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Coronavirus Schulbetrieb im Harz auf Sparflamme

Nach mehr als sechs Wochen betreten viele Harzer Schüler in diesen Tagen erstmals wieder ihre Klassenräume.

Von Holger Manigk 12.05.2020, 10:08

Halberstadt/Wernigerode l Die Zehntklässler haben gestern die erste schriftliche Prüfung hinter sich gebracht. Während die Sekundarschüler – aufgeteilt auf mehrere Räume und mit viel Abstand zwischen den Tischen – konzentriert die Fragestellungen abarbeiten, konnten die Fünftklässler der Freiherr-Spiegel-Schule erstmals wieder Unterricht in Normalmodus erleben. Also mit Lehrer, Unterrichtsgespräch und Austausch. Normal war der Tag dennoch nicht.

„Es gibt ein festes Procedere, das vom Landesschulamt vorgegeben ist“, sagt Andrea Fellbaum. Die Direktorin der Ganztagssekundarschule „Freiherr Spiegel“ hat mit ihrem Kollegium alles vorbereitet, damit auch die jüngeren Jahrgänge für einen Tag in der Woche Präsenzunterricht erleben. Die zehnten Klassen sind schon länger wieder in Unterrichtsräumen und Fluren unterwegs, für sie stand die Prüfungsvorbereitung an. Derweil haben die anderen Jahrgänge Aufgaben zu Hause erledigt – mit Abgabeterminen in der Schule, Nachfragemöglichkeiten per Mail und Telefon.

Online-Unterricht, davon ist der Schulalltag im Harzkreis weit entfernt. Zwar ist die Spiegel-Schule mit dem Gymnasium Martineum und der Sekundarschule „Thomas Mann“ in Dardesheim eine von drei Projektschulen im Altkreis Halberstadt, an der ein finnisches Unternehmen mit Laptops und neuer Software für tatsächliche Digitalisierung sorgen soll, doch der digitale Alltag ist noch weit weg. „Wir können die Technik nur in der Schule nutzen, aber es fehlen uns Schulungen und auch zum Teil Technik“, sagt Andrea Fellbaum. Drei Schüler sollten zu Medienscouts ausgebildet, die Lehrer für die Nutzung der neuen Technik fit gemacht werden. Wann das passiert, ist angesichts der Kontaktbeschränkungen unklar. Auch wenn sie von dem Projekt überzeugt und begeistert ist – digital ist der Unterricht noch lange nicht. Flächendeckendes W-LAN in der Schule allein macht noch keine Digitalisierung.

Zudem habe man während der Schließzeit festgestellt, dass die wenigsten Haushalte auf solche Situationen vorbereitet sind. „Die Kinder haben zwar fast alle ein Handy, aber einen PC oder Laptop haben die wenigsten, geschweige denn Drucker und Co. zuhause.“

Genutzt haben die Lehrer die Schließzeit unter anderem, um alle Noten auf den aktuellen Stand zu bringen, die Eltern über den Stand der Kinder zu informieren. „Leider ist bislang noch völlig unklar, ob es auf den Zeugnissen ein Versetzungsvermerk geben soll oder nicht“, sagt die Direktorin.

Doch inzwischen haben alle Übung darin, auf klare Aussagen zu warten. Und auch, dass es durchaus mal widersprüchlich zugehen kann in diesen Zeiten. So sah das Bildungsministerium durchaus Sportunterricht mit alternativen Sportarten, die aktuelle Landesverordnung hingegen schließt das nun wieder aus. Zu tun hat die Sportlehrerin dennoch, sie ist viel im Einsatz auf den Pausenhöfen der Schule. Denn die Schüler beginnen ihren Unterrichtstag nicht nur versetzt und haben verkürzte Blöcke, sondern auch versetzte Pausenzeiten. „Anders sind die Abstandsregeln weder einzuhalten noch zu kontrollieren“, erklärt Andrea Fellbaum. In ihrem Büro hängen die Übersichtspläne, wann welche Klasse im Haus ist, wie der Stundenplan für die Schüler aussieht, welche Lehrer wann wo sind. Alles angepasst an die neuen Bedingungen.

Jede Klasse ist in drei Gruppen geteilt, damit auch in den Klassenzimmern der Abstand zueinander gewahrt ist. Alle Schüler werden belehrt, die Oberflächen ebenso regelmäßig desinfiziert wie die Räume gelüftet. „Das Gesundheitsamt kontrolliert, ob wir die Hygienevorschriften einhalten“, so die Direktorin, und so finden sich schon im Eingangsbereich die ersten Möglichkeiten zur Handdesinfektion.

Maskenpflicht hat die Wernigeröderin für die Schule nicht ausgerufen, den Kindern und Jugendlichen wird aber das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung empfohlen, wenn sie die Klassenräume verlassen.

