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Coronavirus Harzer Gesundheitsamt im Dauerstress

Seit Corona gehören Überstunden im Gesundheitsamt Harz zur Tagesordnung. Immer häufiger werden Mitarbeiter beschimpft.

Von Sandra Reulecke 04.11.2020, 00:01

Halberstadt l Aktuell 98 mit dem Corona-Virus infizierte Harzer, zudem 548 Personen in Quarantäne. Diese Zahlen für den Landkreis Harz hat das Gesundheitsamt am Dienstag, 4. November bekannt gegeben. Wie arbeitet die Behörde unter Pandemie-Bedingungen? Amtsärztin Dr. Heike Christiansen und ihr Team gewähren der Volksstimme einen Einblick.

Der Medizinerin ist anzumerken, dass harte Wochen hinter ihr liegen. Trotz Mund-Nasen-Schutz sind Anspannung und Augenringe im Gesicht der zierlichen Ilsenburgerin unübersehbar. „Eine solche Situation gab es noch nie“, sagt sie. Krisen kenne sie, seit sie 1997 ihren Job beim Gesundheitsamt angefangen habe. Die Flüchtlingswelle 2015 etwa oder nach dem Ausbruch der Schweine-Grippe in der Region 2009 war das Gesundheitsamt stark gefordert. „Das war auch anstrengend, aber nicht so ausufernd und langanhaltend“, sagt die 59-Jährige. Corona sei eine völlig neue Herausforderung. „Niemand kann uns sagen, wie lange das so bleiben wird.“

Was schätzt sie? „Ich glaube, dass es mindestens ein halbes Jahr dauern wird, bis sich alles normalisiert.“ Damit meine sie jedoch nicht, dass das Virus dann verschwunden ist. „Los werden wir Corona nicht mehr. Wir werden lernen müssen, damit zu leben.“ Und um zu verhindern, dass sich die Pandemie weiter so rasant ausbreitet.

Quarantäne und Nachverfolgung der Infektionsketten seien wichtige Werkzeuge dafür. Doch Letzteres wird angesichts der steigenden Fallzahlen immer schwieriger. Wie die Zeit-Online am 1. November veröffentlichte, stoße bereits fast jedes zehnte der etwa 400 deutschen Gesundheitsämter an Kapazitätsgrenzen – insbesondere beim Nachvollziehen der Kontaktpersonen.

Wie ist die Situation im Harz-Kreis? „Die Folgefälle sind noch gut ermittelbar, aber die Erstfälle sind oft nicht mehr nachvollziehbar“, berichtet die Ärztin. Auffällig sei in jüngster Zeit, dass es sich bei den Personen, die positiv auf Corona getestet wurden, seltener um Reiserückkehrer handele. „Sie haben sich offenbar im Landkreis angesteckt.“

Vorausgesetzt, sie antworten wahrheitsgemäß auf die Fragen, die ihnen von den Mitgliedern des Corona-Teams gestellt werden. Mehr als 30 sind es. „Es werden täglich mehr.“ Gearbeitet werde werktags von 6 bis 20 Uhr, an den Wochenenden, eine zusätzliche Bereitschaft wurde eingeführt.

Was ist mit den anderen Aufgaben des Gesundheitsamtes wie dem Ausstellen von Gesundheitszeugnissen, die Menschen benötigen, die mit Lebensmitteln arbeiten wollen, Beratungen zu Impfungen und Aids, amtsärztlichen Gutachten, dem kinder- und jugendärztlichen sowie dem jugendzahnärztlichen Dienst? Bleibt das während Corona auf der Strecke? „Wir versuchen abzuarbeiten, was möglich ist. Anderes muss verschoben werden“, so die Amtsleiterin.

Aufgrund der extremen aktuellen Herausforderungen unterstützt Personal aus anderen Abteilungen der Kreisverwaltung ebenso wie sechs Bundeswehrsoldaten aus Havelberg und Weißenfels die Mitarbeiter des Gesundheitsamtes. „Es melden sich immer mal wieder Leute, die uns helfen wollen“, berichtet die Amtsärztin. „Ich finde das richtig gut, aber das geht leider nicht.“

Zu sensibel seien die Daten, mit denen gearbeitet wird. Namen von Infizierten dürfen nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Aus gutem Grund. „Wir haben schon davon gehört, dass in Orten bekannt wurde, wer positiv getestet wurde, und die Menschen ausgegrenzt und beleidigt wurden.“

