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Welt-Alzheimertag Wenn das Leben plötzlich anders ist

Wie der Alltag mit der tückischen Krankheit aussieht, erklären Burger Pfleger auf Gut Lüben und Chefarzt Dr. Sven Kolfenbach.

Von Aline Wobker 21.09.2019, 01:01

Burg l Plötzlich steht morgens der Toaster im Bad, der Wasserkocher im Wohnzimmer und ein Mensch hilflos in seiner Wohnung, die plötzlich fremd wirkt. Alzheimer ist eine Krankheit, die viele Seiten hat. Verwirrtheit und Unruhe in der Nacht, Wut und Zorn über das Vergessen und Angst und Hilflosigkeit über das Fortschreiten der Krankheit.

Menschen, die an Alzheimer erkrankt sind, sind plötzlich nicht mehr sie selbst. Erkennen sich selbst und ihre Angehörigen nicht mehr. Und auch die Angehörigen erkennen oft den geliebten Menschen nicht mehr wieder, der noch vor Kurzem in der Lage war, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Wenn ein Mensch an Alzheimer erkrankt ist, beginnt eine schwere Zeit. Eine Zeit des langsamen Verlusts eines geliebten Menschen, der immer mehr und unaufhaltsam zu entgleiten scheint. Die Pflege eines Angehörigen, der an Alzheimer erkrankt ist, geht an die Substanz. „Nicht selten zerbricht eine Familie nahezu daran“, erzählt Kerstin Schumacher, Pflegerin im Käthe-Kollwitz-Haus in Burg.

Das Käthe-Kollwitz-Haus ist eine spezialisierte Pflegeeinrichtung für Menschen, die an einer Form von Demenz, wie zum Beispiel Alzheimer, leiden. Doch wann ist der Zeitpunkt für professionelle Hilfe?

„Wenn der Mensch den Herd anmacht, sich umdreht und vergessen hat, dass der Herd an ist. Dann ist es oft an der Zeit“, erzählt Mark Döderlein-Lessmann. An der Zeit für Angehörige von an Alzheimer erkrankten Menschen, darüber nachzudenken, wie es mit ihren Vätern, Müttern oder Ehepartnern weitergehen soll.

„Wenn eine unbeabsichtigte Gefahr für sich selbst oder andere entsteht, ist es meist Zeit für professionelle Hilfe“, so Döderlein-Lessmann, Praxisanleiter im Käthe-Kollwitz-Haus. Für die Angehörigen, die ihr Familienmitglied in die Obhut der Pflegeeinrichtung geben, sei es ein schwieriger Schritt, sagt Döderlein-Lessmann.

Ein schwieriger Schritt, dem meist eine lange Zeit der Pflege zu Hause vorherging. Eine Zeit, die Familien auf die Probe stellt. Kinder müssen plötzlich ihre Eltern pflegen und sind in einer neuen Rolle. Der Partner, mit dem so viel geteilt wurde, erkennt seinen Lebensgefährten nicht mehr wieder.

„Für die meisten Angehörigen ist es am schwersten mit anzusehen, wie sich die Persönlichkeit des geliebten Menschen verändert. Es ist eine ganz andere Art von Verlust“, erzählt Schumacher aus ihrer Erfahrung.

„Zu lernen weiter zu leben, auch wenn es schwer fällt“, das sei der Rat, den sie Angehörigen mit auf den Weg geben will. Besonders gerührt habe sie ein Ehepaar, welches sich nach vielen Jahren Ehe räumlich trennen musste. „Der Mann kam zu uns, da seine Frau ihn Zuhause nicht mehr pflegen konnte. Irgendwann erkannte er seine Frau zwar nicht mehr, aber jedes Mal, wenn das Paar hier zusammen war, spürte man die Liebe der beiden.“

Denn obwohl die Erkrankten irgendwann nicht mehr wissen, wer sie oder die eigenen Kinder sind, so spüren sie doch, wenn ihnen mit Freundlichkeit und Respekt begegnet wird. „Es ist wichtig, dass immer unser Gegenüber im Mittelpunkt steht. Der Mensch, in seiner ganz eigenen Individualität. Wir sprechen daher auch mit den Familien über die Biografie des Patienten“, erzählt Schumacher. Am Anfang sei es besonders wichtig, zu schauen, wobei sich der Mensch wohl fühlt. Wie viel Nähe jemand möchte und welche Distanz er braucht, erklärt Schumacher.

„Wir sind hier bemüht, ein familiäres Umfeld zu schaffen und natürlich trotzdem eine professionelle Nähe und Distanz zu den Bewohnern zu wahren“, erzählt Döderlein-Lessemann, der selbst etliche Jahre im Käthe-Kollwitz-Haus gearbeitet hat.

