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Vom waghalsigen Hobby zum professionellen Sport Der Schwerkraft zum Trotz: 16-Jähriger aus Aschersleben will bei Motocross-Weltmeister ganz vorne mitfahren

Nach dem Schulabschluss faulenzen – für Noah Ludwig ist das nichts. Der 16-Jährige trainiert hart und hat ein Ziel vor den Augen: die Weltmeisterschaft im Motocross.

Von Detlef Anders und Sandra Reulecke 20.06.2021, 08:45
Nein, das Bild ist nicht aus der falschen Perspektive gedruckt. Noah Ludwig trotzt mit seinen Motorrädern tatsächlich der Schwerkraft und legt sich beinahe wagerecht in die Kurven.
Nein, das Bild ist nicht aus der falschen Perspektive gedruckt. Noah Ludwig trotzt mit seinen Motorrädern tatsächlich der Schwerkraft und legt sich beinahe wagerecht in die Kurven. Foto: MX.NICO.NIC

Westerhausen - mz/vs

Als Jugendlicher fuhr Marco Ludwig mal zur Motocross-Weltmeisterschaft nach Teutschenthal. Für den Hobby-Motocrosser aus Ascherslebens Ortsteil Westdorf ein unvergessliches Erlebnis. Nun könnte im Oktober sein 16-jähriger Sohn Noah Ludwig selbst bei der Weltmeisterschaft dort starten. „Das ist Wahnsinn“, sagt Marco Ludwig stolz. „Am Anfang war es die Freude, dass das Kind das Hobby teilt. Dann sieht man immer mehr Erfolge und ist einfach nur stolz.“

Der Sohn schmunzelt, während er sich auf der Crossstrecke in Westerhausen für das Training umzieht. Sein Vater hat ihm das gewisse „Crosser-Gen“ schließlich vermacht. Schon im Kinderwagen hat er dem Vater fast jedes Wochenende auf Cross-Strecken zugesehen. „Ich habe mit fünf Jahren angefangen“, berichtet Noah. Seit seinem zwölften Geburtstag fährt er 250-Kubik-Motorräder – allerdings nur auf Rennstrecken, einen Führerschein hat er noch nicht, wie er gesteht.

Rasantes Tempo, waghalsige Sprünge, sich in Kurven legen, als gebe es keine Schwerkraft – Motocross ist nichts für schwache Nerven. Hat man da als Elternteil keine Angst ums eigene Kind? „Welches sportliche Hobby birgt denn keine Gefahren?“, stellt Marco Ludwig als Gegenfrage. „Die Schutzausrüstungen sind mittlerweile wirklich gut, die halten eine Menge ab.“ Seiner Frau aber, berichtet der Aschersleber, falle es nicht immer leicht, den Sprüngen des Sohnes zuzusehen. Anfeuern und unterstützen tut sie ihn natürlich trotzdem. Immerhin hat der 16-Jährige großes Potenzial.

Training für Körper und Geist

Noah Ludwig (16) wird am kommenden Wochenende bei einem Rennen der Motocross-Weltmeisterschaft in England an den Start gehen.
Noah Ludwig (16) wird am kommenden Wochenende bei einem Rennen der Motocross-Weltmeisterschaft in England an den Start gehen.
Foto: Detlef Anders

„Noah ist in Deutschland eines der größten und hoffnungsvollsten Talente“, sagt Konrad Smolinski. Er ist der Mental- und Fitnesstrainer des jungen Fahrers, gibt ihm nicht nur Anleitung dafür, körperlich fit zu bleiben, sondern auch dafür, geistig gestärkt in den Wettkampf zu treten, wie Noah erläutert.

Sein Talent blieb auch Andreas Kosbahn, dem Geschäftsführer des Motorsportclubs Teutschenthal im ADAC, dem Noah seit dem Wechsel vom MSC Alterode angehört, nicht verborgen. Kosbahn betont: „Noah ist einer der schnellsten deutschen Nachwuchsfahrer.“

Der junge Mann aus Westdorf, einem Ortsteil Ascherslebens, träumt davon, Profi zu werden. „Wenn er bei der WM in die Top 20 fährt, dann kann man darauf nächstes Jahr vielleicht den Fokus legen“, sagt sein Vater.

Eigentlich war die WM-Teilnahme schon 2020 geplant, doch Corona machte dem einen Strich durch die Rechnung. Nicht der erste Rückschlag seiner Karriere: 2019 hätte Noah Deutscher Meister werden können. Doch er war bei den ersten beiden Saisonrennen nicht dabei, weil diese zu weit weg stattfanden. So wurde es letztlich „nur“ Bronze.

