Livemusik Warum ein Bremer in Halberstadt zwei Uraufführungen bietet
Sie sind Stars in der Szene der Neuen Musik, die Akteure, die am 30. Mai in der Halberstädter Klaussynagoge ein Konzert geben. Öffentlich, aber hinter verschlossenen Türen.

Halberstadt - Akiko Okabe und Ludwig Faust sind noch nicht da am Freitagmorgen. „Unsere Probe beginnt um 11 Uhr“, sagt Christopher Ogiermann. Der Bremer Komponist geht in den Betraum der Halberstädter Klaussynagoge und begrüßt Sarah Maria Sun. Die beiden Musiker kennen sich, unter anderem von Begegnungen in Halberstadt. Cage ist ein verbindendes Element für beide Künstler. Und Cage wird sie auch im September wieder ins Cage-Haus des Burchardiklosters führen. Ogiermann leitet dann den 7. Internationalen Wettbewerb für die Interpretation zeitgenössischer Musik, an den sich Sarah Maria Suns Meisterkurs anschließt.
Für Ogiermann erschließt sich Halberstadt mit jedem Besuch ein bisschen mehr. Sein erster Besuch beschränkte sich auf das Burchardikloster und dessen Umgebung, was ihn, wie er zugibt, zu einer vorschnellen Ansicht verleitet habe. „Ich dachte damals, das hier ist so eine Verliererstadt im Osten.“ Dass er dann als Wessi komme und Aktion mache, empfand er als deplatziert. Mit weiteren Besuchen erschloss sich ihm die Stadt mehr, vor allem, weil er spannende Halberstädter kennenlernte und auch von der Stadt mehr sah. Aber abgeschlossen, sagt der 54-Jährige, sei seine Meinungsfindung nicht.
Fettnäpfchen nicht ausgelassen
Peinlich war ihm seine Bemerkung, „so richtig fertig seit ihr ja noch nicht hier in Halberstadt“. Ein Satz, den er ausgerechnet zwei Halberstädtern gegenüber äußerte, die selbst ganz aktiv an der Sanierung der Fachwerkhäuser in der Altstadt beteiligt waren. Er spürte, dass er da ins Fettnäpfchen getreten war, fühlte sich „mal wieder als der blöde Wessi“. Der guten Beziehung zueinander schadete es aber nicht. Inzwischen kennt er auch viele Halberstädter, die selbst aktiv sind, künstlerische Aktionen starten.
Nun ist Ogiermann erneut in Halberstadt, morgen werden zwei Stücke von ihm eine Uraufführung erleben. Eines hat einen engen Bezug zu Halberstadt. Wie der vierfache Vater berichtet, haben ihn Postkarten der Moses-Mendelssohn-Akademie auf die Idee gebracht.
Kurze Musik, inspiriert von Franz Kafka
Auf denen fanden sich Zitate von Franz Kafka, der am 7. Juli 1912 auf dem Weg zu einer FFK-Kur im Harz in Halberstadt übernachtet hatte und seine Eindrücke im Tagebuch und Briefen festhielt.
„Jutta Dick, die mich bei einem Konzert in Halberstadt erlebt hatte, fragte mich im Anschluss, ob ich nicht Lust hätte, etwas gemeinsam mit der Moses-Mendelssohn-Akademie zu machen.“ Sie übergab Ogiermann die Postkarten und sofort begann der, einzelne Worte zu markieren. Anfang eines Schaffensprozesses, dessen Ergebnis morgen zu erleben sein wird.
„Es sind 18 ganz kurze Stücke entstanden, manche nur 20 Sekunden lang, keines länger als anderthalb Minuten“, verrät Ogiermann. Dabei habe er sich von den Worten Kafkas leiten lassen, der sich selbst ja einerseits ständig als bedroht erlebte, andererseits so voller Schaffenslust war. „Manches ist ganz leise, kaum wahrnehmbar, bei anderem wiederum wird es richtig laut oder mit sehr viel Aktion verbunden sein.“
Sopranistin Sarah Maria Sun freue sich darauf, gleich zwei Uraufführungen von Christoph Ogiermann präsentieren zu können. Dabei hat sie schon an über 350 Uraufführungen mitgewirkt. „Aber ich weiß, dass da Qualität um die Ecke kommt“, sagt sie und fügt an: „Gideon Klein habe ich auch noch nicht gesungen.“