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Neuanfang Ein altes Haus mit jungem Leben

Einst hatte dort die Gardelegener Volksstimme ihren Sitz: Nach langem Leerstand zog wieder Leben ins Haus an der Thälmann-Straße 42 ein.

Von Cornelia Ahlfeld 11.01.2020, 04:00

Gardelegen l Wenn Häuser erzählen könnten, vor allem alte Häuser, was hätten wir dann für einen unerschöpflichen Fundus an Geschichten. Geschichten über Familien, die in den Häusern lebten, über Freud und Leid. Wenn die schöne Villa an der Ernst-Thälmann-Straße 42 Geschichten erzählen könnte, dann könnte sie auch ganz, ganz viel über die Arbeit der Volksstimme erzählen. Denn die hatte dort von 1993 bis 1998 mit Lokalredaktion, Sport-redaktion, Servicebereich und Generalanzeiger ihren Arbeitsmittelpunkt. Und in unserem Fall ist es vielleicht gar nicht so verkehrt, dass das Haus nicht reden kann, sonst würde ja das eine oder andere Redaktionsgeheimnis in die Öffentlichkeit kommen. Und das wäre nicht immer gut.

Aber eines kann ich verraten. Es waren für uns Redakteure spannende, aufregende, schöne Jahre voller Geschichten. Erwähnt seien hier die Kreisgebietsreform 1994 mit viel Streit, Demos und Kreistagssitzung, Stasi-Themen und vieles mehr. Direkt über uns saß die CDU-Kreisgeschäftsstelle. Da war schon einiges los. 1998 zog die Volksstimme in die Innenstadt, in die Fußgängerzone der Thälmannstraße. Fünf Jahre später folgte der dritte Umzug direkt zur politischen Machtzentrale am Rathaus, in die ehemaligen Räume der Deutschen Bank am Rathausplatz 4. Und dort hat die Redaktion auch heute noch ihren Sitz.

Wir haben es oftmals bedauert, dass unser schönes Gebäude am Wall so lange leersteht. Zwischenzeitlich gab es auch schon Sachbeschädigungen. Doch auf einmal tat sich was in unserem einstigen Volksstimme-Haus.

Und wir verabredeten uns mit den neuen Besitzern. Das sind Catharina Bombach und ihr Lebensgefährte Sebastian Hering. Die Familie mit ihren Kindern Liesbeth (5) und Jonathan (2) wohnt in der oberen Etage mit dem markanten Erker. Und in der unteren Etage befindet sich als Mieter Thorsten Bombach mit seiner Rechtsanwaltskanzlei, der zugleich auch Fachanwalt für Arbeitsrecht ist. Seine Tochter Catharina hat damit auch einen ganz kurzen Arbeitsweg. Sie arbeitet bei ihrem Vater als Anwältin und hat gerade eine Zusatzausbildung als Fachanwältin für Verkehrsrecht beendet.

Catharina Bombach und Sebastian Hering sind Volljuristen und hatten sich beim Studium in Halle kennengelernt. Nach einer Station in Leipzig zog das Paar dann nach Zichtau ins Bombachsche Elternhaus mit Kanzlei. Sebastian Hering wechselte ins Bildungsministerium nach Magdeburg. Sie arbeitete mit ihrem Vater in der Kanzlei in Zichtau. „Das war schon alles etwas beengt“, erzählte die 35-Jährige. Das Leben in der Stadt habe dann doch viele Vorteile, vor allem, wenn man Kinder hat. „Und ein Haus wollten wir schon immer kaufen, kein neues, sondern ein altes“, so Bombach. Irgendwann habe sich ihr Lebensgefährte dann in das Haus an der Thälmannstraße 42 verliebt.

„Ich bin oft mit dem Bus vorbeigefahren und habe mich gewundert, dass ein so schönes Haus leersteht“, bestätigte denn auch Sebastian Hering die Liebelei mit dem Haus. Irgendwann sei dann mal ein Schild im Fenster gewesen, dass es zum Verkauf steht. Und dann wurden Nägel mit Köpfen gemacht. „Wir sind durchs ganze Haus gestiefelt, vom Keller bis zum Dach. Wir hatten uns noch Freunde dazu geholt, die davon was verstehen“, erzählte Sebastian Hering. Die Bausubstanz sei sehr gut gewesen, neue Fenster waren drin, die Heizkörper in Ordnung, ebenso das Dach. „Die Ausgaben waren also kalkulierbar“, so Hering. Größter Sanierungsposten sei bisher nur die neue Heizungsanlage gewesen.

Erstellt wurde ein Nutzungskonzept: oben wohnen, unten die Anwaltskanzlei. „Wir haben von unserer Wohnung aus einen wunderschönen Blick auf den Wall. Das Haus hat insgesamt eine supergute Wohnqualität“, schwärmte der 37-Jährige. Viel ist über die Geschichte das Hauses allerdings nicht bekannt. Nur wenig habe er bei Recherchen im Kreisarchiv finden können. Die ersten Unterlagen stammen aus dem Jahr 1890, wonach es ein Bankier Hermann Fricke erbaut hat. Zunächst noch mit großer Empfangstreppe für beide Etagen. „Die waren damals noch nicht getrennt“, so Hering.

1910 folgte ein Umbau mit nunmehr zwei getrennten Einheiten, damals unter der Regie des Rentiers Hermann Fricke. „Der Bankier und spätere Rentier muss viel Geld reingesteckt und einen guten Architekten gehabt haben. Alles ist symmetrisch mit vielen schönen Details, gut durchdacht bis hin zum Lichteinfall“, erzählte Hering. In der oberen Etage – in der Wohnung der jungen Familie – seien zum Beispiel noch Original-Schiebetüren vorhanden.

Nach dem Krieg fiel die Villa in DDR-Besitz. Bekannt wurde das Haus mit der Geflügelwirtschaft. „Da haben mir schon viele Leute etwas erzählt, die dort mal gearbeitet haben.“ Nach der Wende hatte ein Anwalt die Villa von der Treuhand erworben. Der wiederum verkaufte das Haus Mitte der 1990-er Jahren an einen Freund. „Und von seiner Tochter haben wir es nun gekauft“, so Hering. Der Vorbesitzer habe auch sehr viel Geld ins Haus investiert.

Die junge Familie wohnt mittlerweile im Haus, die Anwaltskanzlei ist geöffnet. Natürlich ist damit noch längst nicht alles abgeschlossen. Arbeit gibt es noch genug an und im Haus, wobei Sebastian Hering sehr viel selbst macht. Die Fläche über der Hofeinfahrt soll zur Terrasse hergerichtet werden. In der Einfahrt selbst sind Sanierungsarbeiten erforderlich. Das Dachgeschoss hat noch einmal 180 Quadratmeter Wohnfläche. Konkrete Pläne gibt es dafür aber noch nicht.

Auf dem Hof soll ein Haus, gebaut in den 1970-er Jahren, abgerissen werden, um Freifläche für Garten und Erholung zu schaffen. Auf dem Hof liegen alte Betonplatten in der Erde. Die sollen auch noch rausgerissen werden. Also langweilig wird es für die junge Familie nicht. Seit den 2000-er Jahren steht die schmucke Villa unter Denkmalschutz. „Vielleicht werden wir unsere Türen zum Tag des offenen Denkmals öffnen“, überlegt Sebastian Hering. Eine Besichtigung wert wäre es auf jeden Fall.