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Neue Erkenntnisse Die Deponie ist „so nicht akzeptabel“

Die Bürgerinitiative (BI) „Saubere Umwelt und Energie Altmark“ hat zur Bohrschlammdeponie in Brüchau neue Erkenntnisse gesammelt.

Von Conny Kaiser 21.04.2016, 01:00

Kakerbeck/Brüchau l Wer zu spät kommt, hat Pech. Im Dorfgemeinschaftshaus Kakerbeck ist kein Platz mehr frei. Mehr als 100 interessierte Bürger sitzen hier am Dienstagabend dicht an dicht, um zu erfahren, was die BI „Saubere Umwelt und Energie Altmark“ bei ihren intensiven Recherchen zum Thema Bohrschlammdeponie Brüchau herausgefunden hat.

„Von einer Deponie kann eigentlich gar keine Rede sein. Es ist eine Giftmüll-Grube. Und seit 1997 ist sie illegal.“ Zu dieser Ansicht ist BI-Mitglied Bernd Ebeling gelangt. Er ist Ingenieur für Wasserwirtschaft und verweist auf die seit 21 Jahren geltende Grundwasserverordnung, die aussagt, dass für die Einleitung von Quecksilber, Cadmium und Cyanid ins Grundwasser keine Erlaubnis erteilt werden darf. Doch genau diese Einleitung erfolge durch Sickerwasser aus der Grube. Dies lasse sich anhand von Beprobungen nachweisen.

Ähnliches äußert sich auch Uwe Baumbach, der einst für die Betreiberfirma der Brüchauer Bohrschlammdeponie, die heutige Engie (ehemals GDF Suez E&P Deutschland), als Gutachter tätig war. Zu DDR-Zeiten sei dort unter anderem Salzsäure verklappt worden. „Die frisst den Mergel“, der die Sicherheitsbarriere darstellen solle, „auf wie einen Käse. Es ist höchste Eisenbahn, dass dort etwas passiert“, sagt der Fachmann.

Die Bohrschlammdeponie, wegen ihrer Quecksilberbelastung auch Silbersee genannt, soll endgültig geschlossen werden. 1972 wurde sie erstmals genutzt, wobei auch verschiedene Industrieabfälle eingelagert wurden. Bis 2012 habe die Firma GDF Suez E&P Deutschland dort noch bergbauliche Abfälle – 152 000 Kubikmeter Fest- und 28 600 Kubikmeter Flüssigstoffe – entsorgt, „wobei wir nicht wissen, wie sie eingelagert worden sind“, sagt Bernd Ebeling. „Denn dies wurde bergbauaufsichtlich nicht richtig wahrgenommen.“ Bergbauliche Praxis wäre es eigentlich gewesen, die Entsorgung über ein geschlossenes System zu regeln, damit keine Gase ausweichen können. In Brüchau habe ein solches System offenbar nicht existiert. Dadurch sei nun bei ansteigender Wassertemperatur mit Ausdünstungen zu rechnen. „Das ist ja Körperverletzung“: Diesen Ausruf von Bürgerin Maike Dietrich kann Ebeling nur unterstützen.

Zuvor hat BI-Mitstreiter Christfried Lenz bereits aufgezeigt, wie sich die Firma Engie laut der, von einem bestellten Ingenieurbüro erarbeiteten, Vorzugsvariante die endgültige Schließung des Silbersees vorstellt. Demnach solle der Deponiekörper mit Vlies, Ton, Kunststoffbahn, Kies- und Erdaufschichtungen abgeschlossen werden. Die Nachsorge sehe so aus, dass das Areal dann mit Rasen bepflanzt und zweimal jährlich gemäht werde.

