Kalbe Kranich Steffen auf Abwegen
Ein seltsames Verhalten weist Kranich Steffen, der im 2020 In Vienau beringt wurde, auf. Eine ungewöhnliche Flugroute wurde erkennbar.
Vienau l Am 10. März 2019 wurde in Vienau der erste erwachsene Kranich, namens Steffen, beringt. Vier Tage zuvor entdeckte Landwirt Martin Palm aus Vienau ihn verletzt in der Milde-Niederung. Am späten Nachmittag gelang es daraufhin Steffen Fromm, Namensvetter und Retter des verletzen Kranichs, ihn zu fangen. Der Kranich zeigte Gleichgewichtsstörungen und wurde deshalb von Michael Arens, Leiter der Fachgruppe Naturschutz Vienau, aufgenommen. Die Ursache dieser Störung war unbekannt. Am nächsten Morgen ging es dem Vogel unverändert schlecht. Erst gegen Ende des zweiten Tages erholte er sich, und am dritten Tag verhielt sich der Kranich wieder ganz normal. Deshalb wurde er auch wieder freigelassen.
Da es schwierig ist, einen erwachsenen Kranich zu beringen, wurde die Chance auch gleich genutzt. Steffen wurde für Nachverfolgungs- und Forschungszwecke mit den für Kraniche üblichen Farbringkombinationen beringt. Da jedes Land eine andere Farbvariante verwendet, ist es später möglich, jeden Kranich zu identifizieren. Vom Kranichschutzzentrum in Groß Mohrdorf gab es die Ringe. Mario Firla aus Havelberg, der die Berechtigung dazu hat, legte diese dem Kranich an. Im Anschluss wurde das Tier in der Vienauer Milde-Niederung freigelassen, denn es hielten sich noch einige Kraniche zu diesem Zeitpunkt im Gebiet auf. Am folgenden Morgen wurde er noch einmal bei der Nahrungssuche gesehen.
Im September 2019 wurde Kranich Steffen überraschenderweise in Satakunta (Finnland) gesehen. Der Beweis dafür, dass er ein finnischer oder sogar ein russischer Kranich ist. Am 10. Oktober war er auf seinem Herbstzug Richtung Spanien in Görsbach bei Thüringen. Im Februar 2020 befand sich der Graue Kranich in seinem Winterquartier in Spanien bei Aragon. Am 19. September 2020 zeigte er sich auf einem Rastplatz bei Kokemäki in Finnland. Am 9. Oktober sah man ihn plötzlich in Ungarn im Kreis Hajdu-Bihau bei Magdolna. Nun kam eine Mitteilung von der Internet Webseite iCORA, dass der Kranich sich wieder in Spanien aufhält, denn dort wurde er am 28. Dezember, am 31. Dezember und am 3. Januar 2021 beobachtet.
Wie kann das sein? Die Fachgruppe Naturschutz Vienau versucht, zu erklären. Der Graue Kranich (Grus, Grus) gehört mit einer Flügelspannweite von bis zu 245 Zentimetern zu den größten einheimischen Vogelarten. Er ist in Nord-, Zentral- und Nordosteuropa verbreitet, seine Population wird auf über 700 000 Exemplare geschätzt. Die rund 350 000 Kraniche, die über Deutschland ziehen, kommen aus Skandinavien, Polen, Tschechien, Deutschland selbst, den Baltischen Ländern, Nordwest-Russland, West-Russland und zum Teil aus Finnland. Kraniche aus diesen Ländern fliegen die westeuropäische Route mit Überwinterungsplätzen in Frankreich, Spanien oder Nordafrika.
Die eurasische Kranichpopulation hat aber noch zwei weitere Zugrouten, die baltisch-ungarische und die osteuropäische Zugroute. Viele Brutpaare aus Finnland rasten in Estland, und es kommt zu einer Vermischung der westeuropäischen mit der baltischen Zugroute. Je nach dem, in welche Richtung die Gruppe dann fliegt, kann es passieren, dass der finnische Kranich seine Route ändert. Das ist auch der Grund, warum Kranich Steffen im Jahr 2019 in Spanien überwinterte und sich im vorigen Jahr in Ungarn aufhielt. Aber warum der Kranich am 9. Oktober in Ungarn rastete und dann plötzlich Ende Dezember wieder in Spanien auftauchte, ist ein Rätsel. Sogar Axel Schonert, Leiter der Landesarbeitsgemeinschaft Kranichschutz Sachsen-Anhalt, ist überrascht. Bislang war auch ihm nur bekannt, dass die Kraniche, die in Ungarn und Serbien rasten, dort überwintern oder nach Italien oder Nordafrika weiter fliegen.
Schonert kontaktierte diesbezüglich Michael Modrow, ehrenamtlicher Mitarbeiter beim Kranichschutz Deutschland und im iCORA-Projekt aktiv. Ihm sind weitere beringte Kraniche bekannt, die bei der Zugroutenwahl flexibel sind. So gibt es einen litauischen Kranich und einen Esten mit Satellitensender, die ebenfalls unterschiedliche Zugrouten wählten. Gegenwärtig hält sich ein Este bei Gransee in Brandenburg auf, der im Herbst schon fast in der Ukraine war. Dieser zog nun wieder in Richtung Norden. „Wir sind gespannt, welche Überraschungen Kranich Steffen uns noch bieten wird“, heißt es aus der Fachgruppe Naturschutz Vienau.