden durch Kinder eher akzeptiert, wenn die Eltern mit gutem Beispiel vorangehen.
Volksstimme: Welche alternativen Konzepte gibt es zur Helmpflicht, um die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen?
Wagener: Die Radfahrer müssen grundsätzlich wieder mehr in das Blickfeld aller Verkehrsteilnehmer gerückt werden. Die strikte Trennung von Autostraßen und Radwegen ist nicht die Lösung aller Probleme, im Gegenteil: Treffen diese aufeinander, zum Beispiel wenn sich Radweg und Straße kreuzen, wird es oft problematisch und unübersichtlich. Der größte Schutz für die Radfahrer und der größte Beitrag zur Förderung des Radverkehrs ist eine radfreundliche Verkehrsplanung.
"Gute Verkehrsbedingungen entsprechen einer besseren Lebensqualität."
Volksstimme: Wie kann das gelöst werden?
Wagener: In dem beispielsweise auf den Straßen sogenannte Radfahrstreifen (rechts auf der Fahrbahn eingezogene Linie, Anm. d. Red.) eingerichtet werden. Wenn Radfahrer neben den Autos auf der Straße fahren und diese permanent im Blickfeld der anderen Verkehrsteilnehmern sind, wird die Verkehrssicherheit erhöht - man kann sich aufeinander einstellen und Rücksicht nehmen. Man könnte dies ja mal bei uns im Landkreis umsetzen, beispielsweise könnte ich mir das gut in der Bahnhofstraße oder der Holzstraße in Burg vorstellen. Auch in Genthin und Möckern sowie in Gommern sind die Straßen dafür sicher breit genug.
Volksstimme: Eine solche Maßnahme oder der Ausbau von Radwegen im Landkreis kosten Geld. Wo sehen Sie dringendsten Handlungsbedarf?
Wagener: Grundsätzlich immer dort, wo der tägliche Kraftfahrzeugverkehr auf den kurzen Strecken von Alltagsradverkehr ersetzt werden kann. Für den Alltagsradverkehr gute Bedingungen zu schaffen, bringt vielen Menschen mehr Lebensqualität: weniger Verkehrslärm, bessere Luft, mehr Platz. Wenn also Schüler aus Parchen mit dem Fahrrad nach Genthin zur Schule fahren wollen oder jemand aus Reesen nach Burg, würde der Radwegebau an der B1 Sinn machen. Auch die Fortsetzung von begonnenen Radverkehrsvorhaben ist dringlich, zum Beispiel die Fertigstellung des Radweges zwischen Burg und Parchau.
Volksstimme: Ist das an einer Bundesstraße nicht ganz schön gefährlich?
Wagener: Ja, schon allein deshalb, weil die Geschwindigkeit auf einer Bundesstraße höher ist als in der Stadt. Die rechtlichen Regelungen für einen Radverkehrstreifen außerhalb von Ortschaften in Deutschland sind noch nicht vorbereitet. In der Schweiz heißt dieses Projekt "Kernfahrbahn", dort werden seit Jahren außerorts Radfahrstreifen gebaut und auch genutzt. Wenn man die Bundesstraßen ein bisschen verbreitern würde - warum soll das nicht auch bei uns funktionieren? Man müsste das genau prüfen, damit kein Geld verschleudert wird. Aber der Verordnungsgeber der Straßenverkehrsordnung kann mal darüber nachdenken.
Volksstimme: Viele Radfahrer verzichten auch im Winter nur ungern auf ihr Fahrrad. Jetzt wird es zwar wieder wärmer, aber vielleicht kommt der Winter im März noch einmal zurück: Worauf sollten Radler besonders achten?
Wagener: Das A und O sind helle Bekleidung, bestenfalls mit reflektierenden Elementen, und eine funktionierende Beleuchtung - übrigens nicht nur im Winter, sondern auch im Herbst und Frühjahr. Ansonsten in Kurven und auf Eis oder festem Schnee nicht zu schnell fahren und ausreichend Sicherheitsabstand halten. Und wenn die Radwege mal nicht geräumt sind, sollte man lieber die Straße benutzen. Wer dann auch noch vorsichtig und vorausschauend fährt, ist auf einem guten Weg.