Querschnittslähmung So ist es einem Querschnittsgelähmten aus Dingelstedt gelungen, stehend einen Heiratsantrag zu machen
Seit einem Verkehrsunfall vor 22 Jahren ist der heute 50-jährige Hartmut Wesarg querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl. Seiner Lebensgefährtin machte er nun einen Heiratsantrag - und das im Stehen!
Dingelstedt. Das Wichtigste zuerst: In Dingelstedt wird bald geheiratet. Susann Skotki hat den Heiratsantrag ihres Lebensgefährten Hartmut Wesarg angenommen. Seit zehn Jahren lebt sie bereits mit ihm zusammen.
Das Besondere in dieser Beziehung: Seit einem Verkehrsunfall vor 22 Jahren ist der heute 50-jährige Hartmut Wesarg querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl. Aufgegeben hat er trotz dieses Schicksalsschlages nie. Im Gegenteil, Hartmut Wesarg strotzt vor Energie und Lebenslust. Diese positive Einstellung hilft ihm, mit seinem Schicksal fertig zu werden, sagt der Dingelstedter.
Unfall auf dem Weg zur Geburtstagsfeier
Über seinen Unfall erzählt er, als sei er erst gestern geschehen. „Ich wollte zum Geburtstag meiner Großmutter und war zwischen Wulferstedt und Oschersleben unterwegs.“ Das war im Februar und der Wechsel des Straßenbelages wurde ihm zum Verhängnis, die Fahrt endete an einem Baum. „Das war ein Sonntagsnachmittagskaffee-Unfall, bei dem weder Drogen noch Alkohol im Spiel waren, ich hatte einfach Pech“, sagt Wesarg.
Sein Rückenmark war infolge des durchtrennt worden und plötzlich war alles im Leben des Dingelstedters anders. Nach einem halben Jahr in der Klinik und der Reha kam Hartmut Wesarg auf eigenen Wunsch zurück nach Hause und saß bereits im Oktober wieder hinter dem Lenkrad. „Autofahren ist nun mal meine große Leidenschaft.“
Von seinem alten Beruf des Zimmermanns hatte er sich zu diesem Zeitpunkt bereits verabschiedet. „Mit Rolli auf dem Dach ist doof“, sagt er augenzwinkernd.
Er sehe sich nicht als Behinderter, betont Wesarg. „Ich kann nur nicht laufen.“ Und selbst das sei dank neuer Errungenschaften der Medizintechnik kein wirkliches Tabu für Querschnittsgelähmte mehr. „Ich habe enge Verbindungen zu einem Sanitätshaus in Hannover und auf Messen viele Neuerungen für Querschnittsgelähmte kennengelernt und ausprobiert.“
Technik auf Messen entdeckt
Dabei habe er seinen Stehrollstuhl entdeckt, der ihm vor allem bei Arbeiten im Haus gute Dienst leiste. Dank dieses Geräts existiert zum Beispiel ein Foto, auf dem Hartmut Wesarg Holz stapelt - mannshoch.
Auf einer dieser Messen für Medizintechnik habe er nun das sogenannte Exo-Skelett kennengelernt, eine elektrisch betriebene Stütze, die dank motorisierter Hüften und Knie Querschnittsgelähmten ihre verloren gegangenen Fähigkeiten wie Gehen und Stehen zurückgibt. „Mit einem solchen Gerät könnte ich wieder selbstständig aus dem Sitzen aufstehen, selbstständig Gehen, Stehen und sogar Stufen oder Treppen steigen“, berichtet Hartmut Wesarg. Seine Begeisterung bei diesem Gedanken lässt seine Augen leuchten. „Das ist genau das, was ich brauche. Ich könnte endlich wieder vor die Tür gehen.“
Zweimal konnte er dieses Exo-Skelett bereits ausprobieren und war sofort begeistert. „Endlich wieder auf eigenen Füßen stehen, das war einfach großartig“, schwärmt der 50-Jährige.
Krankenkasse lehnt Antrag ab
Sofort habe er nach diesen „Probeläufen“ einen Antrag an seine Krankenkasse gestellt. Die Antwort allerdings fiel ernüchternd aus. „Abgelehnt.“ Die Kasse sei der Meinung, die Hilfsmittel, die ihm aktuell zur Verfügung stehen – Stehrollstuhl und Elektrozuggerät- würden ausreichen, berichtet der Querschnittsgelähmte.
Entmutigen lässt er sich auch davon nicht und unternimmt den nunmehr dritten Probelauf: auf dem Edeka-Parkplatz in Dingelstedt, in die Arme seiner künftigen Frau. „Alle sollen sehen, wie gut ich mit dem Exo-Skelett klarkomme und dass das Gerät bei mir genau richtig wäre. Ich will das unbedingt und werde darum kämpfen“, erläutert Wesarg seine Wahl für den öffentlichkeitswirksamen Ort, an dem der Heiratsantrag stattfand.
Die betreuenden Physiotherapeuten Marcel Mielke und Andree Bolte, die dem Querschnittsgelähmten das Skelett anpassten und ihm assistieren, sind mit dem Agieren ihres Patienten sichtlich zufrieden und lassen sich von dessen Freude anstecken. „Hartmut Wesarg wäre ein geeigneter Kandidat für das Skelett und es würde seine Lebensqualität erheblich verbessern“, schätzt Marcel Mielke ein.
Er sieht neben den positiven Effekten auf die psychische Verfassung der Patienten viele weitere gesundheitliche Vorteile. „Durch das Stehen und Laufen kommt der Kreislauf in Schwung, damit auch die Funktion von Blase und Darm, das Körperfett schmilzt, Körperhaltung und Gleichgewicht verbessern sich, es kommt zu besserem Schlaf und weniger Müdigkeit und sogar Schmerzen können sich verringern“, erläutert Mielke.
Basketball spielen im Rollstuhl
Die Kosten für ein solches Gerät betragen im Schnitt 100.000 bis 120.000 Euro. In diesem Preis ist nicht nur das Gerät selbst, sondern auch die Schulung im Gebrauch enthalten, denn bis Hartmut Wesarg ganz alleine laufen könnte, müsste er ein Training mit den Therapeuten absolvieren.
Das würde er sehr gern und ist sich sicher, dass er mit diesen körperlichen Herausforderungen gut fertig werden könnte. Seit Jahren hält er sich mit Rollstuhlbasketball fit, fährt dafür regelmäßig nach Magdeburg.
Er sei enttäuscht, dass sein Antrag durch die Krankenkasse abgelehnt wurde, ohne dass jemals ein Vertreter der Kasse mit ihm darüber gesprochen habe. „Ich bin dort nur eine Nummer“, kritisiert der Dingelstedter.
Er habe sich zwar mit seinem Schicksal arrangiert, nicht aber mit der Tatsache, dass es in Deutschland große Unterschiede im Umgang mit Unfallopfern gebe. Er ist sich sicher: „Wäre ich während der Arbeit vom Dach gerutscht und die Berufsgenossenschaft zuständig, stünden meine Chancen wahrscheinlich besser.“