Corona-Impfung Harzer Ärzte und Impfenzentrumsleiter richten Appell an Regierung und Pharma-Unternehmen

Landkreis Harz
19,1 Prozent der Menschen in Sachsen-Anhalt haben bis zum Donnerstag, 22. April (Stand: 12 Uhr) ihre Erstimpfung in den Impfzentren des Landes erhalten. Die Quote für den Harzkreis liegt etwas zurück. Hier sind es 16,43 Prozent. Wie kommt das zustande? Hinkt der Harzkreis tatsächlich hinterher?
Ganz so stimmt das nicht, sagt Karsten Fischer. Er leitet die 14 Impfzentren im Landkreis und hat die Zahlen täglich im Blick. Bei den Zweitimpfungen, so informiert er, liege der Harz sogar besser als der Landesschnitt. Haben hier bereits 7,07 Prozent der Bevölkerung ihre zweite Spritze erhalten, sind es landesweit laut Ministerium für Arbeit, Soziales und Integration 3,3 Prozent.
Stimmung bei Ärzten angespannt
Allerdings, so betont Fischer, könnte der Harzkreis noch weitaus besser dastehen. „Wir liegen derzeit bei etwa 30 Prozent des Impftempos, das wir leisten könnten – wenn wir denn mehr Impfstoff hätten.“ Die Kommunen seien bereit, Mitarbeiter von Hilfsorganisatoren auf Startposition, Ärzte ebenso. Dennoch könne nur auf Sparflamme gekocht werden, wenn doch das Wichtigste in ausreichender Menge fehlt.
Ähnliches berichten niedergelassene Hausärzte. „Gebt uns mehr Impfstoff“, appellieren etwa Dr. Henrik Straub und Dr. Christian Müller im Volksstimme-Gespräch zum Thema Impffortschritt in Richtung Politik und Pharmaindustrie. Laufe es weiter wie aktuell, würde der Sommer ins Land gehen, bis auch gesunde 20-Jährige geimpft werden konnten. Das schaffe Unzufriedenheit – nicht nur bei den Bürgern. „Die Stimmung unter den Kollegen ist angespannt. Die Nachfrage ist bei jedem hoch und kann nicht gedeckt werden“, berichtet Straub. Er betreibt Praxen in Silstedt sowie Derenburg, ist zugleich Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV). Hundert Patienten am Tag könne ein Hausarzt impfen, ist er sicher, „wenn man sich nur darauf konzentriert“. Straub selbst habe etwa einen Samstag lang eine reine Impfsprechstunde angeboten, um das zu erreichen.
Betrachtet man nur diese Zahlen, würde er also in absehbarer Zeit all seinen Patienten –?rund 1800 sind es pro Quartal – ein Impfangebot unterbreiten können. Auf der anderen Seite aber steht: „Mit 30 Dosen Biontech in der Woche kommt man nicht weit.“
„Die Patienten sind verunsichert – zu Recht“
Zwar stünden Hausärzten weitaus mehr Dosen Astrazeneca zur Verfügung, allerdings gibt es bei diesem Impfstoff mehrere Haken. So empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) den Impfstoff nur noch für Personen im Alter über 60 Jahren zu verwenden. Zu dieser Altersgruppe gehört rund die Hälfte der Patienten von Dr. Christian Müller, der je eine Praxis in Benzingerode und Silstedt betreibt. „Doch auch von denen sind nicht alle für Astrazeneca geeignet“, gibt der Mediziner zu bedenken. Vorerkrankungen seien etwa ein Grund.
Hinzu komme der Imageverlust, den Astrazeneca erlitten habe. „Die Patienten sind verunsichert – zu Recht“, sagt Müller. Wobei er versichert, dass der Impfstoff gut sei und für Ältere nicht mehr Gefahren berge als andere Impfstoffe. Es koste sehr viel Zeit, Patienten darüber aufzuklären, ihnen die Ängste zu nehmen. „Patienten, die etwa Biontech bekommen, haben dagegen kaum Fragen“, berichtet er.
