Internationaler Bund holt sich prominente Unterstützung für erstes Symposium auf der Huysburg Handicaps und Talente schließen sich nicht aus
Aus verschiedenen Perspektiven haben Dozenten beim ersten Symposium des Internationalen Bundes das Leben, Arbeiten und die Förderung von behinderten Menschen betrachtet. Ziel ist es gewesen, aufzuzeigen, wieviel Potenzial in ihnen steckt.
Huysburg l Wenn Phil Hubbe seine Karikaturen ausstellt, gibt schon die Beobachtung der Betrachter oft Anlass zum Lachen: Sie grinsen, erschrecken in der selben Sekunde und blicken betreten zu Boden. Die Frage "Darf man über Behinderte lachen?" steht ihnen regelrecht ins Gesicht geschrieben. Man darf und soll es sogar - zumindest wenn es nach dem Zeichner selbst geht. "Wer über die Bilder lacht, sieht Menschen mit Handicap als das an, was sie sind: ganz normal", hat Phil Hubbe das Ziel seiner Arbeit beschrieben.
Der 47-Jährige Cartoonist weiß, wovon er spricht. Er ist 1985 an Multipler Sklerose erkrankt. Ermutigt von Freunden und Kollegen, macht er Behinderungen seit dieser Zeit zum Gegenstand seiner humorvoll-bissigen Zeichnungen, wurde dafür bekannt und ausgezeichnet. Einige seiner Werke sind bis Ende Oktober täglich zwischen 11 und 18Uhr auf der Huysburg zu sehen.
An der Eröffnung der Ausstellung im Benediktinerkloster nahm der Künstler persönlich teil. Sie erfolgte im Rahmen eines Symposiums, das der Internationale Bund unter dem Motto "Vielfalt als Potenzial" veranstaltete. "Wir konnten hochkarätige Gäste aus Politik und Gesellschaft zu unserer Veranstaltung begrüßen", berichtet Pflegewissenschaftlerin Gertraude Boye stolz. Landrat Martin Skiebe (parteilos) und Huy-Bürgermeister Thomas Krüger (CDU) nutzten die Gelegenheit sich fachlich auszutauschen ebenso, wie die behindertenpolitische Sprecherin der CDU, Angela Gorr (MdL), Heidemarie Zenger als Mitarbeiterin des Integrationsfachdienst Halberstadt und die Behindertenbeauftragte des Landkreises Harz, Silvia Illas. Teilgenommen haben außerdem Vertreter des Sozialamtes, des Cecilienstiftes, der Rainhard-Lakomy-Schule und eine ganze Sozialassistenz-Klasse der Berufsfachschule in Elbingerode.
Leben und Arbeiten mit geistig Behinderten aus verschiedenen Perspektiven betrachtet
"Die Dozenten beleuchteten den Umgang mit Menschen mit geistiger Behinderung und Verhaltensauffälligkeiten aus unterschiedlichen Perspektiven", informiert Gertraude Boye. "Unser Ziel ist es, aufzuzeigen, dass Menschen mit herausforderndem Verhalten, wie es in der Fachsprache bezeichnet wird, aus mehr bestehen, als ihrem Krankheitsbild. Dass in ihnen Ressourcen stecken, die gefördert werden können und sollen", erläutert die Pflegewissenschaftlerin weiter.
Als ehemaliger Leiter des St. Pia Heims in Dingelstedt berichtete Ernst Günther über seine Erfahrungen mit Inklusion. Als er 1994 die Leitung der Behinderteneinrichtung übernahm, befand sie sich noch auf der Huysburg. Die Bewohner waren somit isoliert. Erst als die Einrichtung unter der Trägerschaft der Caritas nach Dingelstedt verlegt wurde, war es möglich, dass die Bewohner der Einrichtung und Dingelstedter in Kontakt kamen.
