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Anfänge mit viel Euphorie in einem ganzen Dorf, Improvisation und einem großen Fest der Völkerfreundschaft 20 Jahre Sommermusikakademie Hundisburg: "Dankeschön an die Spinner der ersten Stunde"

Von Marita Bullmann 01.08.2012, 05:18

Verrückte Ideen und viel Euphorie - das waren die Anfänge der Sommermusikakademie: 1992 fanden sich die Akteure, 1993 fand die erste Akademie statt - drei Wochen Improvisation. Doch das Konzept trägt auch heute noch.

Hundisburg l "Wir haben alle Pläne in einen Topf geworfen, kräftig durchgerührt und waren uns ziemlich schnell einig", erinnert sich Ferry Tomaszyk an die Gründung der Internationalen Sommermusikakademie, die beim Stammtisch am Dienstagabend im Schloss-Café Thema war. Rolf-Dieter Arens trug sich 1992 mit der Idee, ein Festival zu veranstalten. Er plante eine Kammermusikreihe mit Studenten aus Ost und West. "Den alten Kreis Haldensleben kannte ich ganz gut, meine Frau stammt aus dem Pfarrhaus in Bregenstedt", erzählt der Konzertpianist. "Und hier war ein bisschen tote Gegend." So landete er schließlich bei Landrat Eckhard Sigusch.

Der Hundisburger Ferry Tomaszyk war gerade mit dem Studium fertig und voller Pläne, angefangen von einem Kulturzentrum in der Gaststätte. Das aber hatte ihm Ulrich Hauer, damals stellvertretender Bürgermeister von Hundisburg, schnell ausgeredet. Die Idee mit den Musikstudenten, die hier ein Konzert geben sollten, fand er schon besser. Die gab er dann auch an Bärbel Pieper im damaligen Landratsamt weiter. Und auch Ferry Tomaszyk hatte sich an den Landrat gewandt. So lief schließlich alles auf ein erstes Treffen hinaus, zu dem Tomaszyk, Arens, Hauer und Bärbel Pieper zusammenkamen.

"Nicht kleckern, sondern klotzen", hatte Eckhard Sigusch damals geraten, weiß Bärbel Pieper noch, und Kreis-Dezernent Joachim Hoeft hatte viel Mühe, noch Mittel in den Kreishaushalt für das nächste Jahr einstellen zu können. Seither unterstützt der Landkreis alljährlich die Sommermusikakademie. Landrat Hans Walker war am Sonnabend zur Opernaufführung und habe weitere Unterstützung zugesagt, freut sich Rolf-Dieter Arens. Außerdem ist die Stadt Haldensleben - inzwischen Eigentümer des Schlosses - zuverlässiger Partner, wofür Renate Schmidt am Dienstag mit am Tisch saß.

Die Idee stand: Studenten aus aller Welt sollten sich hier zu einem Orchester zusammenfinden, drei Wochen proben und schließlich ein Konzert geben.

Ferry wandte sich an Musikhochschulen in aller Welt, organisierte eine Orchesterbesetzung. In Hundisburg mussten inzwischen die sächlichen Voraussetzungen geschaffen werden. "Die Studenten mussten wohnen, und wir brauchten vernünftige Toiletten", sagt Ulrich Hauer. Wohnräume im Schlosskomplex wurden hergerichtet. Die damals entstandenen Toiletten werden heute noch genutzt.

"Als das Stroh raus war, das war ein irre schöner Raum"

Ganz viele Handwerker arbeiteten kostenlos, begeistert von der Idee. In Calvörde wurde die Berufshilfsschule aufgelöst, Joachim Hoeft leitete das Mobiliar nach Hundisburg um - Metallbetten mit dreiteiligen Seegrasmatratzen. Holger Jäger strich mit zusammengemischten Farbresten die Metallgestelle.

In einem ABM-Projekt wurde die Scheune ausgeräumt. "Die Frauen haben fast sechs Monate nur Stroh gepresst, um die Scheune leer zu kriegen", sagt Roland Winkelseßer. Die letzten Meter waren nur noch Dreck. Ganz unten haben eine Hakenkreuzfahne und ein Karabiner gelegen, weiß Ulrich Hauer noch, "also wurde die Scheune seit etwa 1945 nicht ausgeräumt." Balken mussten ersetzt werden. "Das war ein richtiger Aha-Effekt, als das Stroh raus war, das war ein irre schöner Raum", blickt Bärbel Pieper zurück. Die erste Bühne von damals wurde inzwischen dreimal vergrößert. Anfangs saßen die Zuschauer auf zusammengesuchten Stühlen, später auf selbstgebauten stabilen Bänken. Die Ziegelei half viel, auch mit Steinen für den Fußboden.

Die Ideen des damaligen Arbeitskreises Schloss Hundisburg, aus dem der Verein Kultur-Landschaft Haldensleben-Hundisburg hervorging, und das Vorhaben der Sommermusikakademie passten zusammen. "Das war eine glückliche, günstige Konstellation, die es nur einmal im Leben gibt", ist sich Rolf-Dieter Arens ganz sicher. Die Euphorie hatte damals das ganze Dorf erfasst. Erst recht, als die Studenten kamen.

