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Gut besuchter Vortrag über Halberstadt in den 1930er Jahren Rüstungsindustrie schafft in der Nazizeit die meisten Arbeitsplätze

Von Dieter Kunze 05.04.2013, 01:14

Nüchterne Zahlen helfen, manche Mythen zu widerlegen. Das gilt auch für die Geschichte Halberstadts in der Zeit des Nationalsozialismus. Darauf hat Detlef Eckert während eines Vortrags im Gleimhaus hingewiesen.

Halberstadt l Einen Besucherandrang wie selten erlebte der jüngste Familienkundliche Abend im Halberstädter Gleimhaus. Detlef Eckert wollte "einige Mythen über die Machtergreifung der Nationalsozialisten auf den Boden von Tatsachen stellen", wie er sagte, nachdem er in verschiedenen Archiven geforscht hat.

"Das Thema hängt uns in der Welt an, das darf nicht unter den Teppich gekehrt werden", sagte Udo Mammen, Vorsitzender des Förderkreises Gleimhaus. Er dankte dem Ur-Halberstädter, früheren Landtagsabgeordneten und jetzigen Stadtrat für seine Arbeit.

Weil in Halberstädter Archiven wenig Material über diese Zeit zu finden ist, reiste Eckert unter anderem in die Landesarchive nach Dessau und Magdeburg. "War Halberstadt rot oder braun?", wollte er zunächst wissen. Bekannt wurde Halberstadt einst durch die Gründung der ersten großen deutschen Gewerkschaft (1892), durch Minna Bollmann und eine starke SPD sowie die Ereignisse in der Novemberrevolution 1918/1919.

Im Februar 1919 haben sich 46,8 Prozent der Wähler für die SPD im Stadtrat ausgesprochen, 39,2 Prozent der Stimmen gingen an den Bürgerblock. Im März 1933 kamen die SPD-Kandidaten auf 24,1 Prozent, die KPD auf 9,8 und die NSDAP auf 47,6 Prozent. Die Kampffront bekam 15,4 Prozent der Stimmen. "Trotz des Terrors bekamen die Nazis in Halberstadt legal keine Mehrheit", sagte der promovierte Historiker. "Erst nach dem Ermächtigungsgesetz wurde die KPD kassiert, später die SPD-Abgeordneten ausgeschaltet. Alle führenden Ämter gingen an ¿alte Kämpfer\'", so Eckert.

In Halberstadt wurde 1933 das Gewerkschaftshaus gestürmt, die SPD-Fraktion aufgelöst und im Mai 1934 gab es den "Kommunistenprozess". 1936 folgten Massenverhaftungen von SPD-Mitgliedern. "Das war keine legale Machtübernahme", so Eckert. Alles passierte öffentlich - das hätten die Halberstädter mitbekommen müssen. Doch auch Oberbürgermeister Erich Mertens beugte sich den neuen Machthabern.

Die große Arbeitslosigkeit wurde mit dem Autobahnbau bekämpft - ein Mythos, den Eckert mit Zahlen als Propaganda widerlegte. 1930 gab es in Halberstadt über 15 000 Arbeitslose und Fürsorgeempfänger. 1932 schloss noch das RAW (Reichsbahnausbesserungswerk) mit 750 Beschäftigten. Die Stadt Halberstadt unterstützte deshalb den Aufbau der Junkers-Flugzeugwerke mit 100 000 Reichsmark. Das brachte 1935 rund 1200 Arbeitsplätze. Bis September 1944 wurden es 5979 Beschäftigte, darunter rund 2500 Ausländer, also Zwangsarbeiter. Die wachsende Rüstungsindustrie und die Wiedereinführung der Wehrpflicht seien die wahren Ursachen für die Beseitigung der Arbeitslosigkeit gewesen, erklärte Eckert.

Eckert beobachtet nach eigener Aussage, dass in den Familien oft nicht über die Vergangenheit geredet werde. "Und auch heute gibt es die Mentalität zum Wegschauen", sagte der Historiker.

In der Diskussion bedankte sich Arno Baxmann für die Aufarbeitung der Geschichte. Das Thema dürfe im Unterricht nicht ausgeklammert werden, forderte der frühere Lehrer. Annemarie Haberkorn ergänzte, man sollte ebenso den Aufstieg der SED näher untersuchen. Angesichts der heutigen Naziaufmärsche müsse man wachsam bleiben, so Udo Mammen.

Mit dem Thema Halberstadt in der NS-Zeit hat sich auch Werner Hartmann befasst. Jetzt sollte noch mehr "in die Tiefe" gegangen werden. Detlef Eckert hofft, dass er von den Halberstädtern einige Hinweise zum Wirken Halberstädter Persönlichkeiten erhält.