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Nachsorge wird im Landkreis zunehmend als wichtiges Thema anerkannt Schreckliche Bilder im Einsatz: Seelsorger helfen Kameraden bei der Aufarbeitung

02.06.2012, 03:18

Die Einsatzkräfte der Feuerwehren sind bei Unfällen und Katastrophen meistens die Ersten am Einsatzort. Dort sind sie oft mit schrecklichen Ereignissen konfrontiert. Die Verarbeitung ist nicht immer einfach - Seelsorger helfen ihnen dabei.

Burg/Genthin/Möser l Vor zwei Wochen war es für Jana Lindow wieder soweit: Ihr Handy klingelte, die Feuerwehrfrau wurde zu einem Einsatz gerufen. Doch die 34-Jährige wurde nicht wegen der Aufräumarbeiten alarmiert, die durch den Unfall zwischen Körbelitz und Möser erledigt werden mussten. Sie kam, um mit einer Feuerwehreinsatzkraft über das Erlebte zu reden und somit seelsorgerliche Hilfe zu leisten.

"Manchmal kommt es vor, dass Kameraden im Einsatz Hilfe brauchen. Das Erlebte zu verarbeiten, ist nicht immer einfach", sagt Jana Lindow, die sich im Jerichower Land seit sechs Jahren um die Einsatznachsorge bei Feuerwehrkräften kümmert. Nur selten wird die 34-Jährige wie vor zwei Wochen von einem Wehrleiter oder der Einsatzleitstelle direkt zum Einsatzort gerufen. "Wenn die Kameraden ihre Arbeit machen, halte ich mich raus. Es sei denn, jemand sagt von sich aus, dass er Hilfe benötigt", erklärt sie und ergänzt: "In der Regel werden die Geschehnisse von den Wehrleitern nach dem Einsatz im Feuerwehrgerätehaus aufgearbeitet. Manchmal unterstütze ich sie dabei - je nach Bedarf. Doch wenn es akut ist, beginnt die Aufarbeitung auch schon im Einsatz."

Führungskräfte sind in der Einsatznachsorge gefordert

Vor zehn Jahren waren die Wehren im Landkreis der Thematik gegenüber noch nicht so aufgeschlossen. "Das hat sich erst entwickelt. Besonders die älteren Kameraden haben den Sinn der seelsorgerlichen Hilfe anfangs in Frage gestellt", erklärt Jana Lindow. Doch inzwischen ist diese durchweg anerkannt. Jüngere wie ältere Einsatzkräfte melden sich nach herausfordernden Einsätzen bei ihr. Dann führt sie vor allem Gespräche. "Oft dauert es ein paar Tage, bis ich kontaktiert werde", erklärt die 34-Jährige. Erst wenn die Kameraden Symptome wie Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten oder auch innere Abwesenheit und Weinkrämpfe an sich feststellen würden, suchen die meisten den Weg zu ihr. "Ich habe zwar eine Ausbildung gemacht. Doch wenn sich die Ereignisse als traumatisch herausstellen, empfehle ich den Betroffenen, einen Arzt aufzusuchen - ich bin kein Fachmann", sagt Jana Lindow.

Die Einschätzung des seelischen Zustandes ihrer Kameraden ist unter anderem die Aufgabe der Wehrleiter. Dirk Jeitner, Gemeindewehrleiter in Möser, war einer der ersten am Einsatzort beim schweren Verkehrsunfall vor zwei Wochen. "Wenn man mit solchen Bildern konfrontiert ist, läuft ein Automatismus ab. Vorbereiten kann man sicher aber nicht darauf", sagt er und findet: "Deshalb ist die Einsatznachsorge sehr wichtig, wir Führungskräfte müssen unsere Leute im Blick haben." Das hat er bei dem schockierenden Einsatz vor zwei Wochen unter Beweis gestellt, als er Jana Lindow zum Unfallort rief, weil eine Einsatzkraft sofort Hilfe benötigte. Übereinander schlecht geredet wird unter den Feuerwehrleuten darüber nicht, versichert der Gemeindewehrleiter. "Wenn das passieren würde, müsste ich einen ernsten Ton anschlagen. So etwas darf es bei der Feuerwehr nicht geben, es darf nicht gelästert werden."

Adrenalin schützt im Einsatz, Aufarbeitung trotzdem wichtig

Dass das auch in den anderen Wehren so gehandhabt wird, bestätigt Kreisbrandmeister Walter Metscher. "Die psycho-soziale Nachsorge wird im Landkreis ernstgenommen. Denn dadurch wird man nach einem Einsatz wieder frei im Kopf", sagt er. Auch im Einsatz werde Rücksicht genommen: Jüngere Kollegen würden zu ihrem eigenen Schutz beispielsweise bei der Bergung von Leichen eher rausgehalten, sagt Metscher und ergänzt: "Das hohe Adrenalin schützt die Kameraden im Einsatz, doch um die Bilder zu verarbeiten, bedarf es einiger Gespräche im Anschluss." Etwa jeder dritte Einsatz, schätzt er, bedarf einer intensiveren Nachsorge. Im vorigen Jahr fuhren die Wehren im Kreis 1086 Einsätze.

Besonders die Führungskräfte der Wehren nimmt Walter Metscher dabei in die Pflicht. "Schulungen gibt es für sie am Institut für Brand- und Katastrophenschutz in Heyrothsberge", sagt er und verweist darauf, dass unter anderem Jana Lindow dort lehrt. "Mit ihr haben wir eine hervorragende Kraft in unserem Landkreis."

Das Engagement von Jana Lindow freut auch Thea Ilse, die Landesbeauftragte für Notfallseelsorge. Sie will eine verlässliche Struktur in Sachsen-Anhalt aufbauen, damit Notfallseelsorger noch öfter angefordert werden. "Die Unterstützung der Feuerwehrkräfte ist sehr wichtig, gerade auch, weil sie alle Ehrenamtliche sind", sagt sie. Das sei etwas anderes als bei Rettungssanitätern und Polizeibeamten, für die die Hilfe schon sehr professionell organisiert ist. "Ich würde mir wünschen, dass die Wehren unsere Angebote noch intensiver nutzen", sagt sie und verweist auch auf das Angebot um das Notfallseelsorgeteam um Pfarrer Peter Eichfeld im Landkreis. Diese unterstützen die Wehren bereits punktuell in der Einsatznachsorge. "Sie können jedoch ruhig noch stärker eingebunden werden", sagt Thea Ilse, die jedoch auch bestätigt, dass in den vergangenen Jahren viel auf dem Gebiet passiert ist.

Unter den Feuerwehrkameraden ist Jana Lindow eine Einzelkämpferin im Landkreis. Manchmal wird sie aber auch über die Kreisgrenzen hinaus angefordert. So half sie beispielsweise den Einsatzkräften, die beim Unglück in Hordorf, als im Januar 2011 zwei Zügen zusammenstießen, vor Ort waren. "Das war hart", sagt die 34-Jährige, die für sich nicht ausschließt, in schweren Angelegenheiten selbst Hilfe in Anspruch zu nehmen. "So wie ich jederzeit erreichbar bin, sind das auch Andere. Es tut gut, das zu wissen."