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Hinter den Kulissen Großes Theater in der alten Gießerei

Techniker des Nordharzer Städtebundtheaters ebnen "Faust" den Weg nach Ilsenburg. Das Stück wird in einer alten Gießerei aufgeführt.

Von Sandra Reulecke 29.04.2016, 01:01

Ilsenburg/ Halberstadt l Vertrauenerweckend wirkt der Seitenflügel des alten Backsteingebäudes nicht: Das Dach ist teilweise eingestürzt, es fehlen Fensterscheiben, Unkraut wuchert in der maroden Dachrinne. „Der Eindruck täuscht, es stürzt nicht ein“, versichert Mario Lohmann und lacht.

Der Bühnentechniker und sein Team arbeiten im Inneren der Fürst-Stolberg-Hütte Ilsenburg. Dort, wo seit 1530 Eisenkunstguss hergestellt wurde, errichten die Männer nun eine Bühne. Am Sonnabend, dem Walpurgistag, inszeniert das Nordharzer Städtebundtheater darauf „Faust – Der Tragödie erster Teil“. Es wird die erste Vorstellung an dem Ort sein und gleichzeitig den Schlusspunkt für die Spielzeit des Stückes setzen.

Doch bis die Schauspieler noch einmal in die Rollen des Gelehrten Faust, Mephistos und Gretchens schlüpfen können, sind Handwerker gefragt.

Zu zehnt sind die Bühnentechniker in Ilsenburg im Einsatz. Mit mehreren Fahrzeugen – beladen mit unzähligen Schrauben, Brettern, Stoffen, Bühnenbildern und Podesten – sind sie von Halberstadt in die Ilsestadt gefahren. Pläne für den Zusammenbau benötigen sie nicht. Jeder Handgriff sitzt. Routine. „Es ist schon das zwölfte Mal, dass ich beim Aufbau der Bühne dabei bin“, berichtet Michel Zelas. „Da weiß man, wo welcher Nagel hingehört.“ Seit drei Jahren ist der gelernte Drucker beim Nordharzer Städterbundtheater angestellt. „Ich hatte schon immer Interesse für Theater“, sagt der 31-jährige Quedlinburger, hebt scheinbar mühelos ein meterlanges Kulissenstück auf und trägt es an seinen Bestimmungsort.

Als Techniker bekommt man Einblick in so ziemlich jeden Bereich des Theaters, bestätigt sein Kollege Frank Schlechta. Die Männer sehen und hören, wie die Schauspieler und Tänzer proben. Das werde nie langweilig und behalte seine Faszination. Seit 25 Jahren ist der Pabstorfer nun schon dabei. Noch immer schaue er sich die Stücke gern an. Er mag seinen Job. „Für mich ist es mehr als Arbeit, es ist ein Lebensinhalt“, berichtet der 46-Jährige.

Dennoch habe er schon öfter mit dem Gedanken gespielt, wieder in seinem Lehrberuf Schlosser zu arbeiten. „Es ist schwer, die Familie und die Arbeitszeiten unter einen Hut zu bringen“, erläutert Schlechta. Es gibt Schichten, Teildienste, Dienstreisen durch ganz Deutschland. Langzeitige Planungen sind für den Familienvater und seine Kollegen schwierig: Der Dienstplan wird wöchentlich erstellt.

Aber die Vorteile des Berufs überwiegen, versichert er. Kein Tag gleiche dem vorherigen. Die Arbeiten sind abwechslungsreich: Kraftfahrer, Lichttechniker, Bühnenaufbauer, Möbelpacker – der Beruf vereint mehrere Gewerke. „Und man lernt interessante Menschen kennen“, so Frank Schlechta. Zum Beispiel Schauspieler. Sind sie denn so, wie es die Klischees besagen? Er lacht. „Es gibt solche und solche. Viele sind nett, aber es sind auch Diven dabei.“ Besonders in der Probenendphase für ein neues Stück seien die Darsteller angespannt und dünnhäutig.

Aufregung kennen auch die Bühnentechniker. Es wäre ihre Schuld, sollte ein Mime über eine Kante oder einen herausstehenden Nagel stolpern. Marko Lohmann ist sich dieser Verantwortung sehr bewusst. „Die Schauspieler sollen sich auf das Spielen konzentrieren, nicht auf das Laufen“, sagt der Bühnenmeister und nagelt gewissenhaft den Fußboden auf den Bühnenboden. Der 47-Jährige sei jedes Mal froh, wenn die Vorstellung zu Ende ist, ohne dass die Podeste zusammengebrochen sind. „Das ist bei uns noch nie passiert. Aber wie man dank Videos im Internet sehen kann, ist es möglich ...“

Und das, obwohl Bühnen streng kontrolliert werden. „Spätestens vor der Generalprobe nimmt die Bauaufsicht, oder im Fall von Halberstadt die Feuerwehr, den Aufbau ab“, erläutert der Fachmann. Wird das Stück an wechselnden Orten aufgeführt, reicht zumeist die einmalige Abnahme.

Ist der Veranstaltungsort kein Theater, ist das Improvisationstalent der Techniker gefragt. So ist der Fußboden der Fürst-Stolberg-Hütte keine ebene Fläche, er besteht aus Kies. Mit Holzstücken gleichen die Männer Höhenunterschiede aus. Oder sie glätten den Kies mit einer Maurerkelle. „Die lag hier rum“, berichtet Lohmann.

Ohnehin gibt es viel in der Halle zu entdecken: Alte Blechschilder zieren die Wände und erinnern an die Geschichte des Bauwerkes. Knapp unterhalb der Hallendecke ist ein Kran angebracht. Er kann, jeweils an den Seitenwänden befestigt, von einem Ende des Gebäudes zum anderen gefahren werden. 1922 wurde er installiert, informiert eines der Blechschilder. „Damit wurden früher wohl die Kessel mit dem heißen Eisen und die Eisenteile bewegt“, mutmaßt einer der Techniker. Trotz seines hohen Alters ist der Kran voll funktionstüchtig. Während der „Faust“-Vorstellung wird er für die Lichttechnik genutzt, erklärt Lohmann.

Er ruft seine Mitarbeiter zu einer Kaffeepause zusammen. Das heiße Getränk tut gut. In der Halle ist es kühl, da sie nicht beheizt werden kann. Darauf sollten sich auch die „Faust“-Zuschauer am Sonnabend mit ihrer Kleiderwahl einstellen. Wenn das Publikum nach der – hoffentlich gelungenen, unfallfreien – Vorstellung das Gebäude verlässt, ist auch Marko Lohmann zufrieden.