"Wir waren alle total naiv", meint Bärbel Pieper. Die Studenten waren schon eingeladen, als die Finanzierung noch gar nicht sicher war. Dann kamen Studenten ohne Geld, für die musste wenigstens ein bisschen Taschengeld besorgt werden. Viele Hundisburger Familien luden Studenten zu sich ein, meist bildeten sich Länderfraktionen, machte Bärbel Pieper deutlich.

"Ferry hatte sich das Musikprogramm ausgedacht und danach Studenten eingeladen. Wie das geklappt hat, das verstehe ich bis heute nicht", sagt Ulrich Hauer. Dann fehlte noch ein Dirigent. Also fuhr Ferry Tomaszyk zur Hochschule nach Berlin, suchte den Professor der Dirigentenklasse, stellte das Projekt vor und bat um eine Empfehlung. Die bekam er dann auch, und der damals 22-jährige Gabriel Feltz sagte nach kurzer Bedenkzeit auch zu.

Feltz war bis vor kurzem Chefdirigent der Stuttgarter Philharmonie und Gastdirigent an der Oper Basel und hat jetzt die Oper in Dortmund übernommen, erzählte Johannes Klumpp, Dirigent der Akademie seit fünf Jahren, als in der Runde gefragt wurde, was aus dem ersten Dirigenten geworden sei.

"Ich habe in der Kommandantur um einen Hornisten gebeten"

Als im Sommer 1993 alle Studenten angereist waren, stellte Ferry Tomaszyk fest, dass einer fehlte. "Entweder war der Hornist verschütt gegangen oder vergessen worden", blickt Ferry Tomaszyk zurück. Woher sollte er nun schnell einen Hornisten bekommen? "Ich bin zur sowjetischen Kommandantur nach Hillersleben gefahren und habe um einen Hornisten aus dem Orchester gebeten." Der Kommandeur stimmte zu. Der Hornist musste zwar jeden Tag geholt und wieder zurückgebracht werden, aber das Orchester war komplett. Und eines Abends rückte das ganze Orchester der sowjetischen Streitkräfte an und machte richtig Stimmung, spielte alles von den Beatles bis zum Jazz. "Wir hatten für ein bisschen Wodka gesorgt", meint Hauer, und sicher nicht nur dafür.

Dieses spontane "große Fest der Völkerfreundschaft" ist für Ulrich Hauer bis heute eines der größten Erlebnisse aus den 20 Jahren Sommermusikakademie. Kurz danach ist die Sowjetarmee abgezogen, und die Sommermusikakademie hatte ab dem nächsten Jahr einen eigenen Hornisten.

Die erste Sommermusikakademie lebte von der Improvisation. Die Studenten probten überall auf dem Schlosshof, in Ställen und Ruinen, wo es ein freies Plätzchen gab, und zum Abschlusskonzert kamen 700 Leute, die passten gar nicht alle in die Scheune hinein, viele standen noch halb draußen, die Türen mussten offen bleiben. "Die Leute waren so begeistert und haben nach jedem Satz wild geklatscht. Inzwischen hat es Rolf-Dieter Arens geschafft, dass ein Stück erst bis zu Ende gespielt werden kann, ehe der Applaus einsetzt, und es funktioniert", ergänzt Detlef Gärtner schmunzelnd.

Blumen für die Studenten hatten Frauen aus dem Dorf übrigens aus brachliegenden Schrebergärten geholt und daraus Sträuße gebunden.

Jahrelang hat die Sommermusikakademie mit Improvisation gelebt. "Wir haben Glück gehabt, dass nichts passiert ist", sagt Ulrich Hauer. Konzerte in der Kirche, in der Ziegelei, in der Alten Fabrik von Kurt Hegner in Althaldensleben kamen dazu. So ist es bis heute, allerdings ist die Akademie auf eine Woche verkürzt.

"Wir sind noch in denselben Spielstätten und haben ein Konzept, das noch immer trägt"

"Wir sind noch immer in denselben Spielstätten, immer noch spielt ein Studentenorchester, wir haben ein Konzept, das immer noch trägt", sagt Harald Blanke, Leiter der Schloss- und Gartenverwaltung, der bei der ersten Akademie "nur Gast" war.

"Wenn es immer noch zwei bis drei Menschen gibt, die das mit Begeisterung machen, funktioniert das auch weiter", sagte Johannes Klumpp. "Wenn ein paar Verrückte oder - romantisch formuliert - Visionäre, zusammenkommen, kann Unglaubliches entstehen. Hundisburg ist irre", ergänzte er und bedankte sich bei den Verrückten. Und dieses Dankeschön bekamen die Macher an diesem Abend von den mehr als 40 Frauen und Männern mehrfach zu hören. "Dankeschön an die Spinner der ersten Stunde", formulierte es Karen Beyer.