Auf der Bühne Sommertheater von seiner besten Seite
Ein bisschen Klamauk, Wortwitz und überraschende Erkenntnisse. Die Waldweiber überzeugen. Was eine Begegnung auf einem Hochsitz auslösen kann, erzählt eine aktuelle Inszenierung des Städtebundtheaters.

Halberstadt/Quedlinburg - Nun also wieder ein Herl. Bereits 2019 hat das Nordharzer Städtebundtheater sein Publikum mit dem vielseitigen Autoren, Theatergründer, Kolumnisten bekannt gemacht. Auf dem Spielplan stand die Komödie „ Captain´s Dinner“. Regie: Fernando Blumenthal. Damals war Daniel Theuring als Dramaturg an der Produktion beteiligt.
Beim aktuellen Herl „Waldweiberwildwechsel“, uraufgeführt 2012 in Dresden, führt Theuring nun selbst Regie.
Beide Stücke verbindet nicht nur, dass sie Zweipersonenstücke sind. Was wichtiger ist: in beiden nimmt der Autor das menschliche Miteinander in seinen Höhen und Tiefen, größtenteils mit leichter Ironie, aufs Korn. Sein Leitmotiv: „nichts ist, wie es scheint. Man muss nur genau hinsehen“.
Ideales Sommertheater
Mit dem Ergebnis, dass durch diesen dramaturgischen Ansatz des Pfälzers erst am Ende der Komödie klar wird, wohin die Reise ging.
Doch bis dahin gibt es ein Feuerwerk von amüsant bizarren Wortwechseln, Anspielungen – zum späteren Nachdenken oder Schmunzeln – überraschenden Wendungen und gelegentlich etwas Klamauk. Mithin ein ideales Stück für ein vergnügliches Sommertheater.
Schon für sich allein ist die Wahl eines Hochsitzes als Ort der Handlung skurril genug. Hier befindet sich Gundula Gerster, eine Jägerin, die Büchse im Anschlag. Plötzlich Geschrei. Gepolter. Hilferufe. Eine Walkerin mit zwei Stöcken, Paula Polz, rennt herbei, hinter ihr ist Getrampel und Gegrunze zu hören.
Tiefgang auf dem Hochsitz
Sie wird verfolgt von einer Rotte Wildschweinen. In letzter Sekunde kann sie sich auf den Hochsitz zu Gundula Gerster retten. Wer allerdings nun einen Zickenkrieg erwartet, wird enttäuscht. Die zufällige und durch äußere Umstände erzwungene Zweisamkeit der Frauen führt zu erstaunlichen Ergebnissen.
Der anfängliche Smalltalk entwickelt sich nach und nach zu einem Gespräch mit Tiefgang, ganz einfach, weil man oben sitzen bleiben muss, da die grunzenden Wildschweine nicht verschwinden wollen. Was mit Schein und Sein beginnt, verwandelt sich allmählich in Vertrauen und Verstehen.
In der Inszenierung funktioniert die Pause wie eine Zäsur in der Wandlung der Personen. Zunächst treffen eine vornehme Touristin von der Elbchaussee (Paula Polz), die in der Region ayurvedet und eine eher bodenständige Frau (Gundula Gerster), die im Ostharz einen Hofladen betreibt, aufeinander. Dank deren lebenskluger Geduld legt die jüngere (Stolz auf Polz) allmählich ihr aufgesetztes upper-class-lady-Gehabe mit Champagner und Kaviar ab und zeigt, wer sie wirklich ist: eine Frau, die von der vornehmen hanseatischen Verwandtschaft ihres Mannes nie akzeptiert wurde. Zusätzlich lernt sie von der 20 Jahre Älteren ein bisschen Jägerlatein und viel mehr über das Verhalten von Wildschweinen in allen Lebenslagen. Auch Gundula Gerster öffnet sich, erzählt von den Jahren in der LPG, den Problemen in der Wendezeit und ihrem heutigen Hofladen.
Irgendwann kommt das Gespräch auch auf die Ehemänner. Der Mann von Gundula Gerster hat „Rücken“. Herr Polz ist bereits tot und hatte zeitlebens „einen unruhigen Docht“.
Ideale Interpretinnen
Nach einer gemeinsamen Nacht auf dem Hochsitz und dem Verschwinden der Wildschweine kehrt Paula Polz in ihre Pension zurück, nicht ohne sich mit Gundula Gerster für den nächsten Abend verabredet zu haben, was beide durch einen nicht unerotischen Tanz mit den Nordic Walking Stöcken bekräftigen.
In Julia Siebenschuh als Gundula Gerster und Anne Wolf als Paula Polz hat Regisseur Daniel Theuring ideale Interpretinnen gefunden, die mit Verve und beachtlichem körperlichen Einsatz die Situationen unter, am und auf dem Hochsitz meistern. Es gelingt ihnen mit viel Temperament und ohne Larmoyanz, aber mit viel Sprachkultur aus ihren Rollen Charaktere zu machen.
Lisa Überbacher zeichnet verantwortlich Ausstattung und Kostüme. Lustig der als Schnapslieferant umfunktionierte allseits bekannte Desinfektionsmittelspender. Eine mit Bäumen bemalte wallende Stoffbahn im Hintergrund symbolisiert den deutschen Wald.
Mit dieser Inszenierung, die nunmehr Open-air zu erleben ist, verabschiedet sich Daniel Theuring aus Halberstadt.
Der Schauspieldramaturg wollte vor seinem Weggang vom Nordharzer Städtebundtheater noch einmal Regie führen. Ab ersten Juli wechselt er an das Stadttheater Ingolstadt.