Grundschule folgt speziellem Konzept Förderung für Pfiffikusse und Lernschwache
"Nicht für alle das Gleiche, sondern für jeden das Beste" lautet das Motto der Erich-Kästner-Grundschule in Haldensleben. Neben der Förderung von Schülern mit Lerndefiziten werden auch begabte Kinder individuell beschult.
Haldensleben l "Ich darf heut durch das große Mikroskop gucken?", fragt Anne aus der 2a der Erich-Kästner-Grundschule mit leuchtenden Augen ihre Lehrerinnen Marlis Frohse und Birgit Teßmann. Und auch ihre Mitschüler Marius, Aron, Fabian, Anna und Jessica reden gleich aufgeregt durcheinander, als sie in das schuleigene Labor gelassen werden. Sie können sich nicht entscheiden, welche mathematischen, kombinatorischen oder biologischen Aufgaben sie zuerst lösen wollen.
Ein Mal in der Woche gehen die Schüler in den Raum, den die Lehrerinnen als Labor hergerichtet haben. Denn die Kinder gehören zu den Pfiffikussen ihrer Klasse.
Als Marlis Frohse und ihre Kolleginnen Andrea Beckschulte und Birgit Teßmann vor vier Jahren mit den Pfiffikus-Stunden begannen, wussten die meisten Lehrer auf Anhieb, welche Schüler sie dafür auswählen würden.
Die Pfiffikus-Förderung dreht sich vorranging um die Naturwissenschaften, also Biologie, Mathematik, Physik und Chemie. Wer nun aber an althergebrachte Strukturen denkt und glaubt, die starken Schüler würden automatisch von den schwächeren getrennt, ist auf der falschen Fährte. Was die Kultusministerien der verschiedenen Bundesländer nämlich schon seit Jahren in allen Schulen gleichermaßen umsetzen wollen, wird in der Erich-Kästner-Grundschule auf dem Süplinger Berg Tag für Tag gelebt: offener Unterricht nach Tages-und Wochenplänen steht hier auf dem Programm.
Der offene Unterricht nach Wochenplänen bedarf einiger Vorbereitung, ist aber der beste Weg zur individuellen Förderung aller Schüler. Und genau darauf kommt es an, wissen ausnahmslos alle Lehrerinnen an der Kästner-Schule. Meist werden Unterrichtsthemen dort mit Frontalunterricht eingeführt. Die offenen Phasen folgen jedoch auf dem Fuße. Jedes Kind bearbeitet darin seinem Kenntnisstand angepasste Aufgaben nach seinem eigenen Arbeitstempo. Während dieses offenen Unterrichts holen Marlis Frohse und Birgit Teßmann die Pfiffikusse ein Mal pro Woche aus ihren gewohnten Lerngruppen, um sie in Kleingruppen zu schulen.
Experimente und Knobelaufgaben
Die Kinder gehen dann ins Labor und machen allerlei Experimente und lösen viele Knobelaufgaben. Bei der Frage, was ihnen kürzlich besonders viel Spaß gemacht hat, überschlagen sich die Pfiffikusse der 2a fast vor Eifer. "Wir haben unsere Haare unter dem Mikroskop angeguckt. Die sehen alle unterschiedlich aus", erzählen einige. "Wir haben Salzkristalle gezüchtet!", verraten wieder andere.
"Die Kinder sind echt stark und denken ganz schön flink. Wir stehen immer wieder vor neuen Herausforderungen und müssen uns auch immer wieder etwas einfallen lassen", freut sich Marlis Frohse. Da die Kästner-Schule zum Landesnetzwerk von Schulen der Hochbegabtenförderung gehört, das durch EU-Fördermittel jedem seiner Mitgliedsschulen ermöglichte, zwei Lehrkräfte speziell auszubilden, nahmen Frohse und Teßmann an einer einjährigen Schulung teil. Nun sind sie offizielle Lernbegleiter für Begabtenförderung und betreuen derzeit acht Fördergruppen an ihrer Schule.
Im Labor befinden sich neben Spielen und Baukästen Petrischalen, Messbecher und andere labortypische Gegenstände, die durch Sponsoren und den Förderverein finanziert wurden. "Aber es werden auch immer wieder Haushaltsmittel unserer Schule dafür abgestellt. Weil wir uns irgendwann mal alle für die Förderung entschieden haben, sind auch alle Kollegen damit einverstanden, wenn spezielle Mittel angeschafft werden."
Gefördert werden an der Erich-Kästner-Schule aber eben nicht nur die Begabten. Viele Jahre gab es an der Schule spezielle Klassen für Lese-Rechtschreib-Schwäche. Diese existieren nun zwar nicht mehr, die dafür ausgebildeten Lehrerinnen, Christine Dombrowa und Karola Schneider, können in Einzelfällen jedoch trotzdem helfende Maßnahmen einleiten.
Vor allem wird aber auch die integrative Förderung ganz groß geschrieben. Die Sonderpädagoginnen Susanne Neuhaus und Steffi Hofmann holen, genau wie ihre Kolleginnen der Begabtenförderung, ebenfalls Schülergruppen aus dem Unterricht heraus und beschulen sie individuell. Derzeit sind es 19 Schüler aus den Klassenstufen eins bis vier, die an dem sogenannten Programm "Gemeinsamer Unterricht" teilnehmen. Dabei bestehen die Förderschwerpunkte Lernen, Authismus, körperliche und motorische Entwicklung sowie Sprache.
In der Erich-Kästner-Schule klappt das, was vor einigen Jahren in Deutschland noch unmöglich erschien: Schüler unterschiedlichen Förderbedarfs im Verband zusammenzulassen und Schwache wie Starke nicht auszusondern, sondern gleichermaßen zu fördern. "Andere Schulen können das genau so machen", wissen Marlis Frohse und ihre Kolleginnen. "Man muss es nur richtig wollen."