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JugendtelefonNummer gegen Kummer vorm Aus

Es ist das dienstälteste Kinder- und Jugendtelefon im Land. Nun steht die Halberstädter Anlaufstelle vor dem Aus.

Von Sabine Scholz 21.11.2019, 00:01

Halberstadt l Mehrere Briefe haben die ehrenamtlichen Berater des Kinder- und Jugendtelefons Halberstadt (KJT) schon geschrieben – an den Ministerpräsidenten des Landes Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff (CDU), an die sachsen-anhaltische SPD-Bundestagsabgeordnete Kathrin Budde, an den Petitionsausschuss des Landtags. Grund der Empörung: eine Änderung in der Bezuschussung der hauptamtlichen Koordinatorin.

„Es geht nicht um mich, ich sehe das relativ gelassen“, sagt Elke Dohrmann, die 30 Stunden in der Woche hauptamtlich als Koordinatorin für das KJT arbeitet. „Meine Kinder sind wirtschaftlich eigenständig, und als Sozialpädagogin werde ich sicher wieder Arbeit finden. Was mir gegen den Strich geht, ist die Art und Weise, wie hier mit den Ehrenamtlichen umgegangen wird.“

Denn die hatten sich gerade wieder in einen normalen Modus berappelt, nachdem es einen nicht ganz einfachen Trägerwechsel gab. Die AWO Magdeburg übernahm 2018 das Telefon von der AWO Harz, mit der die Zusammenarbeit schwierig geworden war, wie Dohrmann berichtet. Nicht nur die ständigen räumlichen Verkleinerungen sorgten für Unmut, auch der Fakt, dass drei Jahre lang keine Ausbildung für interessierte Mitstreiter angeboten werden konnte, lastete schwer auf denen, die die Beratungsarbeit leisten. 24 sind es derzeit, zwei davon kehrten nach einigen Jahren beruflich bedingter Pause zurück ins Halberstädter Beraterteam.

14 Interessenten gibt es, die im Januar mit ihrer Ausbildung beginnen wollen. Ob sie es können, steht in den Sternen. Denn der neue Träger wird das Beratungsangebot zum Jahresende schließen – sowohl am Standort Halberstadt als auch am Standort Magdeburg. „Der Grund ist eine Änderung bei der Förderung unserer Arbeit. Für jede Stunde, die ein Ehrenamtlicher nicht am Telefon leisten kann, muss der Träger anteilig den Zuschuss für die Arbeit der beiden hauptamtlichen Koordinatoren zurückzahlen.“

Das sei zum einen eine nicht planbare Belastung für den Träger, zum anderen eine Beleidigung für die Ehrenamtlichen. „Mit dieser Rückzahlpflicht werden an ehrenamtliche Mitarbeiter strengere Maßstäbe angelegt als an hauptamtliche“, sagt Dohrmann und macht eine Beispielrechnung auf: Ein fest angestellter Mitarbeiter hat Urlaub und kann auch mal krank werden und sei damit im Durchschnitt zu 85 Prozent verfügbar. „Und ein Ehrenamtler soll garantieren, jede geplante Stunde auch leisten zu können?“ Manchmal komme einfach so kurzfristig etwas dazwischen, dass auch ein Tauschen schwierig ist.

Nun soll also jede nicht geleistete ehrenamtliche Stunde vom Personalkostenzuschuss abgezogen werden, der Träger müsste dann die Differenz aus eigener Tasche bezahlen.

Das ist neu. Und den Trägern im Vorfeld nicht mitgeteilt worden. „Man hat nicht mal das Gespräch gesucht. Und wir haben diesen Passus im Zuwendungsbescheid nicht gleich gesehen“, sagt Dohrmann.

Wenn man über Jahre solche Bescheide bekomme, schaue man oft erstmal nur auf die Zahlen, räumt sie ein. „Zumal der Zuwendungsbescheid für 2018 erst Anfang 2019 kam. Deshalb hat das Landesverwaltungsamt auch auf eine Rückzahlung für 2018 verzichtet, wird das aber wohl für dieses Jahr nicht wieder tun.“ Zuschussgeber ist seit 1998 das Sozialministerium, bearbeitet werden die Bescheide im Landesverwaltungsamt.

Die AWO Magdeburg zog die Reißleine und kündigte beiden hauptamtlichen Koordinatorinnen in Halberstadt und Magdeburg zum Jahresende und damit auch die Beratungstätigkeit. Neben Dienstplänen gehören Schulungen, gemeinsame Beratungen und die Organisation der von Fachleuten vorgenommenen Supervisionen zu den Aufgaben der Koordinatorin. Außerdem Öffentlichkeitsarbeit, Sponsorensuche, Netzwerkpflege und eigene Weiterbildung. „Wenn sich kein anderer Träger findet, vor allem, wenn das Land seine für mich hinterrücks geänderte Förderregularien nicht zurücknimmt, ist am 31. Dezember Schluss mit dem kostenlosen und unkomplizierten Beratungsangebot“, sagt Dohrmann.

Das Kinder- und Jugendtelefon gibt es in Halberstadt seit 1991. Die Region, aus denen Anrufer bei den Ehrenamtlern in Halberstadt landen, erweiterte sich über die Jahre. „In diesem Jahr werden es wohl 12.000 Anrufe sein, die hier entgegengenommen werden“, sagt Dohrmann und zeigt auf den Arbeitsplatz in einem Zimmer der Drei-Raum-Wohnung, in denen das Telefonteam seit einigen Monaten untergebracht ist.

Nachdem der Kreisverband Harz der AWO das Telefon aufgeben hatte, suchte das Team neue Räume – mal wieder, denn seit Gründung ist das Kinder- und Jugendtelefon mehrfach innerhalb Halberstadts umgezogen.

Oberbürgermeister Andreas Henke (Die Linke) vermittelte zur Halberstädter Wohnungsgesellschaft, die dem neuen Träger, der AWO Magdeburg, eine günstige Wohnung anbieten konnte. Denn ehrenamtliche Arbeit verursacht auch Kosten – Miete, Betriebskosten und Co. müssen irgendwie aufgebracht werden. „Vieles sichern wir durch Sponsoren ab“, sagt Dohrmann.

Auch wenn die Situation nicht erfreulich ist, aufgeben wollen die Ehrenamtler nicht. Sie wissen nur zu gut, wie wichtig das Gesprächsangebot ist.

Deshalb sind sie Mittwoch-Nachmittag (21. November 2019) im Landtag, treffen dort mit dem Petitiondausschuss zusammen. Deshalb haben sie Briefe geschrieben und sind auf der Suche nach einem neuen Träger. Denn sie wollen ihr Angebot lieber ausweiten anstatt abzuwickeln. Beratung per E-Mail oder per Chat über die „Nummer gegen Kummer“ schwebt ihnen vor, ebenso wie die Idee dass Jugendliche für die Arbeit am Beratungstelefon ausgebildet werden und dann vielleicht immer samstags den Dienst mit abdecken. „Der Austausch der jugendlichen und erwachsenen Berater würde unsere Arbeit sicherlich noch besser machen“, sagt Dohrmann.