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Großstadt-Serie Notaufnahme: Lebensretter im Minutentakt

Wie leben, arbeiten, vergnügen sich die Menschen in der Großstadt Gardelegen? Heute geht es ins örtliche Krankenhaus.

Von Gesine Biermann 25.12.2015, 02:00

Gardelegen l Dienstagnachmittag, 14 Uhr, in der Notaufnahme des Gardeleger Altmark-Klinikums. Ganz so voll ist es heute nicht. Hausarztpraxen haben in der Regel dienstags auch am Nachmittag geöffnet. Das ist deutlich zu spüren. Dennoch sitzen einige Patienten im Warteraum, eine alte Dame im Rollstuhl hat eine gepackte Tasche neben sich. Offenbar rechnet sie damit, dass sie bleiben muss. Eine Schwester schiebt sie nun aber erst einmal in einen der Behandlungsräume, wo sich Assistenzärztin Alina Serban um sie kümmert.

Die junge Rumänin spricht hervorragend Deutsch. Ihre Frage „Wo tut es weh“ muss sie trotzdem mehrfach wiederholen, jedes Mal ein wenig lauter, denn die Patientin hört schwer. Sie sei gestürzt, erzählt sie. Ihr Bein tut weh. Ob es wohl gebrochen sei? Alina Serban erklärt ihr geduldig, dass sie ihr das noch nicht sagen kann, sie nun zunächst zum Röntgen gebracht wird. Auch das muss sie allerdings mehrfach wiederholen, obwohl sie nun schon sehr laut spricht, denn die alte Dame ist schon weit über 90 Jahre alt, und außerdem ist sie sehr aufgeregt. Verständlich.

Für das Personal in der Station ist das Alltag. Beruhigend streichelt die Assistenzärztin der Frau über den Arm und gibt gleichzeitig Anweisungen an die Schwestern weiter. Ein Krankenpflegeschüler bringt die Frau schließlich ins Kellergeschoss zum Röntgen.

Was genau passiert mit den Patienten in der Notaufnahme, das sei natürlich von Fall zu Fall unterschiedlich, erklärt Alina Serban. Manchmal seien viele Untersuchungen notwendig, zuweilen nur ein Verband. In anderen Fällen müsse vielleicht eine kleine Operation gemacht werden, die sofort ausgeführt werden kann. Dafür stehen zwei OP-Räume zur Verfügung. Auch eine Ultraschalluntersuchung kann dank eines mobilen Gerätes direkt auf der Notfallaufnahmestation erfolgen. Aufnahmen im Computer- und Magnetresonanztomograph sind wie das Röntgen im Haus möglich. Alle Laborwerte sind innerhalb von 15 bis 20 Minuten da. Hier muss es schnell gehen, das ist allen klar.

„Wenn ein Patient instabil ist, geht ein Notruf raus. Dann kommen alle diensthabenden Ärzte angelaufen, ob Chirurg, Anästhesist, Internist, Gynäkologe oder Pädiater“, sagt Alina Serban. Im Notfall müsse eben auch mal ein Kinderarzt eine Reanimation übernehmen, wenn die anderen Kollegen zum Beispiel im Operationssaal sind und nicht sofort kommen können. Zeit ist ein wichtiger Faktor. Manchmal geht es um Sekunden in der Notfallaufnahme.

Nicht nur ein paar Sekunden, sondern sogar ein paar Minuten kann an diesem Dienstagnachmittag schließlich Oberarzt Dr. Tom Frischalowski für ein kurzes Gespräch erübrigen. Seit knapp einem Jahr ist der Chirurg für die Notfallaufnahme im Gardeleger Altmark-Klinikum zuständig, die an 365 Tagen 24 Stunden geöffnet ist. „Und in der Regel ist auch immer ein Arzt hier“, versichert er. Selbst in den Nachtstunden.

In wohl kaum einer anderen Station müssen die Mediziner so vielseitig sein. „Wir machen hier alles, internistisch und chirurgisch“, sagt Frischalowski, „also vom Zeckenbiss bis zum schweren Verkehrsunfall.“ In einem solchen Fall steht der Schockraum bereit. Und was dort dann abläuft, ist oder sollte in jedem Krankenhaus auf der Welt gleich sein, findet der Mediziner. In Gardelegen jedenfalls hält man sich an das Standardverfahren ATLS (Advanced Trauma Life Support, übersetzt: erweiterte erste Hilfe bei Verletzungen – siehe Infokasten). Dann routieren hier Mediziner und Pflegekräfte, tun ihr Menschenmöglichstes, um Leben zu retten. Darauf kann sich jeder Patient verlassen.

Zum Glück sind die meisten Fälle aber wesentlich ungefährlicher. Wer im Wartezimmer der Notaufnahme sitzt, hatte vielleicht einen Unfall im Haushalt, ist gestürzt, hat sich geschnitten oder aber wurde von plötzlichen Schmerzen überrascht. In einem solchen Fall könnte es sich allerdings um eine lebensbedrohliche Situation handeln. Eine Vorauswahl über die Dringlichkeit einer Behandlung treffen deshalb zumeist schon die Schwestern im Empfangsbereich. Das müsse niemandem Angst machen, „sie alle haben schließlich auch eine medizinische Ausbildung“, versichert Stationsschwester Karin Wischeropp.

