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Kleine Läden haben es im Landkreis Börde schwer - Inhaber sind am Ball, auch wenn Kunden wegbleiben. Von Mandy Ganske-Zapf Tante Emma: Gehört sie schon zum alten Eisen?

15.08.2012, 03:21

Der Bedarf an Einkaufsmöglichkeiten direkt im Dorf steigt, und die Produkte dürfen gern etwas teurer sein. Das legt zumindest eine Studie vom renommierten Mckinsey-Beratungsinstitut nahe, die vor Jahren erarbeitet worden ist. Immer wieder ist seitdem vom Comeback der Tante-Emma-Läden die Rede. Das aber ist in der Börde nur die halbe Wahrheit.

LandkreisBörde lDie Inhaber dieser kleinen Läden müssen ganz schön kämpfen. Denn kurze Wege zu einem Laden sind den Menschen zwar wichtig. Die bittere Erkenntnis aber ist: nicht allen und nicht jeden Tag. Das ist die Erfahrung der Ladenbesitzer im Landkreis Börde und bringt wohl auf den Punkt, warum es Tante-Emma-Läden heutzutage so schwer haben zu überleben.

Monika Hülshoff, 61 Jahre alt und seit wenigen Jahren Beendorferin, hat einen Laden eröffnet, ihn gemeinsam mit ihrer Familie aufgebaut und vor kurzem an ihre Schwester Martina Westermann abgegeben. Den Beendorf-Laden mitten im Ort, der selbst am Rande des Bartensleber Forstes gelegen ist. Aber nicht in der Pampa. Die Konkurrenz ist nicht einmal sieben Kilometer die Landstraße hinunter entfernt. So weit ist es bis zur 23000-Einwohner-Stadt Helmstedt.

"Es kommen noch diejenigen, die mal etwas vergessen haben"

Im Laden geht die Tür. Hannelore Zaske kommt herein, begrüßt die Schwestern. Sie will Linsensuppe und Bratkartoffeln kaufen. Beides ist hier teurer als in jedem Supermarkt. Die 71-Jährige sieht das pragmatisch. Eine Fahrt nach Helmstedt kostet 4,50 Euro, mit Umsteigen per Bus. "Das Geld kann ich auch hier ausgeben", sagt sie knapp, aber freundlich. In nicht einmal fünf Minuten hat sie alles, was sie braucht und geht nach einem kurzen Schwatz mit den Ladenbesitzerinnen.

Für diese drei Kleinigkeiten durch ellenlange Gänge bei Kaufland und Real zu wandern - das ist nicht ihre Welt. Von Kundinnen wie Hannelore Zaske leben die Schwestern im Beendorf-Laden, und für sie.

Und sie schaffen das, obwohl der Umsatz kleiner Läden in den vergangenen zwei Jahrzehnten kontinuierlich sinkt, ebenso die Kundenzahl.

Es sind die älteren Menschen ohne Auto, die in den Laden schauen. Sie wollen auf die Art ihren Alltag weiter selbst in die Hand nehmen und ganz nebenbei noch alte Bekannte treffen. Dabei ist der Laden in Beendorf inzwischen mehr als eine Verkaufsstelle. Eine kleine Kaffeeecke lädt zum Verweilen ein. Leute, die sich kennen, kommen zur gleichen Zeit. Stillschweigende Übereinkommen sind da getroffen, ohne sich zu verabreden. Der Laden wird zur Ortsmitte, in der man sich wie zufällig begegnet. "Sonst kommen noch diejenigen, die mal etwas vergessen haben", sagt Martina Westermann, während Monika Hülshoff Kunden abkassiert.

Was dabei am Ende jeden Monats übrig bleibt, wissen sie oft nicht im Voraus. Denn die Einkäufe für ihren Laden sind eine Wissenschaft für sich. Das macht den beiden Damen schwer zu schaffen. Sie fahren im Großmarkt einkaufen, für kleine Mengen. Denn nie können sie wissen, wie groß der Kundenansturm jeder Woche wirklich wird. Sie sind ein kleiner Fisch, der von Nachlässen wie es sie für Massenabnehmer gibt, nicht profitiert. Sie fahren zu ausgewiesenen Rabattzeiten in den Großmarkt. Die Kosten-Kalkulation ist dennoch ein nicht endender Drahtseilakt, den sie auf Kundenwünschen vollführen, die sich jeden Monat ändern. So ergeht es nicht nur den beiden.