Wie sehr das Thema Corona die Gemüter erhitzt, spüre auch das Team des Gesundheitsamtes am eigenen Leib. „Der Ton wird zunehmend rauher“, berichtet Amtsärztin Christiansen. Besonders im Internet machten einige ihrem Frust Luft. „Das Telefonat mit dem Gesundheitsamt war eine Katastrophe“ oder „Ich schätze mal, wenn sie immer so arbeiten wie heute, bekommen wir das Ergebnis Ende nächster Woche“ gehörten noch zu den freundlicheren Aussagen, die via Facebook nach dem Bekanntwerden eines Corona-Falls in der Kita in Drübeck gepostet wurden. Daniela Wäser spricht davon, dass teilweise ein regelrechter „Shitstorm“, also ein lawinenartiges Auftreten negativer Kritik, ausgebrochen sei.

Wäser ist normalerweise im sozial-psychatrischen Dienst des Gesundheitsamtes tätig. Aktuell ist sie mit der Nachverfolgung von Kontaktpersonen von positiven Fällen beschäftigt. „Ich rufe die Menschen an und teile ihnen mit, dass sie nun unter Quarantäne stehen.“ Das sei verbindlich, auch wenn ein entsprechendes Schreiben erst später folge. „Zum Glück habe ich bisher fast immer ganz, ganz nette Leute gehabt, die sich sogar bedankt haben.“

Doch es gebe auch Fälle, in denen die Reaktionen wütend ausfallen. Was Heike Christiansen zum Teil verstehen kann. „Manche tun uns richtig leid. Für Selbstständige kann eine Quarantäne existenzbedrohend sein“, räumt die Medizinerin ein.

Unverständnis gebe es oft, weil sich die Betroffenen gesund fühlen. Manche trotz positivem Testergebnis. „Wir denken, dass etwa die Hälfte der mit dem Corona-Virus Infizierten Symptome hat“, informiert die Ärztin. Diese reichten von leichtem Schnupfen bis hin zu schweren Verläufen.

Auch wenn eine Kontaktperson negativ getestet wird, bleibe die Quarantäne für sie aufrecht erhalten, berichtet Nancy Lenz. „Wir hatten das tatsächlich schon, dass erst negativ Getestete nach ein paar Tagen Symptome entwickelt haben und der nächste Test positiv ausfiel“, erläutert sie die Notwendigkeit.

Ihr Arbeitsplatz befindet sich im Erdgeschoss des Gesundheitsamtes und hat einen separaten Eingang. „Wir nehmen hier die Abstriche von Kontaktpersonen oder Verdachtsfällen“, informiert ihre Kollegin Mandy Bullieck. Das geschehe unter Vollschutz. „Wir sind aber auch Psychiater, Aufklärer und Informations-Geber“, ergänzt Nancy Lenz.

Viele derjenigen, die zu den Tests vorgeladen werden, seien aufgeregt, wüssten nicht, wie sie sich verhalten sollen – insbesondere, wenn Kinder involviert sind. „Es ist unglaublich schwer, was von Familien verlangt wird. Es ist viel Disziplin notwendig“, räumt Heike Christiansen ein. Quarantäne oder Isolation mit Kindern in einer kleinen Wohnung – da können 14 Tage sehr lang werden.

Das hören auch die Mitarbeiter immer wieder, die während der Zeit Kontakt zu den Betroffenen halten. Ihre Aufgabe ist es, mögliche Krankheitsverläufe zu erfragen, zu beraten und zu informieren. Aber auch zu kontrollieren, ob der „Hausarrest“ tatsächlich eingehalten wird. Das sei nicht immer der Fall. Es sei schon vorgekommen, dass positiv Geteste zu einer Party gegangen sind, berichtet die Amtsärztin. Was Konsequenzen nach sich ziehen könne: „Bei frappierenden oder kontinuierlichen Verstößen wird ein Ordnungswidrigkeitsverfahren eingeleitet.“

Die Abstrichproben, die in Halberstadt entnommen werden, würden nicht im Landkreis untersucht, sondern beim Landesamt für Verbraucherschutz in Magdeburg. „Die sind wirklich schnell und zuverlässig“, lobt Nancy Lenz. So sei es möglich, dass die Bearbeitung eines Falles in der Regel innerhalb von 24 Stunden abgeschlossen werden könne, sagt Heike Christiansen.