Franz Schuster ist seit 37 Jahren Dorfchef in Paplitz Ein Typ, der etwas zu tun haben muss
Er ist einer der dienstältesten Bürgermeister bzw. Ortsbürgermeister der Region Genthin. Franz Schuster lenkt seit 37 Jahren die Geschicke der kleinen Fienergemeinde Paplitz unmittelbar an der sachsen-anhaltischen-brandenburgischen Landesgrenze. Die Turbulenzen der gesellschaftlichen Umbrüche haben Franz Schuster geprägt.
Paplitz. "37 Jahre im Amt, ganz stimmt das eigentlich nicht", korrigiert der 60-Jährige und spielt damit auf die dreijährige Auszeit zwischen 1991 und 1994 an, in der er, wie er sagt, alles hingeschmissen hat. "Die CDU-Mitglieder meines damaligen Rates wollten mich auf Grund meiner ehemaligen SED-Mitgliedschaft nicht mehr. Es hieß, ich sei zwar kein schlechter Kerl, aber ein ehemaliger Genosse könne jetzt kein Bürgermeister mehr sein", erzählt Schuster. Ohne Pause setzt er hinterher: "Ich war völlig geplättet". Ein Hieb, der Narben hinterließ, aber ihn nicht umwarf. Denn Franz Schuster ist leidenschaftlich gern Bürgermeister, das hat ihn stark gemacht, Situationen zu überstehen, in denen ihm Wind ins Gesicht blies.
Das Bürgermeisteramt hat er nie als eine Sprosse auf der Karriereleiter erklimmen wollen. Fast etwas naiv stolperte der gelernte Elektromonteur, der als 17-Jähriger voller Tatendrang war, in das Amt des Dorfchefs. Der Vater eines Schulfreundes sei als Organisations-Instrukteur bei der SED-Kreisleitung tätig gewesen und war als solcher auf der Suche nach Kandidaten. Schuster, der in Redekin aufwuchs, passte ins Raster: Vater Arbeiter, Mutter Hausfrau, er wuchs in einer kinderreichen Familie auf. Schuster gab sein anfängliches Zögern auf und arrangierte sich wie viele in der DDR. "Wenn ich in die Partei eintrete, möchte ich auch Bürgermeister werden", forderte er - und die Partei lenkte ein.
Franz Schuster steht auch heute noch mehr als drei Jahrzehnte später und mit dem Wissen über Partei und Staat zu dieser Entscheidung.
Vieles, was er über seinen Weg von Redekin nach Paplitz berichtet, klingt fast einwenig der Zeit entrückt. Er studierte an der Fachschule Weimar Staat und Recht. "Die gibt es längst nicht mehr, kann man alles vergessen", sagt Schuster und signalisiert mit einem heiteren Lächeln, dass er dieses Kapitel seines Bürgermeisterlebens längst hinter sich gelassen hat. Dass Schuster ausgerechnet in Paplitz landete, geht auf "Tauschgeschäft" mit Karl Seel aus Parchen, der seinerzeit auch zu den Absolventen der Fachschule gehörte, zurück. Seel, so erinnert sich Franz Schuster, sollte ursprünglich nach dem Studium in Paplitz und er in Parey eingesetzt werden. Schuster: "Weil aber Karl Seel in Parchen wohnte, war Parey für ihn günstiger, wir wechselten die Einsatzorte und ich ging somit nach Paplitz."
Was das Fienerdorf zu bieten hatte, war für den Jungbürgermeister schon an seinem ersten Arbeitstag im Juli 1974 überschaubar. Nämlich überhaupt nichts. "Ein staubiges Büro, kaum Straßen, keine Sekretärin und keinen Gemeindearbeiter. Nichts." Auch nach 37 Jahren sind Emotionen bei Schuster im Spiel, wenn er versucht, diese Situation zu beschreiben: "Mann, Mann, Mann" habe ich gedacht und mit den Einwohnern die Ärmel hochgekrempelt.
Sein Wunsch, unbedingt ins Bürgermeisteramt zu drängen, wurde auf eine harte Probe gestellt. Schuster schaffte es letztlich, einer staatlichen zentralistischen Verwaltung Genüge zu tun, aber andererseits auch Freiräume im dörflichen Leben zu erschließen. "Ich war und bin gern Bürgermeister. So schön wie ich mir mein Zuhause hergerichtet habe, so schön soll es auch im Dorf sein."