Das werden sie wohl maximal einmal in der Woche tun können, denn durch die Teilung der Klassen ist der Raumbedarf riesig. Zudem dürfen maximal drei Jahrgänge gleichzeitig in der Schule sein. Also heißt es an vielen Tagen weiterhin für die Schüler, zuhause zu lernen. Für die bevorstehenden Pfingstferien gibt es nicht nur wieder ein Notbetreuungsangebot wie in der vorangegangenen Schließzeit, sondern auch Angebote für Schüler, Versäumtes nachzuholen. Ihre 25 Kollegen stünden parat, seien sehr motiviert, berichtet die Direktorin. „Der Zusammenhalt ist einfach toll.“

Das ist in seiner Grundschule nicht anders, berichtet Sebastian Lütgert. Auch an der Miriam-Lundner-Grundschule in Halberstadt haben die Lehrer viel gelernt in den vergangenen Wochen, haben sich überlegt, wie sie ihren Kindern Wissen vermitteln können, auch wenn die nicht im Unterricht anwesend sein können. So sind Tutorials entstanden. Klar seien die Videos laienhaft, sagt Lütgert, aber Grundschüler können sich Stoff noch nicht allein erarbeiten wie Sekundarschüler. „Und als Schule haben wir wenig andere Möglichkeiten, es gibt ein Smartboard und nicht einen internetfähigen Schüler-Rechner im Haus, wie sollen wir da Kinder digital unterrichten? Zumal auch nicht alle Elternhäuser die erforderliche Technik besitzen“, so der Schulleiter. Von daher gab es wie an fast allen Schulen auch, die Aufgaben auch herkömmlich auf Papier. Die Aufgaben konnten dann in der Schule abgeholt werden – nach Anmeldung. Denn Eltern dürfen nicht mehr einfach die Schule betreten, ist doch ein Betriebsfremder zu Gast, besteht für diesen Maskenpflicht.

Um den Wechsel an die weiterführenden Schulen möglichst leicht zu machen, sind die Viertklässler schon eine Woche länger wieder im Präsenzunterricht, sehen ihre Klassenkameraden und Lehrer. Gestern und heute dürfen das auch die ersten und zweiten Klassen, am Mittwoch und Donnerstag sind dann auch die Drittklässler mal wieder im Schulhaus anzutreffen.

Die Eltern sind informiert worden, wo die Aufstellflächen sind. „Zum Glück haben wir genug Platz vor der Schule und auf dem Hof“, sagt Lütgert. Jede Klasse ist in zwei Gruppen geteilt und wird von den Kollegen in die Räume geführt. Dort fehlen viele Tische. „Wir haben ausgeräumt, um klar zu zeigen, wo ein kund sitzen darf. Alles andere wäre schwieriger“, sagt Lütgert. Allerdings stoße die Schule an Kapazitätsgrenzen. „Jetzt rächt sich, dass es unseren Anbau noch immer nicht gibt“, sagt der Schulleiter. Er hofft, dass die Erfahrung der vergangenen Wochen dazu führt, dass der Bund und Sachsen-Anhalt die Wirtschaft wieder ankurbeln, indem es ein öffentliches Investitionsprogramm gibt – für Schulbauten und technische Ausrüstung an Schulen. „Da hätten viele Branchen was von, zudem brauchen Schulen personelle Unterstützung durch Techniker, wenn es tatsächlich vorangehen soll mit der Digitalisierung.“

Auch an der Marianne-Buggenhagen-Schule in Darlingerode setzt man auf eigene kreative Lösungen. So hat Lehrer Andreas Werner eine Lernplattform auf der Schulinternetseite eingerichtet. „Für unsere Viertklässler, die noch Zuhause bleiben müssen, gibt es online kleine Lernspiele und Aufgaben“, nennt Werner ein Beispiel. Zudem unterrichte er Kleingruppen über das Video-Chatportal Skype. „Das funktioniert, dazu bieten wir für unsere Grundschüler wöchentlich Skype-Sprechstunden an.“

Die aktuell anwesenden 50 der normalerweise 175 Jungen und Mädchen aus dem gesamten Harz tragen in den Pausen Mundschutzmasken, die in der eigens eingerichteten Nähstube entstehen. Die Schule bietet Grund- und Sekundarschule sowie Förderschule mit dem Schwerpunkt körperlich-motorische Entwicklung unter einem Dach.

„An erster Stelle steht die Gesundheit der Schüler und Kollegen, doch wir wollen zurück zum Regelbetrieb“, sagt Elke Wirl, stellvertretende Direktorin. So seien zunächst die Abschlussklassen, die gestern in ihre Prüfungen starteten, zur Vorbereitung in die Einrichtung am Oehrenfelder Weg zurückgekehrt. Bis zu den Sommerferien sollen 33 besonders virusanfällige Schüler mit körperlichen Problemen unter speziellem Hygieneschutz folgen. „Am Konzept dafür arbeiten wir akribisch weiter.“

Seit gut einer Woche kehrt auch im Landesgymnasium für Musik in Wernigerode nach und nach wieder mehr Leben ein. Klassen- und Kursstärken sind halbiert worden, um den nötigen Abstand zwischen den Lernenden zu gewährleisten.

„Besonders sensibel“ sei die Lage im Internat des Musikgymnasiums, so Schuldirektor Detlef Gieseler. Zwar dürften die Schüler wieder in das Wohnheim, „doch wir haben die Belegung der Doppelzimmer halbiert“. Beim Zusammenleben die Infektionsschutz-Regeln umzusetzen, sei eine „hochanspruchsvolle Aufgabe. Immerhin ist das Internat nicht nur ein Ort der Bildung, sondern normalerweise auch der Freizeit, des Miteinanders und der Essensversorgung“, so der Schulleiter.

An Chorproben sei derzeit nicht zu denken. „Wenn 15 stimmgewaltige junge Sänger nah beieinander stehen, wäre die Ansteckungsgefahr viel zu groß“, so Gieseler. Sein Wunsch: „Dass sich unsere Chormitglieder bald wieder in kleinen Gruppen – vielleicht zu fünft – treffen können.“ Dabei gehe es weniger um künstlerische Aspekte als sozialen Zusammenhalt. „Wir fiebern der Zeit entgegen, wenn wir endlich wieder auftreten dürfen.“