In den zur Vorzugsvariante erstellten Berichten sei allerdings durchaus von einem sogenannten Setzungsrisiko des Deponieschlammes die Rede. Weiter gehe daraus hervor, dass „die Bewertung möglicher Fließwege von Schadstoffen erschwert“ sei und das Austreten von Sickerstoffen nicht ausgeschlossen werden könne. Hinzu komme, so Lenz, „dass die Eigenschaften des Abfalls in einigen Bereichen der Deponie nur unzureichend bekannt sind.“

Auch der einzusetzenden Kunststoffbahn, die die Deponie verschließen solle, werde lediglich eine Haltbarkeitsdauer von 100 Jahren zugeschrieben. „Und was passiert danach?“, fragt Lenz in die Runde – und erntet betretenes Schweigen bei den Zuhörern.

Für ihn und die anderen BI-Mitglieder ist klar, dass es nur eine Lösung für den Silbersee geben kann: die vollständige Auslagerung des Giftmülls und die Renaturierung des Deponiekörpers. Auch eine solche Variante sei von dem bestellten Ingenieurbüro erstellt worden. „Aber sie kostet 20 Millionen Euro und nicht 3,6 Millionen Euro“ wie die sogenannte Vorzugsvariante. Bei Letzterer seien Nachsorge und Restrisiko aber nicht mit eingerechnet.

„Wer bezahlt die Schließung überhaupt?“, will eine Bürgerin wissen und erhält die Antwort, dass dies zu etwa 90 Prozent zu Lasten des Landes und zu etwa 10 Prozent zu Lasten der Firma Engie gehe. Der Bund sei außen vor. „Er hat sich damals in den frühen 1990er Jahren quasi freigekauft“, indem er mit den Bundesländern Vereinbarungen zur DDR-Altlastensanierung ausgehandelt und dafür Geld zur Verfügung gestellt habe, sagt Herbert Halbe. Er leitet das Amt für Wasserwirtschaft und Naturschutz beim Altmarkkreis und verweist darauf, dass „das Gutachten, das zur Schließung der Deponie erarbeitet wurde, von uns zurückgewiesen worden ist.“ Für seine Behörde sei die Schließung der Deponie „nur der erste Schritt. Der zweite Schritt muss sein, dass von ihr nie wieder eine Gefährdung ausgeht.“ Und das könne nur der Rückbau und das Umlagern der Schadstoffe in eine dafür geeignete Lagerstätte bedeuten. Sein Chef, Landrat Michael Ziche, der der Einladung auch gefolgt ist, wird ebenfalls sehr deutlich: „Die Deponie, so wie sie jetzt ist, ist für uns inakzeptabel.“

Ziche verweist darauf, dass der Kreis seit 2012 immer wieder Druck auf das zuständige Landesamt für Geologie und Bergwesen ausübe, den Silbersee endgültig zu schließen. Und auch Einheitsgemeinde-Bürgermeister Karsten Ruth macht deutlich: „Wir als Stadt haben da eine ganz klare Erwartungshaltung.“ Umso erschreckender sei es für ihn gewesen zu sehen, „wie, im besten Fall betrachtet, unvollständig, im schlimmsten Fall betrachtet unseriös die Datensammlung“ der Landesbehörde zum Silbersee sei.

Den anwesenden Bürgern, die längst nicht nur aus Brüchau und Kakerbeck stammen, versichert er: „Wir machen weiter Druck. Das war keine Eintagsfliege.“ Das Landesamt für Geologie und Bergwesen dürfe der sogenannten Vorzugsvariante keinesfalls zustimmen. „Wir haben es im Januar dazu noch einmal angeschrieben. Bislang liegt uns aber noch immer keine Antwort vor“, betont Herbert Halbe.

Eine Bürgerin will indes wissen, ob es Sinn mache, Proben aus den eigenen Hausbrunnen zu nehmen und worauf sie diese dann untersuchen lassen solle. Es empfehle sich, so Bernd Ebeling, eine Beprobung auf Lithium, Strontium und Chloride, weil diese Stoffe in bergbaulichen Abfällen auftauchen würden und dadurch klar gemacht werden könne, dass das Grundwasser durch Aussickerungen aus der Deponie belastet werde.

Verschiedene Anbieter, die sich zum Beispiel übers Internet finden lassen, stehen für Beprobungen bereit.