Mediziner üben Kritik am Impftempo
Doch auch in seiner Praxis sei deren Zahl sehr überschaubar – je zwölf Dosen pro Praxis in der Woche, die er aktuell vom pharmazeutischen Großhandel über eine Apotheke erhält. Doch nicht nur die Menge des Impfstoffes sei ein Problem, sondern auch die starre Priorisierung. „Die war am Anfang sinnvoll zum Schutz der am meisten Gefährdeten. Aber jetzt wird es Zeit, mehr Spielraum zu geben“, betont Christian Müller. „Es frisst mich auf, wenn ich hier junge Leute stehen habe, die als Busfahrer oder im Verkauf arbeiten, die jeden Tag dem Risiko einer Ansteckung ausgesetzt sind, und sich impfen lassen wollen. Denen muss ich eine Absage erteilen und in traurige Augen gucken. Gleichzeitig muss ich lesen, dass jetzt 20.000 Wahlhelfer vorrangig geimpft werden sollen“, so der Mediziner. „Aus meiner Sicht ist das ethisch und moralisch verwerflich.“
Kritik üben Müller und Straub auch daran, dass die Hausärzte erst so spät in die Impfkampagne einbezogen wurden. „Hätten wir von Anfang an impfen dürfen, wären wir jetzt viel weiter“, ist sich Christian Müller sicher und belegt seine These mit Zahlen. „Am 7. April haben die Hausärzte losgelegt und bis Anfang der Woche 57.188 Erstimpfungen vergeben. In den Impfzentren waren es seit dem 19. Januar 441.284 Dosen. Setzt man das ins Verhältnis, wird deutlich, was wir leisten könnten.“
Ein Grund dafür sei nicht zuletzt die Erfahrung, über die Hausärzte verfügen. „Wir verimpfen Jahr für Jahr in Sachsen-Anhalt 700.000 Impfdosen Grippeschutz, nebenbei und in nur drei Monaten“, sagt Henrik Straub. „Und das weitaus günstiger. Dafür müssen nicht extra Zentren aufgebaut und Leute eingestellt werden.“
Zusatzdienste in Impfzentren
Was nicht bedeuten solle, dass die beiden Mediziner die Sinnhaftigkeit der Impfzentren infrage stellen würden. „Wir wollen den Impfzentren nichts wegnehmen“, betont Straub. „Wir wollen den Impfstoff nur dorthin bringen, wo er hingehört: in den Patienten.“ Und das so schnell wie möglich. Deshalb leisten beide Ärzte zusätzliche Dienste in Testzentren. Eine Problematik liege für sie jedoch darin, dass diese Zentren mit vergleichsweise viel Biontech und Moderna versorgt werden – laut Landkreis sind es derzeit etwa 4500 bis 5000 Dosen – während dort doch aktuell vorrangig die Leute geimpft werden, die für Astrazeneca geeignet wären.
Eben die betagteren Harzer Bürger. Und gerade für diese sei es besser gewesen, wenn sie die Impfung über ihre Hausärzte erhalten hätten – dank kürzerer Wege zur Praxis oder gar dank Hausbesuchen, sind sich die Mediziner Straub und Müller einig. Immerhin seien viele in dieser Personengruppe immobil oder gesundheitlich eingeschränkt.
Patienten lassen Impftermin verstreichen
Ein Argument, dass Impfzentrenleiter Karsten Fischer auf Volksstimme-Nachfrage zurückweist. „Insgesamt haben im Harzkreis mehr als 18.000 über 80-Jährige ein Impfangebot von den Impfzentren erhalten. Diejenigen, die dieses aufgrund ihrer Immobilität nicht in Anspruch nehmen konnten, lagen im einstelligen Prozentbereich.“ Auf eine Impfung müssten sie jedoch nicht verzichten. Falls sie die Spritzen nicht vorher vom eigenen Hausarzt erhalten, werden sie über mobile Impfteams des Kreises zeitnah versorgt, kündigt er an.
Die Hausärzte sehen weitere Kritikpunkte: „Ein Problem ist, dass die Ärzte, die in den Impfzentren tätig sind, die Patienten und deren Vorgeschichte gar nicht kennen“, berichtet Henrik Straub. Das sei beim eigenen Hausarzt etwas ganz anderes, ebenso biete ein Gespräch in der seit Jahren gewohnten Praxis eine ganz andere Vertrauenssituation.
Und einen weiteren deutlichen Vorteil: Nicht zu jedem vereinbarten Impftermin kämen die Patienten. Damit der rare und so empfindlichen Impfstoff also nicht am Ende des Tages entsorgt werden müsse, könnten Hausärzte zum Telefon greifen, und geeignete Patienten anrufen oder den Impfstoff bei spontanen Hausbesuchen an etwa immobile Patienten verimpfen. Das sei in Impfzentren, in denen meist ortsfremde Ärzte tätig seien, oft schwieriger zu handhaben.
Größere Lieferungen Impfstoff angekündigt
Zumal es an der Kommunikation zwischen Hausärzten und Testzentren mangele. Wie auch Karsten Fischer bestätigt, gibt es derzeit etwa kein Informationssystem, indem abgelesen könne, wer bereits geimpft wurde. Im Klartext heißt das, dass mögliche Impfkandidaten im Zweifel sowohl vom Impfzentrum als auch vom Hausarzt kontaktiert werden. Bei den Patienten sorge das für Verwirrung, bei den Impfern für zeitlichen Aufwand und Bürokratie. Auch das sei etwas, was das Arbeitstempo in Impfzentren derzeit deutlich verlangsame.
Trotz dieser noch bestehenden Schwierigkeiten und Kritikpunkte baut Karsten Fischer auf die Zusammenarbeit mit den Hausärzten. „Wir schaffen das nur gemeinsam“, betont er. Und er hat am Donnerstag eine Nachricht erhalten, die Hoffnung macht, dass das Impftempo im Harz sich bald verbessern könnte. „Im Mai erhalten wir für die Impfzentren mehr Impfstoff. Laut derzeitiger Planung sind es dann 6000 Dosen Biontech und Moderna.“ Kommentar


