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Archäologie Ein Skelett in der Swimmingpool-Grube: Baugebiet in Halberstadt ist eine Schatztruhe für Archäologen

Im Halberstädter Sonntagsfeld, dort, wo Familien ein Zuhause finden wollen, sind Archäologen tätig. Sie legen Tausende Jahre alte Gräber frei.

Von Sandra Reulecke Aktualisiert: 16.4.2021, 10:33

Halberstadt. „Ohne Vorstellungskraft geht bei uns gar nichts“, betont Matthias Sopp. „Für Außenstehende sieht das doch aus wie Dreck“, sagt er und hält einen vermeintlichen Stein hoch. Doch dieser ist alles andere als gewöhnlich und auch keines natürlichen Ursprungs. Es handelt sich um die Scherbe eines Gefäßes, das vor Tausenden Jahren von Menschen gefertigt wurde.

Seit mehr als 20 Jahren sind Archäologen wie Sopp in Halberstadt im Einsatz, um solche Fundstücke und die Geschichte der ersten Siedler dieser Region ans Tageslicht zu befördern. Tätig sind die Grabungsexperten im Bereich Sonntagsfeld am Rande der Domstadt. Noch vor einem viertel Jahrhundert als Ackerland genutzt, stehen mittlerweile 51 Eigenheime auf der Fläche zu Füßen der Spiegelsberge. „Sechs sind derzeit noch im Bau beziehungsweise werden in Kürze noch errichtet“, informiert Rathaussprecherin Ute Huch. Damit sei das Baugebiet voll.

So stattlich manche der Häuser auch sind, halten sie dem Vergleich mit den Maßen der jungsteinzeitlichen Pendants, die an dieser Stelle einst errichtet wurden, nicht stand. „Sie waren 30, 40 Meter lang, Nord-Süd orientiert und dicht an dicht gebaut“, beschreibt Matthias Sopp. Obwohl nur aus Holz – mit Lehm verkleidet und vermutlich sogar bemalt – erbaut, seien bis heute Spuren der Bebauung im Erdreich sichtbar: als dunkle Flecken.

Grabstelle zwischen Vorratsgruben

„Die Siedlung ist riesig, sie umfasste das gesamte Baugebiet und das über Generationen“, berichtet der promovierte Archäologe. Er sei bei Grabungen auf 24 der Baugrundstücke dabei gewesen – bearbeitet wurden jedoch weitaus mehr. Derzeit seien die letzten zwei Grundstücke dran.

Untersucht werden diese aber nicht vollständig, sondern nur an den Stellen, wo Tiefbauarbeiten stattfinden, so Sopp. Für die Grundplatten der Häuser etwa oder auch in den Gruben, die später einmal ein Pool werden sollen.

In einer solchen Grube ist das Grabungsteam auf ein Skelett gestoßen. Vermutlich die sterblichen Überreste einer jungen Frau. Beerdigt wurde sie rund 500 vor Christus, in einer extremen Hockstellung, das Gefäß neben ihrem Schädel, nur als Scherben vorhanden, diente als Grabbeigabe. Ihre Gebeine liegen inmitten von Vorrats- und Siedlungsgruben. Das ist nichts Ungewöhnliches, berichtet der Grabungsleiter. Menschen dieser Kultur hätten ihre Angehörigen ganz in ihrer Nähe beerdigt, nicht außerhalb der Siedlungen, wie es später üblich wurde.

Was sagen die künftigen Bewohner des Grundstückes dazu? Finden sie es seltsam, dass ein Skelett unter ihrem Pool gefunden oder ein ganzes Gräberfeld entdeckt wurde, wo sie ihr Haus errichten wollen? „Nein, wer hier baut, der weiß, dass etwas gefunden wird“, so Sopp. Es gebe kaum ein Grundstück in dem Baugebiet, auf dem die Archäologen in den vergangenen rund 20 Jahren nicht ein Grab entdeckt hätten. Eine Überraschung sei das für die Bauherren also längst nicht mehr.

Jahrtausende nur wenige Meter voneinander entfernt

Zumal sie nicht mit dem Gedanken leben müssen, dass ihr Haus auf Gebeinen errichtet wird. Alles, was die Forscher ans Tageslicht bringen, wird dokumentiert und ins Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt gebracht, um dort weiter untersucht zu werden.

Viele der Häuslebauer seien interessiert und wissbegierig, wenn es um die Grabungen geht. „Hier bauen wirklich nur nette Leute, die meisten kenne ich mittlerweile.“ Und so kommen auch jetzt wieder Bewohner des Sonntagsfelds immer mal wieder vorbei, um sich über die Entdeckungen auf den letzten beiden Grundstücken, die untersucht werden, zu informieren.

Diese liegen zwar nur wenige Meter auseinander, die Funde daraus stammen jedoch aus ganz unterschiedlichen Zeiten. Auf dem einen sind es Überbleibsel aus der Jungsteinzeit, der Linienbandkeramik-Kultur. „Rund 5000 vor Christus kamen Leute aus dem Donau-Raum auf der Suche nach guten Böden hierher“, sagt Matthias Sopp. „Das war eine völlig neue Kultur, die erste, die hier sesshaft wurde, Siedlungen baute und Ackerbau betrieb. Sie waren auch die Ersten, die Keramik herstellten.“

Das zweite Grundstück, das derzeit von Sopp und vier seiner Kollegen untersucht wird, liegt nordwestlicher. Hier bringen die Forscher Scherben und Spuren aus der jüngeren vorrömischen Eisenzeit, etwa ab 600 vor Christus, zum Vorschein. Auf diesem Gelände sind weniger Haken und pinke Sprühspuren, die Fundstellen markieren, zu entdecken. „Keramik aus der Bronzezeit ist zum Teil besser erhalten als Funde dieses Feldes“, sagt der Archäologe. Das liege nicht zuletzt an der Herstellungsart. So sei in der Bronzezeit schon das Prinzip eines Brennofens bekannt gewesen und die Menschen hätten für ihre Gefäße guten Ton gesucht. „Man darf sich das nicht so vorstellen, dass die Entwicklung des Menschen von primitiv zu hoch entwickelt geradlinig verlief“, sagt der 64-Jährige. Vielmehr sei dies wellenförmig geschehen.

Im Mai endet das Kapitel Sonntagsfeld

Dass Zeugnisse von späteren Menschen, etwa aus dem Mittelalter, nur selten zu entdecken sind, sei jedoch einem anderen Umstand geschuldet. Im Mittelalter, so erläutert Sopp, sei der gute Boden dieser Gegend für landwirtschaftliche Zwecke, nicht aber als Siedlung oder Begräbnisfeld genutzt worden.

Bis Mitte Mai 2021 wird das Grabungsteam noch im Sonntagsfeld forschen. Danach ist dieses Kapitel endgültig beendet. Dass sie damit weniger zu tun haben werden, müssen die Experten nicht befürchten. Mitteldeutschland sei eine wahre Schatzgrube für Archäologen. „Hier in der Gegend kann man seinen Spaten werfen, und trifft immer etwas“, sagt Grabungstechnikerin Kerstin Sonntag lachend und wendet sich wieder einer dunklen Stelle im Erdreich zu. Dabei handele es sich um eine Feuerstelle, erläutert Soop und entdeckt in der gelockerten Erde eine weitere Scherbe.

Solche Funde selbst, so sehr er sich auch darüber freue, seien gar nicht das Interessanteste an seinem Beruf. „Uns geht es um die Zusammenhänge, die Erkenntnisse die wir mit den Funden erhalten.“ Sie seien eben keine Schatzjäger, sondern Wissenschaftler.