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Großstadtserie Mit dem Tischlerhandwerk aufgewachsen

Wir leben die Menschen in Deutschlands flächenmäßig drittgrößter Stadt? Die Volksstimme hat in Berge Handwerkerluft geschnuppert.

Von Donald Lyko 12.11.2015, 02:00

Berge l Handwerk hat goldenen Boden – so sagt man ja bekanntlich. Aber stimmt das heute noch immer? „Das Gold ist nicht mehr so fest und nicht mehr so sicher“, umschreibt es Tischlermeister Helmut Erxleben in seiner Antwort. Und er weiß, wovon er spricht. Denn er wuchs in einer Berger Handwerkerfamilie auf, schon als Kind lernte er so das Tischlergewerk kennen. „Ich bin da reingewachsen“, sagt der 66-Jährige. Dass er die Firma, die sein Großvater Paul Erxleben als Stellmacher 1896 gegründet, bis in die 1950er Jahre betrieben und dann an seinen Sohn Richard übergeben hatte, eines Tages übernehmen würde, „das war eigentlich keine Frage, das war damals eben so“.

Ein großes Opfer musste Helmut Erxleben aber nicht bringen, „denn die Arbeit mit Holz hat mir schon immer sehr viel Spaß gemacht“. Darum hat er den Beruf des Möbeltischlers gelernt, war in zwei, drei weiteren Betrieben tätig, „um etwas anderes kennenzulernen“, bevor er im Jahr 1977 in den Familienbetrieb zurückkehrte. Seit 1981 hat er den Meisterbrief.

Das Handwerk, das lag und liegt Helmut Erxleben immer am Herzen. Er war viele Jahre Innungsobermeister der Tischler, jetzt ist er deren Ehrenobermeister. Er ist heute noch Mitglied im Vorstand der Handwerkskammer Magdeburg und gehörte 15 Jahre lang der Prüfungskommission für den Berufsnachwuchs an. In den fast vier Jahrzehnten, in denen er die Verantwortung in der Firma trägt, hat der heute 66-Jährige zwei Meister und 38 Lehrlinge ausgebildet. „Allein acht Lehrlinge kamen aus Berge, das ist für ein Dorf wie unseres schon eine ordentliche Zahl“, sagt Helmut Erxleben nicht ohne stolz. Die anderen Auszubildenden kamen aus Gardelegen, Schwiesau, dem Kalbenser Raum – also aus der Umgebung.

Derzeit erlernt Lucas Richter aus Bismark im zweiten Lehrjahr das Tischlerhandwerk in der Berger Firma, an der ihm „das Familiäre“ sehr gut gefalle. Schon als Jugendlicher hat er daheim gern mit Holz gearbeitet. Bei einem Berufsvorbereitungsjahr in Stendal machte er sich mit den Arbeiten vertraut und bewarb sich dann erfolgreich in Berge. Nicht nur zu seiner Freude, auch der Chef ist froh, einen interessierten Lehrling in seiner Mannschaft zu haben. „Es gibt für uns Handwerker doch kaum noch Nachwuchs.“ Eine Ursache dafür sieht er in mangelnder Vorbereitung während der Schulzeit. Erxleben: „Heute fehlt so etwas wie der polytechnische Unterricht.“

Zur Tischlerei gehören aktuell sieben Mitarbeiter und ein Lehrling. Rechte Hand des Firmeninhabers ist Mario Brune, der am 11. November mit seinen Kollegen auf seine 30-jährige Betriebszugehörigkeit anstoßen konnte. „Er ist bei uns die treibende Kraft“, beschreibt Helmut Erxleben seinen Stellvertreter. Auch der ist noch immer begeistert vom Tischlerhandwerk. „Die Arbeit mit Holz macht den besonderen Reiz aus“, sagt der 51-jährige Mario Brune.

Und aus Holz wird vieles hergestellt in dem Betrieb: Türen und Fenster, Parkettböden, Einbauschränke. „Fast alles, was man aus Holz machen kann“, erklärt Helmut Erxleben. Einige Sachen werden fertig gekauft, vieles aber wird in der Werkstatt in Berge noch per Hand angefertigt – für Kunden in der Altmark, in Haldensleben und auch in Magdeburg, wo zum Beispiel ein Architektenhaus eine interessante Holzverkleidung für den Eingangs- und Garagentorbereich bekommen hat. Auf die Berger Tischlerei waren die Magdeburger über Bekannte gekommen, die Jahre zuvor schon zufriedene Kunden waren. „Handwerksfirmen wie wir leben von ihrem guten Ruf, und Mundpropaganda ist die beste Werbung“, weiß der Tischlermeister.

Nach der Wende musste sich der Betrieb in Sachen Angebots­palette breit aufstellen, in den letzten DDR-Jahren sah das anders aus. „Da haben wir fast nur Tische in allen Varianten produziert, meist mit gedrechselten Beinen“, erinnert sich Mario Brune. Damals musste Material auf Vorrat gekauft werden, wenn es Holz gab. Diese „Vorratswirtschaft“ ist Geschichte, heute wird nach Auftrag bestellt. Aufträge kommen von Privatpersonen ebenso wie von Großvermietern. Ganz ohne Auftrag, sondern als Teil der dörflichen Gemeinschaft, engagieren sich Helmut Erxleben und seine Mitarbeiter auch außerhalb ihrer eigentlichen Arbeit. So sind die Kindergarten-Kinder gern gesehene Gäste, wenn sie sich die Werkstatt anschauen möchten oder zugeschnittenes Holz für eine Weihnachtsbastelei benötigen. Und wenn Mario Brune, viele Jahre lang Berges Wehrleiter und noch heute aktives Mitglied, zum Einsatz gerufen wird, gewährt ihm das der Chef selbstverständlich.

Ans Aufhören denkt Helmut Erxleben derzeit nicht. „Noch bin ich fit, und das hier muss ja alles erhalten werden.“ Das Leben vergleicht der Handwerksmeister gern mit einem Drei-Gänge-Menü. „Vorspeise und Hauptgericht habe ich schon hinter mir, jetzt bin ich beim Dessert angelangt.“ An Ruhestand denkt er dennoch nicht. „Ich brauche das“, sagt er und zeigt in die Werkstatt. Beruflich gar nichts mehr zu machen oder den ganzen Tag mit dem Fahrrad umherzufahren, „dass könnte ich nicht“. Sicher, seine Mittagsruhe gönnt sich der 66-Jährige, „denn ich stehe jeden Tag früh auf“. Und dass soll, so wünscht es sich Helmut Erxleben, noch möglichst lange so bleiben. Auch, um Zeit zu haben, einen möglichen Nachfolger für die Firma zu finden.

 

PS-stark wird es im 23. und damit vorletzten Teil unserer Volksstimme-Serie, die am Sonnabend, 16. Januar, erscheint. Lesen Sie dann, wie arbeitsreich das Leben von Pferdezüchtern ist. Die Volksstimme besuchte den Ausbildungsstall Am Weinberg von Dietmar und Cerstin Mewes in Ackendorf.