In der Anfangszeit hätte sich dies als schwieriges Unterfangen erwiesen, erinnerte sich Günther. Der ehemalige Einrichtungsleiter beschrieb, wie dann zum Beispiel durch das Angebot von Ferienarbeit versucht wurde, einen Einblick in das Arbeiten und Leben mit Behinderten zu ermöglichen. Gleichzeitig habe man ortsnahe Dienstleistungen wahrgenommen, wodurch sich unvermeidlich Kontakte ergaben. Außerdem beteiligten sich Bewohner wie Mitarbeiter am kulturellen und kirchlichen Leben des Huy-Dorfs. "Inklusion hat durchaus ihren Preis und ist nicht zum Nulltarif zu bekommen", resümierte Günther. Man benötige dafür Geld, Zeit und Engagement.
"Inklusion hat durchaus ihren Preis und ist nicht zum Nulltarif zu bekommen."
Ernst Günther, ehemaliger Leiter St. Pia Heim, Dingelstedt
In einem weiteren Vortrag erläuterte Dr. Babara Senckel, dass es bei nahezu jedem Menschen mit einer Behinderung zu einer Verbesserung seiner Fähigkeiten kommen kann. Dafür sei eine freundliche, aber bestimmte Grundhaltung notwendig, in der eine vertrauensvolle und konstruktive Beziehung zwischen Klienten und Mitarbeiter aufgebaut werden kann. Diese diene als Grundlage für spätere Abnabelungs- und Entwicklungsprozesse. Denn auch Menschen mit geistigem Handicap streben nach Selbstbestimmung wie jeder "Gesunde", erläuterte die Dozentin für Psychologie.
Gesund ist nicht normal: Mehrheit der Bevölkerung leidet an einer Form von Krankheit
Dr. Dr. Olf Czernohorsky, Dozent an der Fachschule für Sozialwesen in Drübeck und Leiter des integrativ medizinischen Zentrums in Stolberg, wies die Symposiumsbesucher darauf hin, dass das Wort "gesund" durchaus kritisch zu betrachten sei. Er stellte dar, dass etwa 70 Prozent der Bevölkerung in irgendeiner Weise krank seien. "Also ist nicht die Krankheit, sondern die Gesundheit die Abweichung von der Norm", so Czernohorsky.
Der Mediziner betrachtete die Entstehung von Gesundheit und Krankheit. Dabei betonte er, dass Gesundheit nicht als Zustand, sondern als ein Prozess zu verstehen sei. Es sei effektiver, frühzeitig die gesunden Aspekte eines Menschen zu erkennen und zu fördern, als ausschließlich Kranke zu behandeln. So würde die Lebensfreude und Zufriedenheit eines Menschen verstärkt werden.
Den emotionalsten Vortrag des Tages hielt Beschir Schatlo. Sein Bruder lebt in der Heilpädagogischen Einrichtung des IB in Badersleben. Die Vorbereitung auf seinen Vortrag ermöglichte ihm erstmals eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Beziehung zu seinem Bruder, sagte er. Dies sei ihm nicht leicht gefallen, immer wieder seien Erinnerungen an die gemeinsame Kindheit hochgekommen.
Wie Schatlo berichtete, verlief diese zunächst normal, im Kindergarten kam es zu ersten Auffälligkeiten. Nach einer Zeit der positiven Entwicklung wechselte sein Bruder die Einrichtung. Medikamente, Fixierungen und fehlerhafte Pflege ließen seinen Bruder auf einen absoluten Tiefpunkt stürzen. In Badersleben konnte er sich wieder erholen und fand zu seinem liebenswürdigen Wesen zurück, endete Schatlo.
Die Vorträge dienten als Grundlage für Workshops, in denen die Teilnehmer einzelne Themen vertieften. "Viele äußerten den Wunsch nach einem zweiten Symposium", sagte Gertraude Boye. Sie selbst sei nicht abgeneigt.
Kulturell wurde Tag von Michael Eckert, einem Bewohner des IB-Heims in Badersleben, abgerundet. Er überraschte die Besucher mit einer Akkordeoneinlage. Außerdem sind seine Malereien ebenfalls in einer Ausstellung im Kloster zu sehen.
Ein Tagungsreader kann per Email bei Gertraude.Boye@internationaler-bund.de oder unter Telefon (039422)9569920 bestellt werden.