Oberbürgermeister und Stadtplanerin erkunden Halberstadts Innenstadt für Selbstversuch im Rollstuhl Henke: "Das ist eine Erfahrung, die ich nicht täglich machen will"
Halberstadt l Eine ganz neue Sicht auf die Bedürfnisse gehbehinderter Menschen haben Halberstadts Oberbürgermeister Andreas Henke (Linke) und Stadtplanerin Siegrun Ruprecht bei ihrem Selbstversuch als Rollstuhlfahrer auf Zeit bekommen. Am Aktionstag für Barrierefreiheit testeten sie unter realen Bedingungen, welche Hürden Rollstuhlfahrer im Alltag auf Halberstadts Straßen überwinden müssen.
Kerstin Römer, Initiatorin des Aktionstages, hatte jeweils eine Liste mit Aufgaben erstellt, die Henke und Ruprecht binnen einer Stunde erledigen sollten. Start und Ziel war der Fischmarkt. Der erste Auftrag lautete, ein Paket Milch, zwei Flaschen Wasser und gekühlten Kaffee zu besorgen. Dabei ergab sich schon das erste Problem: In der nächsten Kaufhalle waren die Gänge zwar breit genug, der Kaffee aber war im Kühlregal ganz oben deponiert. Auch beim Geld abheben schaffte es Siegrun Ruprecht nicht ohne fremde Hilfe. "Die Tür zur Bank hätte ich allein nicht aufbekommen. Und hinaus ging es nur mit einigem Geschick", sagte sie.
"Ich trainiere jeden Tag mit Hanteln, mache Klimmzüge. Aber hier werden andere Muskelgruppen beansprucht."
Oberbürgermeister Andreas Henke
Desweiteren sollten die Tester eine behindertengerechte Toilette aufsuchen sowie Blumen kaufen. "Dafür, dass ich zum ersten Mal im Rollstuhl sitze, sind die Aufgaben recht anspruchsvoll", sagte Andreas Henke.
Während Siegrun Ruprecht im Elektro-Rolli unterwegs war, musste der Oberbürgermeister die Räder seines Schieberollstuhls selbst antreiben. "Ich merke das jetzt schon in den Armen", sagte Henke bereits nach wenigen Metern über die Pflastersteine und die Rampe hinauf in die Einkaufspassage. Nach etwa 45 Minuten hatte Henke alle Aufgaben auf der Liste erledigt, Siegrun Ruprecht brauchte im Elektrorollstuhl etwas weniger. "Die Zeit ist reichlich bemessen. Ich würde das in der Hälfte schaffen", sagte Kerstin Römer, selbst Rollstuhlfahrerin.
Am Ende der Aktion resümierte der Oberbürgermeister den Selbstversuch: "Man bekommt eine ganz andere Sicht auf die Lebensweise von Menschen, die jeden Tag auf den Rollstuhl angewiesen sind. Das ist eine Erfahrung, die ich nicht jeden Tag machen möchte. Es ist ungewohnt und körperlich anstrengend. Ich trainiere jeden Tag mit Hanteln, mache Klimmzüge. Aber hier werden andere Muskeln bansprucht."
Laut Roland Steinke, Geschäftsführer eines Gesundheitszentrums, gehört nicht nur körperliche Kraft dazu, einen Rollstuhl zu bedienen. Sein Schicksal anzunehmen und sich im Rollstuhl fortzubewegen sei eine "unheimliche Reife und menschliche Größe, die die Menschen auszeichnet".