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Heimatgeschichte Aus der Böddenseller Schulchronik

Wie schwierig beziehungsweise hart das Leben eines Dorfschullehrers war, können wir nachfolgend erfahren. Nicht umsonst gibt es das Lied vom armen Dorfschulmeisterlein.

Von Reinhard Köhn 27.4.2021, 13:21
Zu Höchstzeiten wurden in der Böddenseller Schule bis zu 80 Kinder in einem Klassenraum unterrichtet. Foto: Schulchronik BöddensellMeine Heimat.
Zu Höchstzeiten wurden in der Böddenseller Schule bis zu 80 Kinder in einem Klassenraum unterrichtet. Foto: Schulchronik BöddensellMeine Heimat. Schulchronik Böddensell

Böddensell. Wie in fast jedem Dorf des Königreiches Preußen, bestand auch in Böddensell eine Schule. Hier wurden von einem Lehrer zu Höchstzeit bis zu 80 Schülerinnen und Schüler in einem Klassenraum unterrichtet. Das Besetzungsrecht (der Lehrer) hatte der Herr Baron von Schenk aus Flechtingen, dem das Gut Böddensell seit 1827 gehörte. Auszüge aus der Schulchronik:

1850

Das Stelleneinkommen: Das Einkommen der Stelle war ehemals sehr gering. An Geld erhielt der Lehrer von jedem Kinde jährlich einen halben Groschen (1 Mark 50 Pfennig). Dazu kam der Ertrag von 8 Morgen Sandfeld und 3 Morgen Wiesen. Ein Morgen ist ungefähr 25 ar 15 m². Aus der Gemeindekasse erhielt der Lehrer 10 Scheffel Roggen, Betstundenkorn genannt, dergleichen vom Gute Böddensell 1 Scheffel. Dann hatte der Lehrer auch das Recht 3 bis 4 Kühe auf die Weide zu treiben.

1880

Besondere Pflichten des Lehrers: Der Lehrer harre außer dem üblichen Schuldienst die Pflicht, täglich die Uhr auf dem Gutshof aufzuziehen. Dazu kam ein Anschlagen, welches pünktlich mittags um 11 Uhr geschehen musste. Zu ebenso bestimmter Zeit musste der Lehrer am Abend Feierabend läuten. Ferner war der Lehrer verpflichtet, in der Ernte 14 Tage von morgens bis abends Roggengarben zusammenzutragen und aufzustellen.

1892

Lehrervertretung: Ende Februar erkrankte der Lehrer an einer schweren Krankheit, weswegen derselbe einen bis Ostern anhaltenden Urlaub erhielt. In dieser Zeit unterrichteten je einen Tag in der Woche die Lehrer Mewes (Wegenstedt), Studte (Mannhausen), Lebenroth (Grauingen) und Ehlers (Etingen) gegen eine Entschädigung von 75 Pfennige pro Tag.

1893

Neuer Stundenplan: Die Oberabteilung erhält wöchentlich 20, die Unterabteilung 12 Stunden. Auf die einzelnen Fächer entfallen in der Abteilung I auf Religion 4 ½ Stunden, Deutsch 6, Rechnen 3, die weltkundlichen Fächer 4, Gesang 1 ½, Zeichnen 1 Stunde (Summe 20 ), in der Abteilung II auf Religion 3, Deutsch 6, Rechnen 2 und Gesang 1 Stunde (Summe 12).

Neuer Schulbau: Zu Beginn des neuen Schuljahres wird von der Hohen Königlichen Regierung die Inangriffnahme eines neuen Schulhauses zum Frühjahr angeordnet. Veranschlagt ist der Neubau einschließlich Stallungen, Scheune und Aborte auf 15 500 Mark. Bei der Vergebung des Baues erhalten die Maurermeister Riemann Flechtingen und Schrader Calvörde auf ihr Gebot von 14 000 Markt den Zuschlag.

Vor 1893

Schulneubauverhinderungsmaßnahmen: Ein strittiger Punkt zwischen Lehrer und Gemeinde bildete das Auskehren von der alten Schulstube. Der Regierungsverfügung nachkommend ließ der Lehrer wöchentlich 2mal die Schulstube nass aufwischen. Die Gemeinde befürchtete darauf, dass infolge dessen das Gebäude (alte Schule) feucht werde (es stand zur angegebenen Zeit Winter 1892/93 der Neubau an, den man gern verhindern möchte, in Aussicht). Der Lehrer hatte immer die große Feuchtigkeit der Wohnung als Grund einer Besserungsbedürftigkeit des Schulhauses angegeben.

Infolge der oben gegebenen Behauptung der Gemeinde zeigte der Lehrer dem wohltätigen Schulvorstand an, dass er künftig von einer Beaufsichtigung und Anordnung beim Reinigen der Schulstube unter diesen Verhältnissen absehen müsse. Da sich niemand mehr um die Reinigung der Schulstube kümmerte, herrschte bald die größtmögliche Unsauberkeit in der Schulstube. Es vergingen oft mehrere Wochen ehe einmal ausgekehrt wurde. Nur wenn Besuch der Schule z.B. beim Wochenabendmal in Aussicht stand, wurde zu Besen und Wischlappen gegriffen. Gescheuert ist die Schule über ein halbes Jahr nicht.

1894

Weitere Streitigkeiten zwischen Lehrer und Gemeinde: Die Gemeinde verlangte seit dem Schulneubau vom Lehrer das Läuten zum Schulanfang. Der Lehrer lehnte auf Grund seiner Dienstinstruktion diesen Dienst vollständig ab. Entstanden waren die Streitigkeiten dadurch, dass einzelne Kinder auf die Aufforderung des Lehrers sich wehrten, mit dem Bemerken, sie könnten nicht läuten. Um nicht mit Strafe gegen solche Kinder vorgehen zu müssen, ließ der Lehrer solche Aufforderungen überhaupt nicht mehr ergehen, worauf gar nicht mehr geläutet wurde.

Beschwerde führend wandte sich deshalb die Gemeinde an den Herrn Oberinspektor mit dem Ansinnen, den Lehrer zu diesem Dienst anzuhalten. Entgegenkommend versteht sich der Lehrer nur zur Festsetzung der Reihenfolge der des Läutens der Schulglocke besorgenden Kinder unter der Bedingung, dass der Lehrer von diesem Dienst frei sei, die Schulkinder dagegen das Läuten besorgen müssten. Da bis zum Jahresschluss eine solche Bekanntmachung des Schulvorstandes unterblieben war, so wurde auch nicht bis auf wenige Tage geläutet.