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Drechslerei Wo Handwerk zur Kunst wird

Drechslermeister Hans-Hermann Lodahl aus Dingelstedt hat, wovon andere träumen. Er kann arbeiten, wann er will.

Von Ramona Adelsberger 11.01.2018, 13:07

Dingelstedt l Das Wohnzimmer von Familie Lodahl trägt, unverkennbar, die Handschrift des Drechslermeisters. Auf dem Tisch steht eine Lampe mit einem filigranen Fuß. „Das ist ein Teil meines Meisterstücks, eines Obstsatzes“, erklärt Hans-Hermann Lodahl. Dieses bestand mal aus mehreren Stücken und ist im Laufe der Jahre getrennt worden.

Drechsler sei immer sein Traumberuf gewesen, betont der 79-Jährige, der heute noch in dem Gebäude lebt, das einst sein Großvater erbaut hat. „Ich bin sogar in diesem Haus zur Welt gekommen.“ Zu seinem Zwillingsbruder Günter besteht bis heute ein enges Verhältnis. „Unseren 80. Geburtstag am 1. April wollen wir gemeinsam feiern.“

Vater Otto Lodahl hatte zunächst als Maurer gearbeitet und seinen Job verloren. „Ich will nie wieder arbeitslos sein und mache mich selbständig“, hatte er beschlossen, von 1920 bis 1923 den Beruf des Drechslers gelernt und 1948 seinen Meister erworben. „Die Werkstatt hinter dem Haus, die wir bis heute benutzen, hat mein Vater eingerichtet“, betont Hans-Hermann Lodahl. Die Bandsäge, die noch immer schnurrt, habe der Vater 1938 angeschafft.

Als Otto Lodahl den  14-jährigen Hans-Hermann als Lehrling einstellen wollte, sei das zunächst nicht möglich gewesen. „Damals haben Arbeitskräfte in der Schwerindustrie gefehlt, das hatte Vorrang.“ Nach dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 allerdings sei das System etwas gelockert worden und die Handwerkskammer erlaubte die Ausbildung des Sohnes. „1956 beendete ich die Lehre und arbeitete bis 1969 als Geselle bei der Firma Thielemann auf dem Johannesbrunnen in Halberstadt.“ Hier habe er vor allem kunsthandwerkliche Fertigkeiten erworben, die seine weitere berufliche Laufbahn maßgeblich prägen sollten.

Nach dem Grundwehrdienst bei der NVA bereitete sich Lodahl auf die Meisterprüfung vor, die er am 3. Oktober 1967 in Neuhausen im Erzgebirge ablegte. Als der Senior 1969 schwer erkrankte, übernahm Hans-Hermann Lodahl den väterlichen Betrieb und startete zum 1. April in die Selbständigkeit.

„Hauptsächlich Holz von Obstbäumen haben wir verarbeitet, Kirsche, Birne oder Apfel. Wir hatten das Glück, dass wir in einer obstreichen Gegend leben, und die Bäume damals regelmäßig und in deutlich gesünderem Zustand bereits ersetzt wurden“, erklärt Lodahl. Bis heute bilden „Deutsche Edelhölzer“ das Profil der Drechslerei.

„Unser Sortiment zu DDR-Zeiten umfasste Aufträge wie Gardinenstangen im Landhausstil und kunstgewerbliche Gegenstände, die unter dem Oberbegriff ‚Raum und Tafelschmuck‘ gehandelt wurden.“ Dazu hätten Schalen aller Art und Größe, Teller, Etageren, aber auch Kleinteile wie Serviettenringe oder Stopfpilze gehört. „Privatkunden kamen von weit her, es hatte sich wohl rumgesprochen, dass meine Holzgewinde lange halten“, sagt der Meister stolz. Vertriebspartner sei das Kunstgewerbeschäft Thielemann gewesen, wo Hans-Hermann Lodahl bis zur Selbständigkeit tätig war.

Als schlimmste Zeit seines Berufslebens nennt Lodahl die Monate um die Währungsunion 1990, als alle die Aufträge weggebrochen waren und die Geschäftswelt im Osten still zu stehen schien. Er sagt: „Ich habe damals nichts mehr zu tun gehabt und bin in Panik verfallen.“

Zum Glück habe diese Durststrecke nicht lange angehalten und die Auftragsbücher sich wieder gefüllt. Nun seien vor allem Treppengeländersprossen oder Thekensäulen gefragt gewesen, die genau eingepasst werden mussten. Restauratoren hätten an die Tür geklopft und in der Werkstatt seien Kirchensäulen, Kapitelle und riesige Leuchter entstanden. „Wir können bis vier Meter spannen“ beschreibt Hans-Hermann die Möglichkeiten in der Firma. Dass er seine Drechslerwerkstatt nie zum Produktionsbetrieb entwickelt habe, sondern immer beim Kunstgewerbe in Einzelstücken oder kleinen Stückzahlen geblieben sei, habe sich nun ausgezahlt. Das Sortiment, das heute nur noch nach Aufträgen gefertigt werde, umfasse auch Notenständer, Dokumentenhüllen, Teile für Designermöbel oder ungewöhnliche Behältnisse für ganz besondere Dinge nach Entwürfen von Künstlern. Sogar Schmuck in verschiedensten Ausführungen sei begehrt.

Große Unterstützung habe er in all den Jahren bei seiner Ehefrau Rosemarie gefunden. Beide sind seit Oktober 1967 verheiratet, die Liebe wurde mit drei Kindern gesegnet.

Sohn Martin Lodahl, der Älteste der drei Lodahl-Kinder, ist in die Fußstapfen seines Vaters getreten. Er sagt: „Ich habe in der Drechslerei Däter in Eilenstedt gelernt und die Berufswahl bis heute nicht bereut.“ Freilich hätte er auch gern studiert, doch als Sohn eines selbständigen Vaters und einer in der Kirchengemeinde aktiven Mutter habe er als 1968 Geborener keine Chance auf ein Abitur erhalten. Im April 2001 habe er den väterlichen Betrieb übernommen, der Vater unterstütze ihn bis heute.

Martin Lodahls erster eigener und bis heute häufigster Auftrag seien Klaviertragegriffe. „Eine ganz besondere Herausforderung sind Spezialaufträge“, erklärt der Fachmann, der zur Zeit an Modellen von Raketentriebwerken arbeitet. Martin Lodahl hat 1991 seinen Meister erworben. Allerdings fahre er von Beginn an zweigleisig. Er habe ein kirchenmusikalisches Seminar besucht und sei auch gelernter Orgelbauer. Hier schließe sich der Kreis, denn eine Orgel besteht auch aus einer Vielzahl gedrechselter Holzteile.

Mit dem heute vierjährigen Enkel Florian könnte bei Lodahls nun die vierte Generation heranwachsen. „Florian interessiert sich sehr für das Arbeiten mit Holz und hat bereits seinen eigenen Arbeitsplatz in der Werkstatt“, sagt Großvater Lodahl. Der Kleine sieht das eher pragmatisch. Er gesteht: „Ich würde lieber Fußballer werden, aber Drechseln macht auch Spaß.“