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Gesellenstücke Prüfende Blicke in der Passage

Ein großes massives Holzbett: In der Rathauspassage Halberstadt ist zu sehen, was Tischlerhandwerk ausmacht - an sechs Gesellenstücken.

Von Sabine Scholz 11.07.2018, 01:01

Halberstadt l Neugierig heben zwei ältere Damen die Matratze an, schauen, was sich darunter verbirgt. Genau nehmen sie den massiven Holzrahmen in Augenschein, in dem Schubkästen untergebracht sind und an jeder Seite ein kleines ausziehbares Tischchen. Mike Tim Schneevoigt beobachtet das Treiben an dem von ihm gefertigten Bett aus der Ferne. Noch gilt die Aufmerksamkeit der Prüfer nicht ihm, sondern einem Kollegen, der einen Barschrank gefertigt hat. Doch dann ist auch der Mitarbeiter der Osterwiecker Bau- und Möbeltischlerei an der Reihe. Aufgeregt knetet er seine Hände, als er gemeinsam mit Jens Neutzner, Kerstin Hoffmann und Danny Perkampus an sein Gesellenstück tritt, Fachfragen beantwortet. Dass ihm Passanten dabei zuschauen, ist in dieser Prüfungssituation ausgeblendet.

Denn die angehenden Tischlergesellen präsentieren ihre Arbeiten nicht nur den kritischen Blicken der Prüfer, sondern auch der Öffentlichkeit. Zum zweiten Mal ist die Tischlerinnung zu Gast in der Rathauspassage, um zu zeigen, was Tischlerhandwerk ausmacht. „Dass wir diese Möglichkeit bekommen, freut uns sehr“, sagt Danny Perkampus. So könne die Innung mehr Menschen erreichen und vielleicht bei jungen Leuten das Interesse an einer Ausbildung im Tischlerhandwerk wecken. Denn Nachwuchs braucht die traditionsreiche Zunft dringend. Dass nur sechs Gesellen aus dem gesamten Bereich der Kreishandwerkerschaft Harz-Bode ihre praktischen Prüfungsarbeit ausstellen, spricht für sich. Sechs Gesellen aus den Altlandkreisen Aschersleben, Staßfurt, Quedlinburg und Halberstadt. Nicht gerade viel.

„Aber auch die Zahl der Tischlerwerkstätten selbst sinkt ja“, sagt Danny Perkampus, bevor er sich wieder dem Barschrank zuwendet. Jens Neutzner erklärt derweil wissbegierigen Passanten die Besonderheiten eines weiteren Gesellenstücks. Ein großer Schreibtisch mit interessant geformten Beinen und Aufsatz. In einer Schublade versteckt sich ein Kästchen, sauber gearbeitet und mit kleinem Intarsienband versehen. „Das ist schon echte Handwerkskunst“, sagt Jens Neutzner. Man habe dem angehenden Gesellen auch zugeredet, gleich die Meisterprüfung anzustreben. „Wenn man erstmal Familie hat, wird das nicht leichter“, sagt Neutzner, der einst selbst jüngster Tischlermeister Sachsen-Anhalts war.

Auf jeden Fall werde man den Schreibtisch, der aus Rüster, also Ulmenholz, und geräucherter Eiche angefertigt wurde, zum Wettbewerb „Die Gute Form“ vorschlagen. Dieser Wettbewerb des Innungsverbundes dient dazu, im Tischler- und Schreinerhandwerk exzellent gestaltete Gesellenstücke auszuzeichnen. Jährlich ausgerichtet, findet er zunächst auf Innungs-, dann auf Landes- und schließlich auf Bundes­ebene statt.

Auch wenn der Schreibtisch eine auffallend schöne Arbeit ist, die Prüfer haben dennoch einige kritische Anmerkungen. Da gibt es winzige, aber fühlbare Absätze zwischen zwei Holzrahmen, eine Lade hat zu viel Spiel. Kleinigkeiten, aber Tischler streben Perfektion an, erklärt Neutzner. Wobei er auch erklären kann, wie diese für den Laien eher unsichtbaren kleinen Makel entstehen: „Die Lehrlinge stehen schon unter enormen Zeitdruck, gerade wenn sie so ein großes Gesellenstück einreichen.“

Aber ihn freut, dass hier nicht nur große Sorgfalt auf Entwurf und Umsetzung gelegt wurde, sondern auch auf die Auswahl der Werkstoffe und deren Bearbeitung.

Wie vielfältig das Tischlerhandwerk ist, zeigt sich schon auf den ersten Blick. Neben dem Bett, dem Schreibtisch und dem Barschrank gibt es noch einen kleinen ausziehbaren Tisch mit Schubladen und zwei Eingangstüren auf dem kleinen Ausstellungsareal zu sehen.