Für ihn sei die Arbeit mit Demenzkranken schwer und emotional, aber auch eine Arbeit, auf die er sehr stolz sei, erzählt Döderlein-Lessmann. „Wir versuchen, für die Menschen hier ein Fels zu sein. Ihnen Sicherheit zu geben“, erzählt Döderlein-Lessmann. Und auch als Pflegekraft brauche es einen sicheren Rückzugsort, erzählt Schumacher: „Wenn ich nach der Arbeit heimkomme, dann brauche ich auch einen Hafen. Einen Moment der Ruhe, um nach der Arbeit runter zu kommen.“

Sicherheit für die Patienten, die Angehörigen und auch für die Pfleger sei ein wichtiger Punkt bei der Arbeit in der Einrichtung, da durch die Erkrankung manche Patienten mit Aggressivität reagieren können. Dies sei aber vor allem ein Ausdruck der Hilflosigkeit durch die schleichende Erkrankung, sagt Kerstin Schumacher.

„Unser Ziel ist es, dass es den Menschen hier so gut wie möglich geht. Den Patienten und auch den Angehörigen. Die Angehörigen sollen hier raus gehen und denken: Alles ist gut“, sagt Schumacher.

1906 beschrieb Alois Alzheimer zum ersten Mal die krankheitstypischen Veränderungen im Gehirn einer Patientin. Nach ihm wurde die bekannte Krankheit benannt, an der immer mehr Menschen leiden. Demenz, zu der auch Alzheimer gehört, ist der Oberbegriff für viele Krankheitsbilder, die den zunehmenden Verlust kognitiver, emotionaler und sozialer Fähigkeiten gemein haben.

Was viele Menschen nicht wissen ist, das bereits viele Jahre vor den ersten offensichtlichen Ausfallerscheinungen Veränderungen im Gehirn feststellbar sind. Und auch einige Kleinigkeiten in Tests auffallen, dazu gehören zum Beispiel Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis und Schwierigkeiten mit der Aufnahme von neuen Informationen. Für Angehörige am erkennbarsten ist wohl aber die Veränderung der Persönlichkeit durch die Erkrankung.

Was Erkrankten helfen kann, erklärt Dr. Sven Kolfenbach, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und der Geriatrischen Tagesklinik in der Helios Klinik Jerichower Land. Klare und sich wiederholende Strukturen seien für den Tagesablauf besonders wichtig. Jede Veränderung bedeutet für Patienten Stress – sie können sich nur schwer oder gar nicht an neue Umstände anpassen, erklärt Dr. Sven Kolfenbach. „Vor allem feste Zeiten für das Aufstehen, Essen oder für gemeinsame Aktivitäten helfen Betroffenen, sich täglich zu orientieren“, teilt Dr. Kolfenbach mit.

Für Demenzkranke sei es oft schwierig, Tag und Nacht zu unterscheiden. Schlafstörungen sind die Folge. „Bieten Sie den Betroffenen genügend Aktivität am Tag an. Das kann den Tag-Nacht-Rhythmus verbessern“, erklärt der Chefarzt.

Demenz- und Alzheimerpatienten benötigen oft mehr Zeit, auf äußere Einflüsse oder direkte Ansprachen zu reagieren. „Angehörige sollten den Betroffenen daher Zeit geben und Anweisungen in einfachen, kurzen Sätzen formulieren. Zeit bedeutet dabei eher Minuten als Sekunden. Ist man der Meinung, dass der Betroffene die Information nicht oder nicht richtig aufgenommen hat, sollte man sie noch einmal wiederholen. Halten Sie in Gesprächen Blickkontakt“, erklärt Dr. Kolfenbach.

Auch Diskussionen mit Alzheimerpatienten sollten vermieden werden – dafür sei oft viel Verständnis notwendig. „Versuchen Sie einem Menschen mit Demenz nicht alles abzunehmen. Lassen Sie ihn Dinge alleine machen, wie sich anziehen. Das kann helfen, vorhandene Fähigkeiten zu erhalten“, so Dr. Kolfenbach.

Ein weiterer Rat von Dr. Kolfenbach ist: „ Angehörige sollten sich regelmäßig Informationen über die Erkrankung einholen. Das bedeutet nicht nur, sich mit den behandelnden Medizinern, sondern auch mit Angehörigen anderer Betroffener auszutauschen. Ein offener Umgang mit der Erkrankung kann mehr Verständnis schaffen.“ Die intensive Betreuung von Alzheimerpatienten beanspruche auch Körper und Seele der Angehörigen, erklärt Dr. Kolfenbach. „Viele vergessen dann, dass sie sich auch Zeit für sich nehmen müssen. Der geistige Ausgleich ist besonders wichtig, um die seelische Gesundheit aufrecht zu erhalten“, gibt der Chefarzt als letzten Tipp mit auf den Weg.