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Zeitzeugen Was befindet sich in der Bohrschlammgrube?

Die immer noch fehlenden Angaben darüber, was genau in der Bohrschlammgrube Brüchau versenkt worden ist, verärgert Zeitzeugen.

Von Elke Weisbach 18.07.2019, 18:12

Brüchau l Sie sitzen nebeneinander im Wintergarten von Manfred Bammel in Brüchau: Karl-Heinz Zencker aus Böddenstedt, der zu DDR-Zeiten mit Bammel für Erdgas Salzwedel tätig war, Eckart Schültke aus Zethlingen, der in der Ziegelei an der ursprünglichen Tongrube arbeitete, sein früherer Kollege Dieter Conrad aus Brüchau, Rolf Horn aus Jemmeritz, damals in der Brüchauer LPG tätig, und Dorfbewohnerin Monika Bremer, die Anfang der 1970er Jahre in der Grube einen Garten hatte. Was sie eint: Sie wollen, dass aus der Bohrschlammgrube, auch Silbersee genannt, die eingelagerten Stoffe entfernt werden, und sehen die derzeitigen Untersuchungen skeptisch. Sie meinen, dass an falschen Stellen gesucht wird.

Vor allem Zencker versteht nicht, dass niemand zu wissen scheint, was dort eingelagert worden ist. Jede Bohrstelle habe ein Zechenbuch, das im zuständigen Bergamt hinterlegt sein müsse. Darin müsse alles stehen. Vielleicht existiert es nicht mehr, vermutet Conrad. Das glaube er zwar nicht, so Zencker. Aber wer weiß? Er wisse nur, das quecksilberhaltiges Lagerstättenwasser von Erdgas Salzwedel dort verpresst worden sei. In etwa 1500 Metern Tiefe. „Und dann wundern sich die Leute, wenn die tieferliegenden Schichten belastet sind, und die darüber nicht“, kann Horn nur mit dem Kopf schütteln. Die Belastung komme von unten. Das Ding sei politisch, ist sich Zencker sicher. Keiner wisse, wohin mit dem Zeug.

Dass die Grube dicht ist, glaubt niemand. Conrad erzählt, dass 1960 die alte Grube stillgelegt wurde, weil der Ton nicht mehr die Qualität hatte. 300 Meter westlich wurde eine neue Grube angestochen. Der Abraum wurde in die alte Grube gefahren. Das war nur Erde. Das kann also nicht dicht sein, weil dort kaum noch Ton vorhanden war. Alsbald stand die alte Grube unter Wasser. Das Gelände war aber weiterhin zugänglich. Die Kipploren seien reingefahren und hätten ihre Fracht abgeladen. Erst Mitte der 1970er Jahre, darauf einigte sich die Runde, wurde das Gelände von Erdgas Salzwedel – vorher wurde es von Edöl Stendal genutzt – dicht gemacht. Conrad glaubt, dass es dem Betrieb zu heikel wurde, da Kinder das entstandene Gewässer zum Bootfahren gennutzt haben. Damals wurde schon Bohrschlamm reingekippt.

Er, so Conrad, war damals Chef der Ziegelei und sei im Quecksilbermatsch herumgelaufen. Auch die neue Grube lieferte bald keinen ordentlichen Ton mehr. Deshalb habe man die Ziegelei in ein Betonwerk umgewandelt. Auch er glaube nicht, dass die Grube dicht sei, weil sich ganz unten eine Tonschicht befände. Das zeigte sich schon zu DDR-Zeiten, denn es gibt laut Rolf Horn noch eine Uralt-Grube neben der anderen in Richtung Kakerbeck. Und da hinein sei das Wasser gesickert. Da wurde sogar extra noch eine Spundwand gesetzt. Zudem muss die Grube einen natürlichen Zu- und Abfluss haben, da der Wasserstand immer gleich war, wie Riemer sagt.

