Coronavirus Lesestoff aus der Telefonzelle
In Harsleben gibt es eine öffentliche Bücherzelle. Initiatorin Jacqueline Dannenberg hat hierfür eine Telefonkabine umgebaut.
Harsleben l Gerade in diesen Tagen dürfte das Lesen auf dem heimischen Sofa oder im Bett eine beliebte Freizeitbeschäftigung sein, um der drohenden Langeweile in der Corona-Zeit zu entkommen. Glücklich können sich in dieser Hinsicht die Menschen in Harsleben schätzen, wo es seit dem vergangenen Jahr einen öffentlichen Bücherschrank gibt. In der umgestalteten Telefonzelle auf dem Alexanderplatz können sich die Bewohner mit Lesestoff versorgen und im Gegenzug selbst Romane, Sachbücher und Kinderliteratur einstellen – und das kostenlos, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.
Initiatorin der originellen Einrichtung ist Jacqueline Dannenberg, die seit 20 Jahren in Harsleben wohnt. „Ich habe im vergangenen Jahr zum zweiten Mal gemeinsam mit einer Freundin den Dorfflohmarkt organisiert“, erzählt sie von der Anfangszeit des Vorhabens. Für die Harsleberin habe schnell festgestanden, dass ihr Anteil am Erlös des Kaffee- und Kuchenverkaufes an ein Projekt im Dorf gehen müsse. Da habe sie die zündende Idee gehabt: „Da ich selbst Bücherwurm bin und viel lese, kam ich auf den Gedanken, dass in Harsleben eine Bücherzelle fehlt.“
Auch das passende Objekt war schnell gefunden: Bei einem Antikhändler in Halberstadt habe Dannenberg bald nach dem Flohmarkt die Telefonzelle entdeckt. Der aber habe sich erst einmal quergestellt und nicht verkaufen wollen. „Ich habe ihn dann so lange bequatscht und ihm die Sache schmackhaft gemacht, bis er schließlich nachgegeben und mir die Telefonzelle für 250 Euro verkauft hat“, erzählt die Initiatorin. Am Ende habe der Verkäufer ihre Hartnäckigkeit sogar noch mit zwei geschenkten Bücherkisten belohnt.
Damit konnte der Umbau der Telefonzelle losgehen: Zuhause habe Dannenberg mithilfe ihres Mannes die Kabine abgeschliffen, sie in den Harsleber Farben grün-weiß angestrichen, Regalbretter angebracht und die Beleuchtung inklusive Bewegungsmelder eingebaut. Um die Zelle noch etwas aufzupeppen, habe sie außerdem Sprüche für die Seitenwände anfertigen lassen („Lesen gefährdet die Dummheit“, „Ein Dorf ohne Bücher ist wie ein Körper ohne Seele“).
Bei der Realisierung ihres Vorhabens hat die Harsleberin viel Rückhalt aus dem Dorf erfahren. So habe ihr ein Bekannter beim Transport mit dem Multicar geholfen, Bauhof-Mitarbeiter hätten das Fundament errichtet. Unterstützung sei darüber hinaus aus dem Rathaus gekommen: Bürgermeisterin Christel Bischoff (parteilos) sei gleich „Feuer und Flamme“ gewesen, so Dannenberg, und habe sich um die behördlichen Dinge gekümmert. Am 16. November konnte die Einweihung der Bücherzelle gefeiert werden.
Seither sei der Bücherschrank, der in zentraler, aber ruhiger Lage am Alexanderplatz zum Verweilen einlädt, „ein Selbstläufer“, sagt Dannenberg. Die Harsleber nähmen das Angebot gut an, ein Anwohner habe ihr berichtet, dass gerade an den Wochenenden ein reger Betrieb und ein ständiges Kommen und Gehen herrsche. Dazu trägt sicher auch das breite Angebot der Bücherzelle bei, das nicht nur viele neue Bücher, sondern neuerdings auch DVDs umfasst.
Einmal in der Woche schaut Dannenberg bei ihrer Bücherzelle vorbei, um aufzuräumen und Nachschub einzustellen. Viel zu tun sei dabei aber meist nicht: „Die Dorfbewohner achten gemeinsam mit darauf, dass hier alles in gutem Zustand bleibt.“ So habe ein Anwohner beim Sturm die Tür zugebunden, weil die immer auf und zu ging. Auch würden viele Harsleber selbst neue Literatur einstellen – lediglich Kinderbücher seien mitunter rar.
Auch der örtliche Kindergarten sei im Januar im Rahmen einer Lesewoche bereits da gewesen. „Die Kleinen haben einen Vormittag hier verbracht und sich die Kinderbücher angeschaut. Die waren begeistert“, sagt Dannenberg. Auf diese Weise, so hofft sie, könnten auch schon die Jüngsten für das Lesen begeistert werden.
Jacqueline Dannenberg, die seit 2019 Vize-Bürgermeisterin (Alternative für Harsleben) ist, betont, dass Eigeninitiative auch auf dem Dorf etwas bewegen kann. „Viele haben mich im Vorfeld gefragt: Warum tust du dir das an? Ich finde aber, dass es immer auf den Versuch ankommt.“ So stamme ihr Lebensmotto von Albert Einstein: „Auf Veränderung zu hoffen, ohne selbst etwas dafür zu tun, ist wie am Bahnhof zu stehen und auf ein Schiff zu warten.“