Zuweilen komme es dann auch mal vor, dass Patienten nicht der Reihenfolge nach behandelt werden können. „Bei einem bedrohlichen Asthmaanfall wartet natürlich der Patient mit dem Zeckenbiss“, sagt Frischalowski klar und deutlich. Dafür müssten Patienten schon Verständnis haben. Eigentlich. Denn dass das zunehmend fehlt, macht Ärzten und Pflegekräften ihren anstrengenden Dienst nicht gerade leichter. „Das Anspruchsdenken nimmt leider zu“, formuliert es Frischalowski vorsichtig. Wenn es nicht schnell genug gehe, die Behandlung nicht so ausfalle, wie der Patient hofft, werde schon mal mit den Medien gedroht. Karin Wischeropp wird noch deutlicher: „Diese allgemeine Unzufriedenheit ist in den vergangenen Jahren immer größer geworden.“ Ein Beispiel erzählt sie aus dem Stegreif: Da sei ein schwer Verletzter eingeliefert worden, die Ärzte routieren, „die Rettungssanitäter stehen sogar noch hier, jeder sieht, dass es ernst ist“, da komme ein Patient, der wegen anhaltender Gelenkschmerzen da ist, aus dem Wartebereich in den Gang und frage: „Dauert es noch lange, wann bin ich denn endlich dran? Ein Notfall? Bin ich etwa kein Notfall?“ Nein, sagt die Stationsschwester. In dem Fall nicht. Schade, dass man das dann manchem auch noch erklären müsse.

Dass zunehmend Patienten in die Notfallaufnahme kommen, die sich eigentlich schon längst ihrem Haus- oder einem Facharzt hätten vorstellen können, ist ebenfalls ein Problem in den Notaufnahmen von Krankenhäusern, nicht nur in Gardelegen. Ein typischer Fall fällt Dr. Frischalowski ein: „Ein Patient hat seit vier Wochen Rückenschmerzen und kommt damit nachts um drei zu uns.“

Natürlich werde er dennoch behandelt, versichert der Oberarzt. Wer mit solchen Beschwerden allerdings tagsüber eintrifft, wird auch schon mal zum niedergelassenen Orthopäden im benachbarten MVZ geschickt. So richtig voll wird es in der Station übrigens meist nachts an Feiertagen. Dann häufen sich Verletzungsfälle wie Kopfplatzwunden nach Schlägereien oder Stürzen. Dazu kommen noch jene Patienten, die von Polizisten begleitet werden. Denn auch die Blutabnahme nach einer Trunkenheits- oder Drogenfahrt fällt in den Aufgabenbereich der Notaufnahme.

Deutlich zugenommen haben in der jüngsten Zeit Fälle von Drogenmissbrauch. „Meist sind es Mischintoxikationen“, also die Einnahme mehrerer Rauschmittel gleichzeitig, sagt Frischalowski. Dann sind Patienten zuweilen unberechenbar. Auch damit müssen alle Mitarbeiter umgehen. Aber auch diesen Patienten wird natürlich geholfen.

Bleiben eigentlich in dieser Fülle einige Fälle mehr in Erinnerung als andere? Tom Frischalowski fällt ein Patient ein, der sich beim Angeln selbst einen Angelhaken in den Kopf versenkte. Assistenzarzt Sasho Mukoski erinnert sich gut an ein etwa dreijähriges Kind, das von einem Rottweiler ins Gesicht gebissen wurde. „Die Mutter kam danach sogar her und hat sich bedankt“, sagt der junge Arzt. Auch das kommt vor, wenn auch nicht oft, so Mukoski lächelnd.

Er stammt übrigens aus Mazedonien. Ausländische Mitarbeiter sind in allen Krankenhäusern mittlerweile Normalität. Auch das Gardeleger Klinikum ist multinational. Und momentan sei das sogar ein echter Vorteil, macht der Oberarzt klar. Denn die Kollegen würden bei der Behandlung ausländischer Patienten oft als Übersetzer dazu geholt.

Das kann Anästhesist Yusuf Koudsi, der eben vorbeikommt, spontan bestätigen. Er ist Syrer und hat bei der Behandlung seiner Landsleute oft mehr beruhigen können, als eine Spritze oder Tabletten. „Die Leute sind sehr erleichtert, wenn ich mit ihnen rede“, sagt er lächelnd. Dann muss er weiter. Die Arbeit ruft.

Und auch im Behandlungsraum eins geht es weiter. Die alte Dame ist wieder zurück vom Röntgen. Während Sasho Mukoski und seine Kollegin Alina Serban das Röntgenbild auswerten, hält ihr Jannek Müller, Krankenpflegeschüler im zweiten Ausbildungsjahr, die Hand. Eine rührende Geste in all diesem Trubel. Immer wieder sieht man sie übrigens, diese kleinen Zeichen, dass auch die Mitarbeiter in einer Notaufnahmestation mit den Patienten fühlen.

Und für eine Patientin haben die beiden Assistenzärzte, die selbst einmal Unfallchirurgen sein werden, sogar eine richtig gute Nachricht. Denn die alte Dame hat sich zum Glück nichts gebrochen, nur geprellt, und darf – in Begleitung einer Verwandten und mit einem Rezept für Schmerzmittel – wieder nach Hause.

Per Fax geht heute noch ein Brief an ihre Hausärztin, in dem die Mediziner genau dokumentieren werden, was sie diagnostiziert und verordnet haben. Auch das gehört zum Alltag auf der Gardeleger Notaufnahmestation.

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