"Es gibt als Ortsbürgermeister keine richtige Arbeit mehr"
Dem Druck von SED-Kreisleitung und dem Rat des Kreises, der auf Bürgermeistern lag, glaubt Schuster zu DDR-Zeiten "einigermaßen" entgangen zu sein. "Die sind meistens in Tucheim hängengeblieben, bis zu uns sind sie nicht gekommen", scherzt der 60-Jährige.
"Ja", sagt Schuster, "wir haben in Paplitz vor der Wende viel schaffen können, auch weil die LPG und die Einwohner mitzogen. " Als Bürgermeister habe er selbst oft mit angepacken müssen, seine handwerklichen Fähigkeiten seien ihm dabei sehr hilfreich gewesen. Er gibt zum Besten, dass er abends beim Wasserleitungsbau im Graben die Hausanschlüsse angelegt hat und seinen alten 600er Trabbi beim Transport von Gussschiebern von Halberstadt nach Paplitz demoliert habe. Fast klingt es so, als ob Franz Schuster einen kleinen Moment der DDR-Nostalgie erliegt. Doch Schuster ist längst zu einem differenzierten Urteil über das Gestern und Heute gelangt: "Als Bürgermeister hat man sicherlich zu DDR-Zeiten Positives und Negatives erlebt. Es war komplizierter als heute, etwas zu bewegen. Ohne Organisationstalent und Tricks ging seinerzeit nichts. Ich möchte die DDR nicht wiederhaben, denn was wir inzwischen im Paplitz geschaffen haben, hätte es sonst nicht gegeben."
Andererseits zahle Paplitz, das gehört für Schuster auch zur Bilanz des Heute dazu, dafür einen hohen Preis. Der Kindergarten und die Kita mussten nach der Wende geschlossen werden, es gibt keine Post, keinen Konsum mehr im Ort, die jungen Leute zieht es weg. Trotzdem bleibt Paplitz für Schuster ein lebenswerter Ort, für den er sich trotz seiner Bürgermeister-Auszeit Anfang der 90er Jahre nicht K.o. hat schlagen lassen.
Über den Wählerbund, den er 1993 gründete, erhielt er das Vertrauen der Paplitzer und besetzte wieder den Bürgermeistersessel. "Ich bin ein Typ, der was zu tun haben muss", kommentiert Schuster heute seine Rückkehr ins Amt, das er von nun an ehrenamtlich ausübte.
Doch gerade dieser Eifer fällt ihm jetzt auf die Füße, besonders, nachdem Paplitz in der Einheitsgemeinde Stadt Genthin aufgegangen ist.
Dass er als Ortsbürgermeister mit seinem Ortschaftsrat keine eigenständige Entscheidungen mehr treffen könne, "gehe ihm an die Seele", sagt er. Sicherlich sei die Zusammenarbeit mit dem Genthiner Rathaus gut, aber für ihn als Ortsbürgermeister gebe es im Dorf keine richtige Arbeit mehr. Franz Schuster wird heftig an dieser Stelle, redet schnell und gestikuliert. Das sei doch genauso, wenn das Wasser aus dem Schwimmbecken eines leidenschaftlichen Schwimmers auf seinem Grundstück abgelassen wird und er jeden Tag mehrmals daran vorbeigehen müsse.
"Ich mache trotzdem weiter, so lange mich die Paplitzer wollen"
Trotzdem: Ortsbürgermeister will er auch zukünftig bleiben. "Jedenfalls so lange, wie mich die Paplitzer in diesem Amt sehen wollen."
Ob er allerdings noch einmal für den Genthiner Stadtrat kandidieren wolle, lässt Franz Schuster auch nach einem Moment des Überlegens offen. Die Paplitzer hatten ihren Mann durch eine sehr hohe Wahlbeteiligung in das Gremium entsendet. Der Rückhalt unter der Dorfbevölkerung, den er schon seit Jahrzehnten genießt, macht ihn stolz. Doch die Arbeit im Genthiner Stadtrat ist alles andere als so friedfertig, wie Schuster es aus dem Paplitzer Gemeinde bzw. Ortschaftsrat kannte. "Im Genthiner Stadtrat vermisse ich bei einigen Stadträten Leidenschaft für die Sache, Verständnis und Toleranz, stattdessen gibt es Neid, Missgunst und Selbstverliebtheit ." Die Arbeitsweise, die er über viele Jahre aus dem Paplitzer Rat kenne, sei in Genthin bei einigen Räten nicht erkennbar und das schmerze schon.