Das bestätigt auch Monika Bremer, die Anfang der 1970er in der aufgegebenen Grube einen Garten hatte: „Dort waren auch eine Quelle und ein kleiner Teich. Aus dem haben wir immer das Wasser zum Gießen geholt.“ Im Garten war die Erde ganz normal. Alles wuchs und das Wasser versickerte im Boden. Bei Ton im Erdreich wäre das doch nicht möglich. Das Abdichten sollte wohl der Bohrschlamm übernehmen, der anfangs dort eingebracht wurde, vermutet Bammel. Das war aber nicht viel. Bald kam die Einlagerung des Lagerstättenwassers und der Spülflüssigkeit, beides mit Quecksilber versetzt.

Erst in Fässern, dann wurden die Zisternen einfach rückwärts an die Grube gefahren, der Schieber geöffnet und alles laufen gelassen. Der Rest wurde auf Brüchaus Straßen gekleckert. Morgens sah man nur die leeren Fässer, die ins Wasser geschoben wurden, und Reifenspuren, heißt es aus der Runde. Allerdings wurde dort, so Schültke, nicht nur was von Erdgas angefahren, sondern auch gebeiztes Getreide und Farben. Was genau bei Nacht gebracht wurde, weiß keiner. Dieter Conrad erzählt, dass er morgens immer die Ziegelei aufgeschlossen hat. Da stand dann mal ein Lkw aus Dresden, der zur Grube sollte. Als er den Fahrer fragte, was er geladen habe, habe der erklärt: „Das kann ich nicht sagen.“ Bammel ist sich sicher, dass damals der Staat die Hand drüber gehalten hat. Und Zencker vermutet, dass es darüber Stasi-Akten gibt. Er selbst habe Schrott der Erdgasgewinnung an der Grube in Form gebrannt. Dafür wurde der vorher gesäubert, das Wasser floss einfach in den See. Zurück blieb eine von Quecksilber-Rückständen glitzernde Betonfläche.

Auch Horn erinnert sich an eine Begebenheit. Der LPG-Vorsitzende habe ihm den Auftrag erteilt, die an der Ostseite der Grube stehenden Fässer im Wasser zu versenken. Er solle aber aufpassen und sie nicht beschädigen, weil „arsenhaltiges Zeug“ darin sei. Das war aber, so Horn, kein Abfall der LPG, sondern kam aus der Pharmazie. Conrad erinnert sich zudem an einen Sommertag in den 1980er Jahren mit 30 Grad Celsius und Südwind. Da zog eine Wolke von der Grube in Richtung Ziegelei, die ätzend roch und Kopfschmerzen verursachte. Auch daran, dass es bei Hitze auf der Wasseroberfläche flimmerte, als wenn etwas verdampft, erinnert er sich noch. Es habe nach Parafin, Diesel, Altbenzin und -öl gestunken. Ja, und die Schicht Modder auf dem Wasser, so Schültke, habe auch keiner übersehen können.

Die Stelle, an der damals die Fässer und anderes ins Wasser gekippt wurden, liegt heute unter der Erde und ist zum Teil mit Beton zugedeckt. Denn der See von heute hat nur noch ein Drittel seiner ursprünglichen Größe. Etwa 50 Meter an der Ost- und an der Westseite wurden noch zu DDR-Zeiten aufgefüllt. Deshalb ist sich die Runde sicher, dass die Messungen, wenn sie nur im Wasser oder im Uferbereich stattfinden, nichts bringen. „Im Wasser ist nichts, außer vielleicht Quecksilber am tiefen Grund“, so Bammel. Die Runde glaubt auch nicht, dass gezielt gesucht wird. „Wartet mal noch zehn Jahre“, blickt Conrad mit Sarkasmus voraus, „dann ist das da ein Naherholungszentrum und auf dem Wasser fahren Kähne.“

Seine Befürchtung: „Das ist Hinhalte-Politik. Irgendwann wird gesagt, so schlimm ist gar nicht, alles wird abgedeckt.“ Das glaubt Bammel nicht. Denn um die Grube sei schon ganz schön viel Rummel gewesen. Dennoch sei es wichtig, immer weiter zu bohren, im Gespräch zu bleiben und für eine Auskofferung des Silbersees zu kämpfen.