Grundschule Hessen Einzelfälle führen zu besonderen Belastung
Einen verzweifeten Brief verfassten Grundschullehrer aus Hessen. Nun erhalten sie Hilfe und Zuspruch von Kollegen einer Förderschule.
Hessen (mhe/sr) l Die Hessener Grundschule „Aue-Fallstein“ ist in der zurückliegenden Woche von einer Medienlawine überrollt worden. Im Fokus steht der schriftliche Hilferuf an die Eltern angesichts vieler respektloser Kinder.
„Wir haben drei Grundschulen in der Gemeinde, die solide Arbeit leisten“, stellt sich Osterwiecks Bürgermeisterin Ingeborg Wagenführ (parteilos/Buko) vor die Lehrerschaft. Was letztendlich an den Ergebnissen der weiterführenden Schulen in Dardesheim (Sekundarschule) und Osterwieck (Gymnasium) ablesbar sei. Die Stadt ist Träger der Grundschulen. Die Bürgermeisterin äußerte Respekt für die Entscheidung der Lehrer, sich an die Eltern zu wenden. „Nun sind alle wachgerüttelt.“
In den Kindertagesstätten seien die Probleme noch nicht absehbar gewesen, so Wagenführ. Kitas und Schulen würden gerade vor dem Wechsel der Kinder zur Schule sehr eng zusammenarbeiten.
Wagenführ – selbst Pädagogin – sieht die Politik gefragt, die Lehrerschaft mit ihren Instrumenten zur Erziehung und Förderung nicht immer mehr zu beschneiden. Kinder wie Eltern müssten Respekt vor den Entscheidungen der Lehrer zeigen. „Nicht nur die Lehrer, vor allem Mama und Papa sollten ihren Kindern Normen und Werte bei der Vorbereitung auf das Leben in der Leistungsgesellschaft verdeutlichen.“ Vielleicht, so Wagenführ, „hören ja nun alle mehr in sich hinein. Alle sind gefordert.“
Die Politik solle auch mehr Kontinuität in der Schulpolitik zeigen. Dabei erinnerte sie an das Hin und Her, dass mal Eltern, mal die Grundschulen über die weitere Schullaufbahn der Kinder entschieden.
Hessens Ortsbürgermeister Klaus Bogoslaw (Aktiv für Hessen) beobachtet eine steigende Tendenz, dass Eltern ihren Kindern das normale Miteinander nicht mehr vorleben und sie dazu zu erziehen. „Insofern ist diese Diskussion nicht schädlich.“ Schädlich finde er die Art und Weise, wie sich die „Medienlandschaft darüber hermacht. Es standen über Tage Reporter vor der Schule und haben Eltern interviewt. Man ist sogar an Kinder herangetreten. „Es wird Zeit, dass endlich wieder Ruhe einkehrt.“
So sehen das auch die Eltern, die vom Brief und dem folgenden Medienecho überrascht wurden. „Das war vorher bei keiner Elternversammlung Thema“, berichtet die Mutter eines Zweitklässlers, die anonym bleiben möchte. Gleichwohl habe ihr Sohn von Prügeleien auf dem Pausenhof berichtet. „Er hat erzählt, dass ein Erstklässler auf einen Viertklässler losgegangen ist“, berichtet die 36-Jährige. Raufereien seien ihr aus der eigenen Kindheit nicht fremd. „Aber die Situation ist heute extremer.“
Unterdessen gab es am Donnerstag in der Schule eine Versammlung mit Elternvertretern aller Klassen. Dazu war ein Team der Förderschule „Wilhelm Busch“ aus Wasserleben eingeladen. An dieser Einrichtung werden Schüler mit dem Förderschwerpunkt im Bereich der emotionalen und sozialen Entwicklung beschult. Mit ihren Erfahrungen wollen sie die Hessener Kollegen unterstützen, berichtet Schulleiterin Heike Boks. Sie betont, dass die Kollegen in Hessen bislang nicht untätig waren. Allerdings stehen sie vor einer Herausforderung, die bundesweit Lehrer an Regelschulen betrifft. „Es gibt immer mehr Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten und auch die Qualität der Auffälligkeiten nimmt zu“, erläutert Boks. Jedoch sei es nicht so, dass diese Kinder automatisch eine Förderschule besuchen. Diese Entscheidung obliege den Eltern. „Zudem liegt in der schulischen Separation nicht immer die Lösung der individuellen Problematik eines Kindes.“
Um kurzfristig die Situation in Hessen zu entspannen, sind „kollegiale Fallberatungen“ geplant. Das bedeutet, dass Lehrer aus Wasserleben mit in die Klassen gehen, um die hiesigen Lehrer in der Arbeit mit den verhaltensauffälligen Kindern zu unterstützen. „Wichtig ist es dabei, die Eltern einzubeziehen. Wir wollen transparent arbeiten“, sagt Heike Boks.
Auch gehe es darum, herauszufinden, wie viele Kinder auffällig sind, welche Gründe vorliegen und welche Förderung sie benötigen. Zahlen liegen dazu bislang nicht vor. Die Schulleiterin betont, dass es sich anhand der aktuellen Rückmeldungen um Einzelfälle handle, die jedoch zu einer besonderen Belastung innerhalb des Systems führen. Es werde bedarfsorientierte Fortbildungen für das Kollegium der Hessener Schule geben. „Es geht darum, nachhaltige Lösungen zu finden.“
Das ist auch das Anliegen des Landesschulamtes. „Das Thema ist momentan mit einem hohen Maß an Emotionalität belegt“, so Abteilungsleiter Jürgen Krampe. „Wir wollen es wieder auf eine sachliche Ebene bringen.“ Er schätze, dass die Zusammenarbeit mit den Fachpädagogen aus Wasserleben ein guter Schritt in diese Richtung sei.