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Corona In Halberstadt lernen Sachsen-Anhalter das Hören

Im Cochlea-Implant-Rehazentrum Halberstadt lernen Menschen aus ganz Sachsen-Anhalt (wieder) hören. Mittlerweile in erweiterten Räumen.

Von Sabine Scholz Aktualisiert: 21.5.2021, 10:36
Astrid Braun, Leiterin des Cochlea-Implant-Rehazentrums Sachsen-Anhalt, an der großen Klangschale, die Therapeuten des Zentrums für Entspannungsübungen einsetzen.
Astrid Braun, Leiterin des Cochlea-Implant-Rehazentrums Sachsen-Anhalt, an der großen Klangschale, die Therapeuten des Zentrums für Entspannungsübungen einsetzen. Foto: Sabine Scholz

Halberstadt - Die Freude ist Astrid Braun anzumerken. Die Leiterin des Cochlear-Implant-Rehabilitationszentrums Sachsen-Anhalt, kurz CIR genannt, weist auf viele Neuerungen und Besonderheiten hin. Die Schallschutzdecke in den Therapieräumen zum Beispiel, oder die Schallschutztür, die den Raum vom Geplauder auf dem Flur abschirmt. Lachend erzählt sie, dass die Kollegen in dem einen Büroraum, der sich ebenfalls hier im neuen Stockwerk des CIR befindet, kein bisschen neidisch sind auf diese Lärmpuffer. „Für die Therapieräume ist das kein Luxus, sondern erforderlich, damit sich unsere Rehabilitanden konzentrieren können und nicht gestört werden von Außengeräuschen“, sagt Braun. Deshalb sind auch die Fenster nicht nur mit elektrisch angetriebenen Jalousien versehen, sondern schlucken ebenfalls die Töne der Außenwelt.

Nicht jeder Raum im Rehazentrum braucht diese Abschirmung. Das hätte wohl auch den Kostenrahmen gesprengt. Immerhin gut eine Million Euro hat das Diakonissen Mutterhaus Cecilienstift in die Erweiterung des CIR investiert. Mit einer Aufstockung des Gebäudes, das 1997/1998 an die historischen Mauern des Cecilienstifts angebaut worden war. „Mit der zusätzlichen Etage haben wir rund 260 Quadratmeter Nutzfläche dazugewonnen“, berichtet Holger Thiele, Vorstand des Stifts.

Dass eine Erweiterung des CIR dringend erforderlich ist, zeigte sich schon bald nach der Einweihung des Neubaus. Und auch jetzt sind die Plätze schon wieder ständig ausgelastet.

Erweiterung begann September 2019

Begonnen hatte alles 1993. Gerade gegründet, nutzte das Rehazentrum für Menschen, denen eine Innenohrprothese, ein Cochlea-Implantat, eingesetzt worden war, Räume der Kindertagesstätte „Waldblick“. Untergebracht waren die Patienten im Diakonissen-Mutterhaus Cecilienstift, das zugleich Träger des CIR war. Das Pendeln zwischen den beiden Gebäuden, oft mehrmals am Tag, hatte 1998 ein Ende. Das Cecilienstift investierte gemeinsam mit dem Land Sachsen-Anhalt rund 2,5 Millionen Euro in einen Neubau auf dem Mutterhausgelände. Der bot damals zehn Therapieplätze und Zimmer, in denen die Patienten übernachten konnten. Schon wenig später rückte man etwas enger zusammen, um 14 Therapieplätze zu ermöglichen. „Aber es kommen bis zu 20 Rehabilitanden pro Tag“, sagt Cecilienstift-Vorstand Holger Thiele. „Diese Zahl ist seit Jahren relativ stabil.“

Große Altersspanne der Rehabilitanden

Was zeigt, wie dringend die Erweiterung war, die das Stift aus eigener Kraft finanziert hat. Mit den Krankenkassen, die die Kosten für die Reha tragen, habe man sich ebenfalls im Vorfeld abgestimmt, berichtet der Verwaltungsdirektor. Unterstützung gab es für baurechtliche Fragen seitens der Stadt, die extra einen Bebauungsplan ändern musste, um das Aufstocken des vorhandenen CIR-Gebäudes zu ermöglichen. Die Planungen dafür hatten schon 2018 begonnen, der Baukran rückte im September 2019 an.

Neben der gestiegenen Zahl an zu Betreuenden hat sich auch der Altersdurchschnitt deutlich verändert. So sind inzwischen 70 Prozent der Rehabilitanden Erwachsene, viele davon Senioren. Deshalb wurden bereits Automatiktüren, behindertengerechte Bäder und Handläufe im vorhandenen Gebäude nachgerüstet, sie sich nun auch in der neuen Therapie-Etage finden. Wie sinnvoll das ist, zeigt ein Blick auf die Altersspanne der Rehabilitanden: Die reicht von 0 bis 92.

