Heimatgeschichte Alles auf Zucker: So abwechslungsreich ist die Geschichte eines Industriedenkmals, das in Wegeleben zu finden ist

Wegeleben
Eine erste Zuckerfabrik in Wegeleben wurde vom Domänenpächter Oekonomierat Weyhe und seinem Compagnon Schatten schon im Jahre 1846 unter dem Namen „Firma Weyhe und Schatten“ auf dem Domänehof gegründet.
Wegen des wachsenden Erfolges des Zuckerrübenanbaus entstand aus der Compagnie eine Aktiengesellschaft: „Aktien-Zuckerfabrik Wegeleben“. Das Gebäude ist zum Teil noch erhalten, weil später darin das Büro und die Inspektorwohnung eingerichtet wurden.
Reste der Feldbahn noch vorhanden
Die moderne Zuckerfabrik Wiersdorff, Meyer & Co. wurde 1873 in Wegeleben zwischen der Harsleber und der Schulstraße errichtet. Vom Gut Adersleben entstand eine 600-Millimeter-spurige Feldbahn dorthin, Reste von ihr liegen noch heute auf dem Gutshof in Richtung Bodebrücke.
Die neue Fabrik hatte eine äußerst vorteilhafte Lage: Der Anschluss an das Eisenbahnnetz war einfach zu schaffen; damit war der Zugang zur Kohle in Nachterstedt, zum Kalksteinbruch in Rübeland sowie die Anfuhr von Rüben und der Abtransport von Zucker und auch von Rübenschnitzeln gesichert.
Reparationsleistung an die Sowjetunion
Außerdem gab es genügend Wasser aus dem Goldbach sowie aus eigenen Tiefbrunnen. Das angrenzende Gelände bot Raum für Kläranlagen und einen natürlichen Abfluss. Die Produktionsanlagen der Fabrik wurden 1945 als Reparationsleistung an die Sowjetunion demontiert.
Hauptaktionär dieser Fabrik war die Familie Wiersdorff, die ursprünglich aus Wiedersdorf bei Barleben stammen soll, berichtet Chronist Franz Grohmann. „Die Wiersdorffs waren damals als gute Bauern bekannt.“ Sie bekleideten Ehrenämter als Schöffen bei Gericht, Richter, Kirchväter, Bauernmeister und Ortsvorsteher beziehungsweise Bürgermeister.
Neue Fabrik wurde mit Dampfkesseln ausgerüstet
1850 gründete Johann Andreas Wiersdorff in Dahlenwarsleben eine Zuckerfabrik. Wiersdorff konnte expandieren, denn die Zuckerrübe verdrängte nun andere Kulturen, zum Beispiel den Flachsanbau. 1857 pachtete Johann Andreas Wiersdorff den „Edelhof Gröningen“, und er plante da eine neue Zuckerfabrik, da die in Kloster Gröningen schon veraltet war.
Die neue Zuckerfabrik in Wegeleben wurde sofort für den Betrieb mit Dampfkesseln ausgerüstet. Diese Fabrik hatte einen Einzugsbereich von Sandersleben bis Vienenburg und besaß einen eigenen Anschluss an den Bahnhof Wegeleben. Sie beschäftigte 140 Personen als Stammpersonal und verfügte durch Grundbesitz über eine beachtliche eigene Rübenproduktion.
Geleitet wurde die Fabrik in Wegeleben durch Ernst Walter Wiersdorff, der mit Emy geb. Hecker verheiratet war, sehr erfolgreich. Er trachtete danach, dass zwischen den Kampagnen laufend Neuerungen, Verbesserungen und Erweiterungen vorgenommen wurden. Das Areal an der Harsleber Straße gehörte deshalb zu den modernsten Zuckerfabriken Europas.
Mit der Reihe der „Beamtenhäuser“ für Stammpersonal an der Harsleber Straße, der Gärtnerei, dem Haus des Adoptivsohnes Curt Eichert-Wiersdorff am Blankenburger Weg, dem Tennisplatz, dem eigenen Park, Stallungen und so weiter. Daneben befand sich das weitläufige Fabrikgelände mit Schnitzelgruben, Klärbecken, Entlade- und Waschanlage, Werkstätten, Pumpstationen, alles mit autonomer Trinkwasser- und Stromversorgung, Rohrleitungen und Feldbahnschienen.
Viel genutztes Dusch- und Wannenbad
Nach Kriegsende erging am 21. Januar 1946 der Befehl, dass die Fabrik als Reparationsleistung an die UdSSR zu demontieren ist. In den von da an stetig mehr verfallenden Gebäuden fanden zwar im Laufe der Jahre verschiedene Betriebe einen Unterschlupf, aber zu ihrer Erhaltung wurde wenig getan. In den 1950er Jahren hatte die Stadt hier ein viel genutztes Dusch- und Wannenbad eingerichtet; aber nach 1990 erfolgte der Abriss.
Wie die Chronik weiter berichtet, war Walter Wiersdorff als Neoliberaler politisch aktiv. Im preußischen Abgeordnetenhaus vertrat er die Wahlbezirke Halberstadt und Oschersleben sowie die Grafschaft Wernigerode. Er war Mitbegründer des Dampfkesselüberwachungsvereins in Halberstadt bis zu seinem Tod (1932) und er gehörte dem Direktorium des Vereins der Deutschen Zuckerindustrie an.
Unternehmer schenkte der Stadt einen Kindergarten
Wiersdorff engagierte sich in Wegeleben auch sozial: Auf dem Kirchhof kaufte er das Haus Nr. 10 und schenkte es der Stadt als Kindergarten (1883); an der Harsleber Straße ließ er eine Turnhalle bauen, die am 22. Oktober 1910 der Stadt übergeben wurde. In der Langen Straße ließ er das Haus Nr. 21 A als Ärztehaus und Krankenstation errichten. Auf dem städtischen Friedhof stiftete er die Feierhalle, und er beschaffte einen Leichenwagen und ließ dafür auf seinem Grundstück eine Remise bauen.
Seine Frau Emy sorgte für die Schwangeren der Stadt: Sie ließ eine Gebärstation einrichten und siedelte mit Emma, genannt Emmi, Dunemann eine junge Hebamme in Wegeleben an.
Die Kinder der Betriebsangehörigen lud sie zu Ostern und zu Weihnachten von zu Feiern im Park am Herrenhaus beziehungsweise vor ihrer Weihnachtskrippe ein, dort gab es kleine Geschenke.