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Lesung mit dem Titel "Der vergessene Krieg" in der Samuel-Walther-Werkstatt in Wegenstedt Tagebuch erweckt Geschichte zum Leben

Von Anett Roisch 25.07.2012, 05:21

Dank eines Dachbodenfundes - einem Tagebuch - und der emsigen Arbeit des Chronikkommissionsmitgliedes Ewald Koch sind Besucher der Geschichtswerkstatt in eine andere Welt eingetaucht. Unter dem Titel "Der vergessene Krieg" haben Geschichtsinteressierte aus Schriften von 1914 bis 1918 vorgelesen.

Wegenstedt l "Mit den Schilderungen aus dem Tagebuch von Otto Recht und aus Feldpostbriefen von Rudolf Schneidenbach können wir heute Abend durch die Zeit reisen", sagte Vivien Schlüer, Leiterin der Wegenstedter Chronikkommission. Sie begrüßte die Gäste zur ersten Lesung in der Samuel-Walther-Geschichtswerkstatt.

Groß war Anfang des Jahres die Freude bei den Mitgliedern der Arbeitsgruppe "Regionale Geschichtsforscher der Verbandsgemeinde Flechtingen" über diesen Schatz der ganz besonderen Art. Susann und Jens Köhler hatten ein Wohnhaus in Wegenstedt gekauft. Auf dem Dachboden fanden die neuen Besitzer viele verstaubte Dokumente, die für die regionalen Geschichtsforscher von großem Wert sind. Susann Köhler übergab den historischen Schatz verantwortungsbewusst als Schenkung an die Arbeitsgruppe. Ewald Koch stürzte sich voller Begeisterung auf das Tagebuch von Otto Recht. Koch hatte den Text in mühevoller Kleinarbeit transkribiert. Koch übersetzte nämlich die Eintragungen, die in Sütterlin geschrieben waren. Das ist eine 1911 von Ludwig Sütterlin erfundene Schrift.

Berthold Heinecke, Mitglied im Freundeskreis der Geschichtswerkstatt, erklärte: "Vergessen ist dieser Krieg, weil er in vielerlei Beziehung von der anderen Katastrophe des 20. Jahrhunderts - dem Zweiten Weltkrieg - noch in den Schatten gestellt wurde". Heinecke meinte, dass dieser Krieg zu Unrecht vergessen wurde. "Der Erste Weltkrieg hat den Zweiten Weltkrieg erst möglich gemacht. Von den mehr als 13 Millionen deutschen Soldaten, die an diesem Krieg teilgenommen haben, sind über zwei Millionen ums Leben gekommen", erinnerte Heinecke.

Hartmut Krökel aus Wegenstedt trug ausdrucksstark die Worte von Otto Recht vor. Recht war damals Schüler eines Gymnasiums in Belgern bei Torgau. Später studierte er Theologie und wurde für 40 Jahre Pfarrer in Flechtingen. Seinen Ruhestand verbrachte er in Wegenstedt.

Martin Kontzog, der in Böddensell geboren ist, las aus der Feldpost des Soldaten Rudolf Schneidenbach, die er von der Front an seine Angehörigen in Dresden geschrieben hatte. Seine Enkelin aus Flechtingen hatte die Briefe zur Verfügung gestellt. Die Gedanken des jungen Otto Recht aus der sicheren Heimat wurden mit den Erlebnissen des Frontsoldaten Schneidenbach gegenübergestellt. Die Zuhörer waren beeindruckt, denn die Zeitzeugen beschrieben anschaulich ihre Erlebnisse. Die Schilderungen zeigten, wie sich die Einstellungen zum Sinn des Krieges allmählich änderten.

"In der Geschichte sind auch Dichtung und Wahrheit unlösbar verbunden."

Berthold Heinecke, Mitglied im Freundeskreis der Geschichtswerkstatt

"Wie immer in der Geschichte sind auch bei der historischen Beschreibung des Ersten Weltkrieges Dichtung und Wahrheit unlösbar verbunden. Dies gilt nicht nur für die persönlichen Betrachtungen derer, die diese Zeit erlebt haben, sondern auch für die große Politik", sagte Berthold Heinecke. Als Beispiel dafür nannte Heinecke den Aufruf des deutschen Kaisers Wilhelm II. "An das deutsche Volk". Der Aufruf war bei der Lesung vom Tonband zu hören. "Dieser Aufruf vom August 1914 wurde erst im Februar 1918 von Wilhelm im Schloss Bellevue aufgenommen. Zu einem Zeitpunkt also, als absehbar war, dass der Krieg verloren ist", erklärte Heinecke.

Die Lesung ergänzte die Ausstellung "Die Reise durch die Zeit - Geschichte an zehn Objekten", die noch bis zum 2. September besucht werden kann.