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Ausflugsprobleme Schifffahrt nur mit leichtem Rolli: Nicht alle Gehbehinderten können beim Kanaltörn in Genthin mit an Bord gehen

Beim Schiffsausflug des Behindertenvereins "Miteinander leben“ mussten einige Mitglieder zu Hause bleiben. Ihre Elektrorollstühle waren zu schwer für das Schiff.

Von Mike Fleske 19.08.2021, 12:47
Die Rolli-Truppe am Startpunkt der Kanaltour am Anleger in Genthin.
Die Rolli-Truppe am Startpunkt der Kanaltour am Anleger in Genthin. Foto: Mike Fleske

Genthin - Sie sind für gehbehinderte Menschen mit Bewegungseinschränkungen oft eine große Erleichterung: Elektrorollstühle. Zumeist sind die elektrischen Gehhilfen mit einigen Knöpfen und Hebeln einfach zu bedienen und es gibt dadurch für die Nutzer eine gewisse Beweglichkeit. Aber viele der Gefährte, zu denen auch die vierrädrigen E-Scooter gehören, haben einen Nachteil: Sie sind sehr schwer und nehmen unter Umständen viel Platz weg.

Ein Nettogewicht von 135 bis 150 Kilogramm zuzüglich des Akku- und Fahrergewichtes ist nicht selten. Und genau deshalb gibt es im Alltag mit den Gefährten nach wie vor gewisse Grenzen, wie Wilfried Zacke vom Behindertenverein „Miteinander leben“ in Genthin & Region, berichtet. „Wir wollten nach der langen coronabedingten Pause wieder etwas als Verein anbieten, der Schiffsausflug in Genthin war die passende Gelegenheit.“

Schiff ist baulich nicht geeignet

Doch beim Erwerb der Tickets die Überraschung: Während ein Großteil der Mitglieder die Reise antreten konnte, mussten drei Mitglieder im Elektrorollstuhl auf die Reise verzichten. Grund: Das Ausflugsschiff ist für solche Gefährte schlichtweg nicht ausgelegt. „Das war natürlich sehr schade, gerade weil wir ja als Verein so viel wie möglich zusammen unternehmen möchten, um zu zeigen, dass niemand ausgeschlossen wird“.

Roland Kaiser, Chef der gleichnamigen Reederei in Tangermünde, die die Ausflüge in Genthin anbietet, kann die Enttäuschung verstehen, erklärt aber: „Das Schiff ist für solche Rollstühle nicht ausgelegt, als es gebaut wurde, hat keiner an eine derartige Technik gedacht.“ Ein solcher Rollstuhl hätte an Bord kaum eine Bewegungsmöglichkeit, Türen und Gänge sind dafür nicht ausgelegt. Auch seien die sanitären Anlagen unter Deck nur über eine Treppe zu erreichen.

Die „Präsident“, die in den Sommermonaten mehrfach von Genthin aus auf dem Elbe-Havel-Kanal in Richtung Brandenburg unterwegs ist, ist ein Fahrgastschiff, das seinen Ursprung in den 1960er Jahren hat und seit 25 Jahren bei der Reederei seinen Dienst tut. „Man kann auch nicht einfach etwas umbauen, denn das Schiff ist so wie es ist, für die Fahrgastschifffahrt zugelassen, durch bauliche Veränderungen riskieren wir unsere Lizenz.“

Faltrollstühle sind kein Problem

Der Eintritt und die Mitfahrt mit Gehhilfen sei hingegen relativ problemlos möglich und auch herkömmliche manuelle Rollstühle oder solche zum Zusammenklappen könnten mit an Bord genommen werden. Und das funktionierte beim Ausflug tatsächlich. Frank Schuhknecht, sonst ebenfalls mit einem elektrischen Rollstuhl unterwegs, konnte auf ein Modell ohne Motor umsteigen und ging mit Hilfe der Besatzung und der Vereinsmitglieder an Bord. „Es hat ohne Weiteres funktioniert“, bestätigte er nach dem Zustieg. Und so konnte er die Tour ebenfalls mitmachen.

„Wir bemühen uns, so vielen Menschen wie möglich einen Zugang an Bord zu ermöglichen“, sagt Reeder Kaiser, nur eben bei den E-Rollstühlen müsse man passen. Einen für den Betreiber „nichterfüllbaren Vertrag“ würde es darstellen, wenn ein Fahrgast im E-Rollstuhl mit einem Ticket am Anleger stünde, erklärt Simone Meisel von der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt. Diese Art von Ausflugsschiffen sei darauf nicht ausgelegt. Es sei zwar richtig, dass auch Menschen mit Behinderung eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden muss. „Aber oft sind die baulichen Voraussetzungen bei älteren Fahrgastschiffen dafür nicht geschaffen.“ Man könne als Fahrgast auch nicht auf den Zugang bestehen, da der Anbieter auch bestimmte Sicherheitsaspekte an Bord beachten müsste. Im Einzelfall sei es für Gäste mit Behinderungen sinnvoll, sich vorab telefonisch Auskünfte über die Situation an Bord des ausgewählten Schiffes einzuholen.

Vor Reiseantritt über Zugangsmöglichkeiten informieren

„Um möglichen Diskussionen vor dem Reiseantritt vorzubeugen, sollte das Thema Zugang zum Schiff spätestens beim Kauf des Tickets angesprochen werden“, rät sie. Entweder vom Käufer oder in jedem Fall vom Verkäufer. „Das wird auch gemacht“, sagt Marina Conradi von der Genthiner Touristinfo. Dort werden die Bordkarten für die Ausflüge vom Genthiner Anleger verkauft. Die Mitarbeiterinnen würden immer wieder angehalten, darauf hinzuweisen, dass bei den Ausflugsangeboten kein vollständig behindertengerechten Zugang gewährleistet werden könne.

Die Probleme mit den elektrischen Rollstühlen werden sich nicht von heute auf morgen lösen lassen. Allerdings gibt es bereits Veränderungen. So müssen alle seit dem 1. Januar 2006 neu gebaute Fahrgastschiffe ganz bestimmte Voraussetzungen bei der Gestaltung ihrer Fahrgasträume erfüllen. Etwa Ausgänge, Türen, Treppen, Decks und sanitäre Anlagen müssen darauf ausgelegt sein, dass Menschen im Rollstuhl hindurchpassen oder die Bereiche problemlos ohne Hindernisse erreichen können. Leichte Rollstühle konnten und können immer mit an Bord genommen werden.

Mit leichten Rollstühlen gibt es keine Zustiegsprobleme. Sie konnten und können weiterhin mit an Bord genommen werden.
Mit leichten Rollstühlen gibt es keine Zustiegsprobleme. Sie konnten und können weiterhin mit an Bord genommen werden.
Foto: Mike Fleske