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Literatur Neuer Blick auf das Werk Köppens

Die Edlef-Köppen-Tage widmeten sich dem in Genthin geborenen Schriftsteller mit einer ungewöhnlichen Betrachtung des Werkes.

Von Mike Fleske 03.03.2020, 05:00

Genthin l Der Mensch im Krieg, der Krieg als Zäsur in Lebensläufen. Der in Genthin geborene Schriftsteller Edlef Köppen hat mit seinem „Heeresbericht“ einen Roman hinterlassen, der die Grausamkeit des Ersten Weltkrieges drastisch vor Augen führt. „Man kann den Roman als Frontschicksalsbericht lesen, das gelingt auf beeindruckende Weise, aber Köppen beschreibt auch die Auswirkungen des Krieges auf die Gesellschaft“, erläuterte Gabriele Herrmann von Köppen-Freundeskreis während des Lesecafès in der Stadt- und Kreisbibliothek.

Dafür hatte sie einen multimedialen Vortrag vorbereitet und Auszüge aus dem 2012 erschienen Heeresbericht-Hörbuch vorbereitet. „Alle meinen, dass der Krieg bestimmt noch vor Weihnachten zu Ende ist“, war nur ein Zitat aus dem Brief der Mutter an den Soldaten Adolf Reisiger, der Hauptperson des Heeresberichtes, die stark biografische Züge des Verfassers trägt. Auch er hatte sich freiwillig zum Krieg gemeldet.

Der im Sommer 1914 ausgebrochene Krieg dauerte an, auch wenn die Soldaten anfangs nicht viel davon mitbekamen. „Wo ist denn nun der Krieg“, dachte Reisiger. „– Sind wir jetzt an der Front?“, heißt es einmal. Doch später wird Reisiger an der Westfront verwundet, kommt an die Ostfront, wieder an die Westfront und verliert seine anfängliche Begeisterung im Spätsommer 1918 völlig (wie auch Köppen selbst). Wie sich die Ansicht über den Krieg auch in der Bevölkerung veränderte, schilderte Gabriele Herrmann in ihrem Vortrag.

„Wie gehen die Menschen in der Heimat mit den Soldaten um, wenn sie auf Fronturlaub nach Hause kommen“, auch das zeigt der Roman. Etwa durch die Wahrnehmung Reisigers bei einem Besuch oder durch in den Text eingewobene Verhaltensregeln für Offiziere auf Heimaturlaub. Denn die sogenannte Montagetechnik ist die große Stärke des Romans. Verschiedene Seiten, der Alltag an der Front, offizielle Verlautbarungen der großen Befehlshaber, Parlamentarier und Monarchen oder persönliche Briefe werden mit der Schilderung der Fronterlebnisse zu einem großen Ganzen verwoben.

Ein weiterer Köppen-Vertrauter war der Dichter Gottfried Benn. Mit ihm und Köppen als Lyriker beschäftigte sich der Kulturhistoriker Wilhelm Ziehr aus Wilhemshorst während eines Vortrages beim Genthiner Freundeskreis. Er stellte seinen Vortrag unter die Frage, ob die von Köppen in den Jahren 1914 bis nach 1920 erschienenen Gedichte wirklich als expressionistisch zu bezeichnen seien.

„Nur weil sie in einem Zeitraum erschienen, der zusammenfassend als expressionistisch markiert worden war?“ Eine Antwort darauf hatte eben Benn, der schrieb: „Der Expressionismus drückte nichts anderes aus als die Dichter anderer Zeiten und Stilmethoden: sein Verhältnis zur Natur, seine Liebe, seine Trauer, seine Gedanken über Gott.“

Köppen habe zwar mit neuen Stilformen experimentiert, dabei aber seinen thematischen Schwerpunkt verschoben. „Köppens Gedichte, die bis 1918 in der Zeitschrift „Aktion“ erschienen, waren alles Kriegsgedichte.“ Anklagen gegen den Krieg, der Wunsch nach Frieden. „Die Gedichte Köppens, die nach 1918 erschienen, weisen auf andere Inhalte und Gehalte hin.“ Hier habe die auch durch den Genthiner Freundeskreis betriebene Forschung der vergangenen Jahre neues Material zutage gefördert.

„Die im Potsdamer Nachlass sich befindende Lyrik, umfangreicher als die bislang bekannte, setzt die literarische Entwicklung Köppens fort.“ Ziehr analysierte in seinem Vortrag Köppens Sprache, seinen Stil, indem er nach neuen Ausdrucksformen suchte.Zwei Beispiele zitierte der Potsdamer Schauspieler Hans-Jochen Röhrig. Eines davon war „Tote Stadt“: „Über verwaiste, graue Straßen kriecht das Grauen, langsam und schleimig und voll fetter Gier. Bald drängt es den dicken Schädel durch eine zertretene Tür, glotzt die toten Wände an, nagt an den verkohlten Schwellen, tastet mit nassen Fingern über den Leib der Leichen und leckt das zerrinnende Blut.“ Unter dem Eindruck des Krieges, habe Köppen hier 1919 Ekel und Grauen beim Anblick einer zerstörten Stadt verdeutlicht.

Etwas anders im Aufbau ist das Gedicht „Nach im Herbst“. „Gekrümmte Blätter jagen durch die Stadt. In dicken Scharen, die bald elend sterben. Ein Hund, der seinen Herrn verloren hat. Der fahle Mond fletscht seine schwarzen Zähne. Die Sterne taumeln haltlos ihren Pfad. Und manchmal tropft vom Himmel eine Träne.“ Hier entstehe die Wirkung durch sich reimende Verse, und der Verwendung der strengen Form des klassischen Sonetts.

Ziehr und Röhrig präsentierten mögliche Vorbilder für Köppen etwa Jakob van Hoddis, Ernst Toller oder Georg Trakl. Inwieweit sie Köppen beeinflusst haben, lasse sich aber nicht sagen. 1934, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, schrieb Köppen sein wohl letztes Gedicht „Einsamkeit“.

Die ersten Verse lauten: „Freunde fallen ab und hart verhallen in der Ferne die Schritte der Gefährten. Brücken vermorschen, geschlagen von Seele zu Seele, und an den Stegen der Herzen nagt der träge Wurm der Vergängnis.“ Hier sei ein deutlicher Abgesang erkennbar. Köppen starb 1939 an den Spätfolgen seiner im Ersten Weltkrieg erlittenen Verletzungen.

In den vergangenen Jahren wurde Köppen auch durch die Arbeit des Genthiner Freundeskreises wiederentdeckt. Seit 1996 trägt die Stadt- und Kreisbibliothek seinen Namen. Ein durch die Mitglieder betreutes Köppen-Archiv in der Bibliothek steht der wissenschaftlichen Forschung zur Verfügung und beinhaltet heute mehr als 7000 Dokumente von und über Köppen. Unter anderem aus dem Potsdamer Nachlass, der erst 2016 digitalisiert wurde.