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Wahl Einzelkämpfer mit viel Heimatstolz

Halberstadt wählt am 5. Juli einen Oberbürgermeister. Es treten sechs Kandidaten an. Einer von ihnen ist Einzelkandidat Jan-Peer Hartig.

Von Sabine Scholz 24.06.2020, 01:01

Halberstadt l Es fühle sich sinnvoll an, sagt Jan-Peer Hartig. Er habe gerade das Gefühl, mit seiner Rückkehr nach Halberstadt zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. „Ich treffen oft Menschen zur rechten Zeit, es entstehen neue Freundschaften. Das ist ein Teil meiner Motivation“, sagt der 47-Jährige. Ein weiteres Moment seiner Motivation habe mit der Wende 1989 zu tun, berichtet der in Halberstad geborene Hartig.

Die Wendezeit erlebte er als Oberschüler. „Klar haben wir uns damals auch mit eingebracht. Aber ich habe das Gefühl, dass viel liegen geblieben ist damals, wir haben nicht so viele Ziele und Wünsche durchsetzen können, wie es erforderlich oder wichtig gewesen wäre. Eigentlich ging uns allen doch das alles viel zu schnell“, sagt Hartig rückblickend. „Und jetzt gibt es wieder die Möglichkeit, etwas zu ändern. Ich will mir nicht den Vorwurf machen müssen, es nicht versucht zu haben.“

Dass er für das Amt des Oberbürgermeisters kandidiert, habe er sich gut überlegt. Auch, das Amt ohne die Unterstützung einer Partei anzustreben. Er nehme es so wahr, sagt er, dass bei vielen Menschen eine Politikverdrossenheit herrsche, vielen egal sei, was um sie herum geschehe. Weil sie sich nicht ernst genug genommen fühlten oder den Eindruck hätten, die Parteien verfolgten nur eigene Interessen.

„Viele sagen mir, dass sie das Vertrauen in die Akteure verloren haben“, berichtet Hartig, der sich meist viel Zeit für seine Gesprächspartner nimmt, zuhört. So sehr, dass es fast eindringlich wirkt. In den vergangenen Wochen habe er viele Menschen angesprochen, mit Freunden geredet. Ihn habe erstaunt, wie schnell er die erforderlichen 100 Unterstützerunterschriften zusammen hatte. „Die Menschen suchen jemanden, der ein Sprachrohr für sie und ihre Wünsche ist.“ Davon ist Hartig mittlerweile fest überzeugt. Und er sei jemand, der von keinem anderen Interesse geleitet werde als von dem, seine Heimatstadt voranzubringen.

Dass sich sechs Kandidaten dazu entschlossen haben, ihren Hut in den Ring zu werfen und Oberbürgermeister Halberstadts werden zu wollen, ist für ihn ein gutes Zeichen. Bei aller Politikverdrossenheit zeige diese Zahl an Kandidaten nicht nur eine große Vielfalt an Meinungsspektren. „Es zeigt vor allem, dass das Interesse an der Stadt da ist, das Interesse daran, seinen Lebensmittelpunkt zu verbessern, mit zu gestalten.“

Hartig liebt seine Stadt, innig sogar. Als junger Erwachsener ging er nach Bayern, mit seiner Frau, ebenfalls eine Halberstädterin. Aber während diese sich rasch wohlfühlte im neuen Umfeld, wurde Hartig nicht so wirklich warm mit den Menschen in Bayern. „Ich hatte immer das Gefühl, sehr viel zurückgelassen zu haben. Die ganzen 20 Jahre, die ich in Bayern lebte. Jetzt, mit meiner Rückkehr, fühlt sich alles wieder richtig an.“

Seine Frau ist mit dem erwachsenen Sohn in Bayern geblieben. Die Ehe ist mittlerweile geschieden. Keine einfachen Entscheidungen für Hartig, aber er habe gelernt, mehr auf sich als Mensch zu achten, sagt er. „Es gab Situationen in meinem Leben, in denen ich Angst hatte, mich selbst zu verlieren. Ich habe gelernt, damit umzugehen.“

Seine Entscheidung gegen den sicheren Job in Bayern zum Beispiel, sei solcher Erfahrung geschuldet. 20 Jahre lang habe er bei der AOK in Bayern gearbeitet. In der Abteilung Fehlverhalten. Da habe er in vielen schwierigen Situationen Erfahrungen gesammelt, habe gelernt, genau hinzuschauen, Konflikte zu lösen. Handelt es sich tatsächlich um Abrechnungsbetrug oder einen schlichten Rechenfehler? Kämpft jemand aus gutem Grund um etwas oder nur, um sich zu bereichern?