"Kommen mal Jüngere, dann fragen sie nach außergewöhnlichen Dingen"

In Siestedt tritt ein junges Paar in den alten Laden, der neben der Feuerwehr angesiedelt ist. Schüchtern kommen Nina Sievers und Mark Reinhart herein und laufen langsam und bedächtig über den dunkelbraunen Parkettboden als wären sie in einem Museum. Im Moment sind sie die einzigen Kunden. Die Inhaberinnen Elke Blech und Bärbel Krüger warten schon auf die Frage der beiden Studenten und ahnen, was kommt. Dann Nina Sievers: "Haben Sie Katzenfutter?" Die beiden Frauen müssen sagen: "Nein, haben wir nicht."

Die jungen Leute gehen, ohne dass die Kasse klingelt. "Es ist ein Dilemma", erläutert Elke Blech. "Wir haben vor allem Produkte für die Älteren. Kommen mal Jüngere für einen schnellen Einkauf, dann fragen sie nach außergewöhnlichen Dingen." Katzenfutter außergewöhnlich? Vielleicht nicht unbedingt: Aber stets wird das verlangt, was gerade nicht vorrätig ist, meinen die Damen - ein ungeschriebenes Gesetz. Trotzdem lassen sie zweimal die Woche frische Wurst liefern, denn "die geht gut". Insgesamt kommen sie irgendwie über die Runden.

Die beiden Frauen wirken etwas verloren in dem großen Laden, der nach der Wiedervereinigung zunächst zur Ländlichen Erzeugergenossenschaft Schölecke-Tal gehörte. Im Jahr 1996 taten sich die beiden Schwägerinnen zusammen und übernahmen die Verkaufsstelle, die sich seitdem kaum verändert hat.

Elke Blech und Bärbel Krüger haben in dieser Hinsicht wohl ein Marketing-Problem. Nicht einmal ein Schild weist von der Straße aus auf den Laden hin. Die Straße, auf der es bis nach Weferlingen knapp drei Kilometer sind, wo eine ausgefeilte Supermarkt- und Discounterlandschaft zu finden ist nebst Bäcker und Fleischer. Trotzdem wissen die beiden Frauen, dass die Siestedter den Laden nicht missen wollen. So wie es immer einen Aufschrei gibt, wenn etwas schließt. Die Option, einen Laden in der Nähe zu haben, nur für den Fall, dass man ihn braucht - das ist offenbar die Lebensqualität.

"Da beginnt mancher Sonnabend früh um fünf Uhr"

Eine Lebensqualität, die nicht mehr in vielen Orten herrscht. Seit dem Jahr 1993 ist die Zahl von Läden mit einer Verkaufsfläche von weniger als 400 Quadratmetern bundesweit um rund 40 Prozent gesunken. Große Supermärkte liegen im Trend. Da hilft den Kleinen nur, mehr zu sein als ein einfaches Lädchen.

Martina Westermann und Monika Hülshoff zum Beispiel haben eine Blumenverkaufsstelle integriert - in Zusammenarbeit mit einer Floristin. Frische Backwaren sind selbstverständlich. Und im Ort sind die Beendorf-Schwestern engagiert. Sie führen in ehrenamtlicher Arbeit eine Bibliothek, haben die Leute zu Bücherspenden aufgefordert, und das kam an. Sie organisieren Märkte in Frühjahr und Herbst, außerdem Leseabende.

Auch Irmintrud Sonnenberg in Hörsingen hat schnell gelernt, dass es nicht reicht, einen Laden zu eröffnen und die Regale mit Produkten zu füllen. Catering ist für sie das Zauberwort. Und da zeigt sich eben doch: Selbstgemachtes wissen die Menschen zu schätzen. Salate und Brötchen macht sie nach eigenen Rezepten für Hochzeiten oder Geburtstage.

"Ist der Handel noch so klein, dann bringt er mehr als Arbeit ein"

"Da beginnt mancher Sonnabend früh um fünf Uhr und endet abends um acht", berichtet Irmintrud Sonnenberg von ihrem Alltag. Lachend, aber mit einem gewaltigem Funken Wahrheit sagt sie das Sprüchlein: "Ist der Handel noch so klein, dann bringt er mehr als Arbeit ein." Und diese Arbeit macht ihr Spaß, sagt die 64-Jährige, hat aber in den zehn Jahren ihrer Selbständigkeit aufgegeben, ihre Kunden zu analysieren. "Ich habe es wirklich versucht, aber es ist von Tag zu Tag immer anders." Andersherum ist sie für die Menschen im Ort eine Konstante geworden.

Und so bangt schon manchem Hörsinger vor ihrem Renteneintritt, den sie bereits für Ende September angekündigt hat. Die guten mit Meerrettich gefüllten Schinkenröllchen, die selbst gemachten Marmeladen, die freundliche, nette Bedienung - das alles gehört zur Tante Emma, die irgendwie trotz der Lobesworte vieler Kunden und des vielbeschworenen Comebacks doch ganz schön aus der Mode gekommen zu sein scheint.