Festlicher Gottesdienst in der St.-Marien-Kirche: Selbsthilfegruppe "Blauer Ring" besteht seit 30 Jahren Um "trocken" zu bleiben, braucht es Freunde und Freude am Leben
Haldensleben l Seit 30 Jahren helfen sich in Haldensleben Menschen, die alkoholkrank sind, gegenseitig. "Ich kenne keinen, der es allein geschafft hat, vom Alkohol loszukommen", sagt Siegmund Heyme, der viele Freunde und Familienangehörige zum Festgottesdienst in der St.-Marien-Kirche und anschließend zur Festveranstaltung im Gemeindehaus begrüßen konnte. Die christliche Selbsthilfegruppe "Blauer Ring" beging ihr Jubiläum mit vielen Gästen.
Der pensionierte Pfarrer Albert Schorr aus Naumburg hielt die Festpredigt. Er habe jahrelang mit Alkoholikern in der Magdeburger Stadtmission zu tun gehabt, erzählte er, er sei gern zu diesem Festgottesdienst nach Haldensleben gekommen. Und er schilderte mit drastischen Worten die Zerrissenheit der Alkoholkranken. Für den Gottesdienst hatte er ein Lied von Paul Gerhard aus dem Jahr 1653 ausgesucht: "Geh aus mein Herz und suche Freud". Fünf Jahre nach Beendigung des 30-jährigen Krieges geschrieben, als alles in Schutt und Asche lag. Auf den Frieden zu hoffen in dieser schwierigen Zeit war alles, was den Menschen blieb. Schorr verglich die Situation mit Alkoholikern nach schwerem Entzug. Was blieb ihnen, wenn es kein Saufen mehr gab, so fragte er. Die Entscheidung, wie es weitergehen soll, wird hinausgeschoben. Da werden Freunde gebraucht, die Mut machen. Und: Nur trocken zu sein, das reicht nicht. Wieder Freude am Leben zu finden, wieder lachen zu können, auch darum geht es. Und so dankte Siegmund Heyme in seinem Gebet auch vor allem, "dass wir noch am Leben sind." Aber auch, dass sie wieder zuverlässige Mitglieder ihrer Familien geworden sind, die Freude am Leben haben.
Seit 30 Jahren stützen sich Alkoholkranke in Haldensleben gegenseitig. Damals 1983 waren drei, vier Leute aus Haldensleben zur Kur auf dem Wilhelmshof, einer Suchtklinik der Kirche. Und sie vereinbarten, sich auch weiter zu treffen, sich gegenseitig zu helfen, aber auch anderen. Erst treffen sie sich in ihren Wohnungen, doch die Gruppe wird größer, sie ziehen um in das Gemeindehaus. Die gute Verbindung zum Wilhelmshof bleibt. Die Mitglieder aus der Selbsthilfegruppe "Blauer Ring", wie sie sich nennen, schicken auch andere Alkoholabhängige dorthin, und sie bekommen Hilfe, nach der Rückkehr ist die Gruppe da, die Gespräche anbietet.
Allerdings, so sagt Siegmund Heyme, beginnt jedes Treffen mit einer zehnminütigen Andacht. Das müssen jene tolerieren, die konfessionslos sind. Die Christen finden auch Halt in ihrem Glauben. Und bisher hat das auch funktioniert, sagt Siegmund Heyme, der die Andacht hält. Das weitere übernimmt der Vorsitzende der Gruppe Reiner Bürger. Wer längere Zeit trocken ist, kommt nicht mehr zu jedem Abend, nur noch ab und zu, um den Kontakt nicht abreißen zu lassen. So kommen in der Regel 15 bis 20 Betroffene donnerstags um 19.30 Uhr im Gemeindehaus am Gärhof 7 zusammen. Wenn jedoch Veranstaltungen stattfinden, sind es meistens sogar 40. Die Selbsthilfegruppe unternimmt gemeinsame Busfahrten, da sind auch die Familien dabei, auch die Kinder. Ostern und Weihnachten wird gemeinsam gefeiert, und auch Himmelfahrt.
Auch zum Geburtstag der Gruppe war die Runde an den festlich gedeckten Tafeln im Gemeindehaus sehr groß. Es war viel Zeit für Gespräche. Und der Nachmittag wurde wie der Gottesdienst auch musikalisch umrahmt.