Konrad Smolinski, der als Sportwissenschaftler in Gera vor allem Extremsportler wie Ultramarathon-Läufer betreut, lobt nicht nur die fahrtechnischen Fähigkeiten im Motocross, sondern das „Gesamtpaket“. Noah sei bereit, enorm viel für seinen Traum zu geben. „Er gibt nie auf und ist ein extremer Beißer. Er hat Willenskraft, wie kaum ein anderer.“ Ähnlich wie der Held in der Hollywood-Comic-Verfilmung „300“. Die Zahl hat Noah auch als sein Markenzeichen gewählt.

Lehrer sind eingefleischte Fans

Obwohl er stolz auf sein Hobby und seine Erfolge ist, bleibt Noah bescheiden, verkündet seine Siege nicht gleich am nächsten Tag in der Schule. „Meine Freunde finden es schon toll, dass ich das mache. Aber ich rede nicht ständig darüber und prahle.“ Muss er auch gar nicht, wie der Vater einwirft. Zum einen sprechen sich die Erfolge dank sozialer Netzwerke ganz ohne viel Zutun herum. Zum anderen waren unter Noahs Lehrern eingefleischte Fans, die den jungen Rennfahrer im Unterricht ausfragten.

Gerade hat Noah die zehnte Klasse der Realschule beendet. Ein Ende seiner Schulzeit bedeutet das allerdings nicht. Wie der Sportler informiert, wird er nach den Ferien für sein Fach-Abi an die Fachoberschule nach Staßfurt wechseln.

Schule, Training, Sporteinheiten, die Fahrten zu Rennen, Gespräche mit seinen zahlreichen Sponsoren und Unterstützern – bleibt da überhaupt noch Zeit, um Freunde zu treffen, einfach mal ins Schwimmbad zu gehen? „Na klar, das soll er auch alles machen, er ist schließlich noch jung“, betont Marco Ludwig.

Allerdings, so räumt der Vater ein, sei das Hobby durchaus ein Zeitfresser. Für die ganze Familie, zu der auch die jüngere Schwester gehört. Die Zehnjährige teilt die Begeisterung für Motocross übrigens nicht, berichtet der Vater. „Sie ist eine Normale“, sagt er lachend. Die Familie versuche, ihr deshalb so viel Normalität wie möglich zu bieten. Ein Spagat.

Mit dem Wohnmobil quer durch Europa

Schließlich ist Noah fast jedes Wochenende entweder zum Training auf Strecken in ganz Deutschland oder zu internationalen Wettkämpfen unterwegs. Kommende Woche geht es nach England, für das erste Rennen der WM, die sich bis zum Jahresende ziehen wird.

Mit Wohnmobil und Hänger ist die Familie zu den Austragungsorten in Europa unterwegs. Für die Eltern – meist begleitet der Vater Noah – bedeutet dies, den Jahresurlaub mit den Zeitplänen der Wettbewerbe in Einklang zu bringen. Für gemeinsame Erholungsreisen bleiben da nur wenige freie Tage übrig.

Neben der Zeit spielt das Geld eine große Rolle bei diesem Hobby. Ein Renn-Motorrad könne locker 10 000 Euro kosten, informiert der Vater. Und eine Maschine reiche nicht. Die Krux: Motocross ist eine Randsportart. Da sie nicht im olympischen Programm ist, wird sie nicht wie andere Sportarten gefördert. „Ohne Sponsoren und Unterstützer würde das nicht funktionieren“, betont Marco Ludwig. Die vier 250er Motorräder, die Noah Ludwig fährt, stellt etwa der Hersteller KTM. Es freue ihn, sagt der Vater, dass Noah mittlerweile von zahlreichen Leuten, auch aus der Region, unterstützt werde – die vor Rennen nicht selten aufgeregter seien als der Sohn selbst – Mentaltraining sei Dank.

Vater ist auch Technikchef

Ob ihm das auch dabei geholfen hat, Geduld zu bewahren? Denn wie Andreas Kosbahn berichtet, musste der Rennkalender international und national wie schon 2020 in das zweite Halbjahr verschoben werden. „Wir sind aber zuversichtlich, dass Noah 2021 bei WM- und/oder EM-Rennen am Start stehen wird.“

Und fokussiert den Sieg anpeilt, wie er es schon seit vielen Jahren tut. Er war Landesmeister und auch Deutscher Jugendmeister. „Springen mag ich schon gerne“, bestätigt Noah Ludwig eine Aussage aus einem MZ-Beitrag von 2012. In dem Jahr hatte er alle Landesmeisterschaftsrennen gewonnen und war nie mit Technikschaden ausgefallen. Schließlich ist sein Vater auch sein Technik-Chef.