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Volkstrauertag Gräber der Kriegstoten als Mahnmal

Zum Gedenken an Kriegstote und Gewaltopfer: Gedanken von Hans-Joachim Becker, Kreisvorsitzender der Kriegsgräberfürsorge im Altmarkkreis.

Von Hans-Joachim Becker 15.11.2020, 04:00

Gardelegen l Der Volkstrauertag hat in diesem Jahr eine besondere Bedeutung. Zum einen endete vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg. Zum anderen begehen wir den Tag in einer Zeit, wo sich durch eine Virus-Pandemie unsere Gesellschaft – wie die Kanzlerin sagt – in einer Bewährungsprobe befindet. Unsere Menschlichkeit insgesamt wird auf den Prüfstand gestellt. Und in einer solchen Situation, denke ich, ist es zu unserer ethischen, moralischen und politischen Justierung wichtig, einen Blick in eine Zeit zu werfen, wo die Menschlichkeit ihren absoluten Tiefpunkt erreicht hatte.

Unser Gedenken zum Volkstrauertag gilt wie in jedem Jahr der Opfer von Krieg und Gewalt aller Völker und Nationen. Ein Dreiviertel-jahrhundert nach Ende des Zweiten Weltkrieges kommt man aber nicht umhin, auf die geschichtlichen Ereignisse aus dieser Zeit, die Not und das Leid der damals lebenden Menschen einzugehen.

Der vom faschistischen Deutschland begonnene und in verbrecherischer Weise mit menschenverachtenden Zielen geführte Zweite Weltkrieg brachte den Völkern millionenfachen Tod, unermessliches Leid und Zerstörung. Nach fast sechs Jahren Krieg waren weltweit etwa 65 Millionen Tote zu beklagen, die meisten davon Zivilisten, also auch Frauen und Kinder. Die Sowjetunion hatte mit 27 Millionen Toten die meisten Opfer. In Polen wurden sechs Millionen Opfer des Krieges. Die deutschen Verluste betrugen 7,3 Millionen Menschen, knapp zwei Millionen davon waren Zivilisten, darunter viele Kinder. Sie verloren ihre Leben häufig durch Bombenangriffe, wie am 15. März 1945 in Gardelegen.

Der Genozid an den europäischen Juden mit etwa sechs Millionen Opfern war das größte Verbrechen an der Menschheit. Die letzte Perversion bei diesem mörderischen Geschehen waren die Todesmärsche. Einer dieser Todesmärsche endete mit 1016 Opfern im Flammeninferno der Isenschnibber Feldscheune.

Der Tod all dieser Menschen war menschengemacht. Zahlreiche Deutsche machten sich dabei schuldig. In der Stunde Null und den ersten Jahren danach wurden Schuld und Verantwortung verdrängt. Deutschland, ja ganz Europa, lag in Trümmern. Millionen Menschen waren entwurzelt. Der Erhalt der eigenen Existenz und das eigene Leid standen im Vordergrund. Die Anerkenntnis der Schuld blieb auch nach Bildung der beiden deutschen Staaten problembehaftet. Erst das wiedervereinigte Deutschland hat durch eine schonungslose Aufarbeitung der Vergangenheit eine objektive und ausgewogene Erinnerungskultur geschaffen, die es uns erlaubt, unter Einbeziehung des geschichtlichen Kontextes aller Toten von Krieg und Gewalt angemessen zu gedenken.

Ein alleiniges Gedenken nur der deutschen Toten kann es nicht geben. Das ganz sicher am Ende des Krieges beklagenswerte Leid vieler Deutscher darf nicht losgelöst von der Vorgeschichte betrachtet werden. Es war Folge der brutalen deutschen Kriegsführung und des unmenschlichen NS-Terrors. Bei diesem Fazit das deutsche Leid zu priorisieren, ist Geschichtsklitterung. Das deutsche Volk konnte sich trotz des Bemühens Einzelner nicht aus eigener Kraft vom nationalsozialistischen Unrechtsregime befreien. Deswegen war es auch wichtig, dass Bundespräsident Richard von Weizäcker in seiner berühmten Rede am 8. Mai 1985 die Befreiung gedenkpolitisch in den Vordergrund gestellt hat. Diese Wahrhaftigkeit des Gedenkens dürfen wir uns von niemandem nehmen lassen.

Auf keinen Fall dürfen wir uns die Deutungshoheit bezüglich unserer Geschichte von Leuten wie Gauland, Höcke , Kalbitz und anderen nehmen lassen und müssen – um den Erhalt unserer Demokratie willen – jeder Form von übersteigertem Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus entgegentreten. Die jüngsten antisemitischen Anschläge zeigen, wozu der Rechtsextremismus fähig ist. Diese Verbrechen müssen wie die islamistischen Terrorakte mit der ganzen Härte unserer Gesetze bekämpft werden.

Corona-Pandemie, Migration und die Probleme des Klimawandels scheinen die Radikalisierung von Teilen der Bevölkerung zu befördern. Verschwörungstheoretiker, Querdenker und rechtsradikale Heilsbringer vereinigen sich im Kampf gegen die Demokratie, versuchen den Staat auszuhebeln. Die elektronischen Netzwerke werden dabei für ihre von Misstrauen, Feindschaft und Hass getragenen Parolen als Katalysatoren benutzt. Die Botschaft, die von den Gräbern unserer Kriegstoten ausgeht, ist eindeutig. Wir brauchen sie als Lernstätten der Geschichte und Mahnmale gegen das Vergessen, um den nachfolgenden Generationen eine heile Welt weiterzugeben.