In den Jahren kam Jan-Peer Hartig zu einer bitteren Erkenntnis. „Die Bestimmungen und Regelungen dienen meiner Meinung nach nicht mehr dazu, den Leuten Hilfe zukommen zu lassen, die sie brauchen. Im Gegenteil, wer sich auskennt und gewieft ist, bekommt sein Recht, nicht aber unbedingt der, der die Unterstützung wirklich braucht.“ Er habe versucht, daran etwas zu ändern. Lange. Irgendwann habe er sich enttäuscht eingestanden, einen Kampf gegen Windmühlenflügel zu führen.

Angst davor, auch als Oberbürgermeister in solch eine Situation zu kommen, hat er nicht. „Manche sagen, du bist doch kein Politiker, was willst du da erreichen? Denen sage ich dann immer: ich bin ein Mensch.“ In seinen Gespräche erfahre er, dass es vielen darum gehe, als Mensch wahrgenommen zu werden. „Der Mensch selbst sollte wieder mehr im Mittelpunkt stehen.“

Doch nicht nur das Miteinander, die Art und Weise der Kommunikation untereinander bewegt Hartig dazu, sich der Wahl zu stellen. In Bayern habe er ein großes Selbstverständnis der Einwohner erlebt, einen tiefverwurzelten Stolz auf ihre Sprache, auf ihre Traditionen und ihren Wohnort. Das vermisse er in Halberstadt ein bisschen. Dabei gäbe es allen Grund, ebenso stolz zu sein.

Nicht nur, weil Halberstadt in einer zauberhaften Landschaft liegt. „Als ich zurückgekommen bin, habe ich die Stadt tatsächlich laufend neu erkundet“, sagt Hartig. Im Wortsinn, denn beim Joggen und beim Radfahren, seiner zweiten großen Sportleidenschaft, habe er nicht nur frische Luft getankt und den Kopf freibekommen, sondern viele schöne Ecken entdeckt. „Wir haben so tolle Räume hier, die müssen wir nur mit Leben füllen.“

Jugendliche, die im Park Basketball spielen, Grünanlagen, die so gestaltet sind, dass die Menschen aus ihren Wohnungen kommen, Lust darauf haben, draußen zu sein, mit anderen ins Gespräch zu kommen. „Das hat mit Lebensqualität zu tun“, sagt Hartig.

Doch dafür müsse noch einiges getan werden. Den Verkehr in der Altstadt zu verlangsamen, hält er für den richtigen Weg. „Warum probieren wir da nicht einfach viel mehr aus“, fragt er. Eine Idee für ihn wäre, die Taubenstraße für den Durchgangsverkehr zu sperren. „Man kann solche Dinge doch mal ein Jahr testen und sehen, welche Erfahrungen wir damit machen.“

Kultur, Freizeit, Arbeitsplätze, Architektur, zeitgemäßes Wohnen, Verkehr, Grün – das alles müsse für diese Zielstellung besser vermarktet, klarer entwickelt werden. Gerade junge Leute bräuchten noch andere Angebote, um sich wohlzufühlen in ihrer Stadt.

Mut zum Probieren, Mut, gewohnte Pfade zu verlassen, das stehe der Stadt gut zu Gesicht, ist Hartig überzeugt. Nicht immer brauche es dafür viel oder gar zusätzliches Geld. „Wir haben doch die Mittel, wie müssen sie nur so einsetzen, dass sie langfristig wirken“, so der Halberstädter. Er wolle, sagt er, ein großes Ziel erreichen, brauche dafür aber das Mittun vieler Einwohner. „Wir müssen die Stadt so interessant machen, dass viele sagen: Komm‘, wir ziehen nach Halberstadt.“