„Wir therapieren zunehmend Erwachsene“, berichtet Astrid Braun, „weil sich die Indikationen dafür, wann ein Cochlea-Implantat eingesetzt wird, verändern.“ War zu Beginn eine beidseitige Taubheit Bedingung, konnte später ein CI auch bei einem vorhandenen Resthörvermögen eingesetzt werden, inzwischen hat sich die Technik verändert und die Innenohrprothesen werden auch einseitig eingesetzt und bei noch vorhandenen Hörresten. Was die steigende Zahl älterer Rehabilitanden erklärt.

Reha erstreckt sich über zwei bis drei Jahre

Die kommen in der Regel in mehreren, einwöchigen Blöcken nach Halberstadt. Üblicherweise genehmigen die Krankenkassen Kindern 40 Rehabilitationstage, die auf drei Jahre verteilt absolviert werden. „In dieser Zeit finden Anpassungen des Sprachprozessors, Hör-Sprach-Therapien, Hörprüfungen, Arztkonsultationen und Ähnliches statt“, erläutert Astrid Braun, die die Einrichtung seit 2013 leitet. So wie es Marianne Fogarasi bis 2012 tat. Für Erwachsene bewilligen die Krankenkassen meist 20 Reha-Tage über einen Zeitraum von zwei Jahren.

Mit den sich ändernden Indikationen müssen auch die Angebote im CIR angepasst werde. Es gibt ganz individuelle Therapiepläne für die Menschen, die aus ganz Sachsen-Anhalt kommen. Neben den Einzeltherapien gehören Gruppentreffen zum Programm. „Was aktuell unter Corona-Bedingungen wirklich schwierig ist“, sagt Braun. Die Runden sind wichtig, weil die Rehabilitanden lernen müssen, sich auf einen Gesprächspartner zu konzentrieren, während zeitgleich andere Menschen miteinander reden. So, wie es im Alltag meist der Fall ist.

Während Corona die Gruppenrunden erschwert, beschert die Pandemie der Einrichtung zugleich moderne Technik. Um die viermal in der Woche stattfindenden Teamsitzungen für die Fallbesprechungen zu ermöglichen, ist nicht nur der neue, etwas größere Konferenzraum mit Monitoren ausgestattet worden. Auch die Patienteninformationen gibt es via Bildschirm. Die Patienten sind jetzt auf zwei Ebenen zur Therapie unterwegs, das kann man nicht mal eben alle zusammennehmen und mitteilen, wann die Zimmer geräumt werden müssen und ähnliches. Corona geschuldet sind auch Videos für die Technikschulung im Umgang mit den Implantaten. Die werden auch nach Corona-Zeiten sicher im Einsatz bleiben.

Erweiterung hat noch einen zweiten Bauabschnitt

18 Mitarbeiter zählt das Team – darunter acht Therapeuten, drei Honorarkräfte und drei Techniker. Das Team vermisse wie die Rehabilitanden die Begegnung, den Austausch auch über die fachlichen Fragen hinaus, berichtet Astrid Braun beim Gang durch die neuen Räume. Stolz ist die CIR-Chefin über den Entspannungsraum, der nun vorhanden ist. Hier nutzen Therapeuten zum Beispiel große Klangschalen, um den Stress der Patienten zu mildern. „Es ist sehr anstrengend, das Hören zu lernen, permanent konzentriert sein zu müssen“ sagt Braun, deshalb werden Klangschalen ebenso angeboten wie autogenes Training oder progressive Muskelentspannung.

Während die neuen Therapieräume seit einigen Monaten genutzt werden, laufen auf dem Gelände des Cecilienstifts weitere Bauarbeiten für das CIR. So wird das Haus Wernigeröder Straße 4 umgebaut, um sechs neue Wohneinheiten für die Rehabilitanden zu schaffen. Bisher gab es nur 14 Betten im CIR selbst, die anderen Patienten wurden in Pensionen untergebracht.

Was ist ein Cochlea-Implantat?

Ein Cochlea-Implantat (CI) ist eine elektronische Innenohrprothese. Sie kann nur bei gehörlosen oder hochgradig schwerhörigen Patienten zum Einsatz kommen, bei denen der Hörnerv intakt ist. Das CI ersetzt die Funktion der Hörsinneszellen in der Hörschnecke (Cochlea), indem es Schallwellen, die von einem Mikrofon aufgenommen werden, in elektrische Impulse umwandelt und diese über eine Elektrode an die Hörnervenfasern weitergibt. Neben dem eigentlichen Implantat gehört ein digitaler Sprachprozessor zum CI-System.

Nach erfolgreicher CI-Operation müssen die Patienten speziell rehabilitiert werden, damit sie mit der elektronischen Unterstützung hören und sprechen lernen oder erneut erlernen.