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Angebot Wo der Herr Pfarrer spinnt

In Jävenitz spinnt der Herr Pfarrer nicht nur einen Gesprächsfaden mit den Damen, sondern auch die Wolle für sie.

Von Gesine Biermann 17.11.2017, 02:00

Jävenitz l Es duftet nach Kaffee und Kuchen. Den bringt immer jemand mit – „reihum“, sagt Gastgeberin Gisela Weinhold. In ihrem gemütlichen Handarbeitsraum trifft sich die Jävenitzer Runde regelmäßig einmal im Monat. Sechs Damen und ein Herr. Den kennen die Jävenitzer eigentlich sonst nur im Talar. Hier trägt er Schürze. Aber das findet in diesem Rahmen niemand ulkig. Denn Pfarrer Jürgen Brilling gehört seit fast fünf Jahren dazu, wenn hier die Nadeln klappern. Nur dass der spinnt. In echt. Und mit Leidenschaft.

Eigentlich habe er das schon als junger Mann mal ausprobieren wollen, erzählt Brilling schmunzelnd. Doch Spinnräder waren vor der Wende einfach nicht zu kriegen. Vor ein paar Jahren habe er sich dann aber eines besorgt und einfach losgelegt. „Man hat ja nur ein bescheidenes Maß an Begabungen. Aber ich wusste irgendwie schon vorher, dass ich das kann.“

Und das bestätigen die Frauen neben ihm denn auch sehr glaubwürdig. Schließlich spinnt Brilling ihnen seither die Wolle, aus denen sie dann „für Leute mit kalten Füßen“ Socken stricken.

Derzeit ist allerdings auch schon mal ein Schal oder ein Pullover darunter. Offensichtlich haben nach so vielen Jahren schon alle interessierten Jävenitzer warme Füße. „Und wir wollen nicht auf Halde produzieren.“ Weiterhin treffen wollten sich aber trotzdem alle – und genießen das sichtlich.

Am Anfang gibt es natürlich erst einmal einen kleinen „geistlichen Impuls“. Das lässt sich der Herr Pfarrer nicht nehmen, und darauf freuen sich die Damen auch immer schon. Aber spätestens nach dem Kaffeetrinken gibt‘s dann kein Vertun mehr. Dann wird gearbeitet. „Und ich werde hier ganz schön in Schach gehalten“, sagt Brilling. Denn das, was die Damen so verstricken, könne er unmöglich während der gemeinsamen Zeit zusammenspinnen. Deshalb muss er zu Hause auch schon mal nachsitzen, wenn die Produktion nicht ins Stocken geraten soll. „Ja, ja,“ sagt Käthe Lindecke strickend und augenzwinkernd, „wir müssten noch einen zweiten Spinner haben.“

Das ist aber dann offenbar doch nicht so einfach, wie es scheint, wenn man Brilling zuschaut. Sie habe das zwar mal versucht, gibt Gisela Weinhold zu. „Aber ich bin noch beim Üben.“

Dafür kann sie toll stricken – wie die anderen Damen in der Runde natürlich auch. Und zwar ohne hinzugucken, was die Finger tun. Zudem wird gefachsimpelt über diese und jene Wollqualität. Denn die rauhe Schafwolle – übrigens am liebsten die von Zackelschafen, mit der Brilling das Spinnrad füttert – können sie für den kuscheligen Schal, den die Enkelin bekommen soll, oder im Pulli für den Mann ja nicht verwenden.

Für Socken sei die Schafwolle aber einfach unschlagbar, weil warm, luftig und saugstark, versichern die Expertinnen. Und schön dick sei sie: „Die rennen ja heute zu Hause auch alle auf Socken rum“, erinnert Herta Günther, und nebenbei hat sie schon den halben Pullover fertig ...na gut, zumindest fast.

Übrigens schaffen sie alle ordentlich an diesem Nachmittag. Auch wenn sich wohl keine von ihnen ein Ziel gesetzt hat. Denn der eigentliche Gewinn in dieser Runde, in Gisela Weinholds gemütlichem Domizil, ist schließlich das Beisammensein, das Mal-ein-Wort-loswerden-können und das Plaudern mit dem Herrn Pfarrer.

Und der? Der erfährt so ganz nebenbei und aus erster Hand, was in seiner Gemeinde passiert, was seine „Schäfchen“ so bewegt. So mancher Hirte dürfte Brilling darum beneiden, dass der spinnen kann.