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Coronavirus Wie ein Virus das Leben verändert

Corona-Krise: Elf Menschen mit Handicap berichten von ihrem Alltag auf dem Mariannenhof in Etingen.

Von Anett Roisch 04.05.2020, 13:49

Etingen l Auf dem Mariannenhof in Etingen herrscht nach dem Kaffeetrinken reges Treiben. Die Bewohner der Einrichtung der Stiftung Neinstedt verbringen den Nachmittag an der frischen Luft.

„Ich vermisse meine Familie, die in Everingen wohnt. Ich darf sie nicht besuchen“, sagt Franzi Weiser und kuschelt zum Ausgleich mit Garfield, dem Kater des Hofes. Der Vierbeiner genießt die Streicheleinheiten. In der Corona-Zeit dürfen weder die Angehörigen auf den Mariannenhof kommen, noch die Bewohner zu ihren Familien. „Wir hoffen, dass wir das Virus von unserem Haus fernhalten können, zum Glück klappt das bisher sehr gut“, berichtet Kristin Klatt, die mit weiteren zwei Kollegen die elf Bewohner in Etingen betreut. Den Kontakt mit den Angehörigen halten die Bewohner über das Telefon. Die Stimmung im Haus beschreibt die Betreuerin als entspannt, einen Lagerkoller gebe es nicht.

„Auf dem Hof gibt es viel zu tun. Erst vor kurzem haben wir die Stalltüren und Bänke gestrichen. Wir spielen Rommé oder auch Tischtennis.“ Und dann ist da noch der Garten, wo gemeinsam oder jeder für sich schuften kann. Der Garten hinter der Scheune wurde aufgeräumt, die Beete bestellt und eine Benjeshecke errichtet.

Für die Betreuer bedeutet die Corona-Krise eine zusätzliche Herausforderung, denn sie müssen die Tage strukturieren, Hygieneregeln umsetzen und darauf achten, dass die Regeln eingehalten werden. Sie sorgen für die Verpflegung der „Großfamilie“. „Das Gute ist, dass der Hof groß ist. Langeweile kommt da nicht auf. Wir haben mal Zeit, lang geplante Projekte, wie die Gestaltung des Gartens, Stück für Stück umzusetzen“, sagt Kristin Klatt.

Nicht einfach sei es unter den besonderen Umständen, immer alle bei guter Laune zu halten. Die Betreuer nehmen sich nicht nur für tröstende Worte Zeit, sondern spielen auch mal Tischtennis.

„Ich vermisse meine Mama, meine Freundin und Roland – meinen Kumpel, der mich immer zu meiner Mutter fährt“, gesteht Susann Schlüter, die seit Juli 2019 auf dem Hof zuhause ist. Am liebsten hört die 30-Jährige ganz laut Musik. AnnenMayKantereit ist ihre Lieblingsband. Kurz vor der Corona-Krise war sie noch mit anderen Mitbewohnern und Betreuerin Kristin Klatt beim Konzert in Leipzig.

Kai Wenzel bedauert, dass er zurzeit nicht mit dem Zug reisen kann. „Ich wäre jetzt im Mai an die Ostsee gefahren. Da hat mir aber leider Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht“, sagt er mit trauriger Stimme. Der 34-Jährige arbeitet beim Automobilzulieferer IFA in Haldensleben. Ihm fehlen der geregelte Arbeitstag und die Kollegen.

Melanie Handke hilft bei der Gartenarbeit, während Jens Neumann im Stall seine fünf Kaninchen füttert.

Die Corona-Zeit nutzen die Bewohner, um die Beuten (Behausung) für die Bienenvölker im Drömling vorzubereiten. Einige der Frauen und Männer beteiligen sich nämlich im Biosphärenreservat an einem Projekt für Hobbyimker. Zu den Imkern gehört Franzi Weiser. „Meine Idee war es, die Bank rosa zu streichen“, verrät die 20-Jährige und zeigt auf ihr Meisterwerk. „Mir ist oft langweilig“, gesteht Sebastian Haack, der große Sehnsucht nach seinen Großeltern hat. Die Zeit vertreibt sich der 35-Jährige nun unter anderem mit der Gartenarbeit. Sein Job ist das Blumengießen. „Ich habe den Zaun vom Stall der Meerschweinchen gestrichen“, erklärt Mirko Schrader nicht ohne Stolz. Der 28-Jährige versorgt die sechs kleinen bunten Schweinchen. „Alles ist doof. Am meisten fehlen mir meine drei Nichten“, sagt Schrader und zählt die Namen seiner gefräßigen Vierbeiner auf. Schrader wohnt seit März 2018 in Etingen – also seit der Eröffnung des Wohnheimes. Im Ort spielt er auch im Sportverein Etingen/Rätzlingen Fußball. Kaum erwarten kann der 28-Jährige, dass das Training wieder beginnt.

Auch seine Mitbewohner hoffen, dass die Corona-Krise bald ein Ende hat und sie ihre Familien und Freunde wieder sehen können. „Dann machen wir alle eine große Party“, blicken die Hofbewohner sehnsüchtig voraus.