Denkmalschutz Traumhaus wider Willen

Für einen Spottpreis sicherte sich Familie Vogel 2013 ein Grundstück an der Stendaler Straße in Haldensleben.

Von Juliane Just 30.07.2020, 01:01

Haldensleben l „Mut zur Lücke“ stand auf einem großen Schild an der Stendaler Straße. 2013 war das. Das alte Haus, das hier einst stand, wurde bereits zehn Jahre zuvor abgerissen. Ein perfektes Grundstück, dachten sich Familie Vogel. Mit ihrem Friseursalon könnten sie von der unscheinbaren Langen Straße in die erste Reihe am Markt rücken. Doch was sie nicht wussten: Das Grundstück steht unter Denkmalschutz. Der Traum vom modernen Haus zerplatzte.

„Für uns war das Grundstück perfekt. Doch vom Kauf an wurden uns ständig Stolpersteine in den Weg gelegt“, erinnert sich Steven Vogel. Der Plan: ein moderner Flachbau, unten der Friseursalon, oben eine Wohnung zur Vermietung. Ein Architekturwettbewerb zu dem Grundstück zeigte den beiden, wie es später mal aussehen könnte. Sie kauften das Grundstück. Doch dann der Schlag. Die Stadt Haldensleben teilte den frischgebackenen Grundstückseigentümern mit, dass das Grundstück nie für einen solchen Wettbewerb hätte freigegeben werden dürfen. Das Grundstück ist eines von 500 Grundstücken der Altstadt Haldenslebens, die unter Denkmalschutz stehen.

Einen Denkmalstatus erhalten Gebäude wegen ihrer Geschichte oder ihrer Bedeutung für Menschen. Die Kriterien stehen in den Denkmalschutzgesetzen der jeweiligen Bundesländer. Das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Halle entscheidet per Gutachten, ob die Voraussetzungen für den Schutz eines Gebäudes erfüllt sind. Ist das der Fall, kommen auf den Eigentümer teils erhebliche Auflagen zu. Davon kann Familie Vogel ein Lied singen.

Aufgrund der Auflagen werden es anstatt einer nun fünf Wohnungen, die privat oder gewerblich vermietet werden sollen. Das ist nicht nur erheblich mehr Fläche, sondern auch erheblich teurer. „Ursprünglich haben wir mit 250 000 Euro für den Neubau geplant. Inzwischen wird es mehr als doppelt so teuer“, sagt Steven Vogel.

Die Gebäude am Markt in Haldensleben sind ein sogenanntes Kulturdenkmal, wie Thorsten Neitzel, Sachbearbeiter in der unteren Denkmalschutzbehörde des Landkreises Börde, mitteilt. Er ist einer von drei Mitarbeitern, die Häuslebauern mit fachgerechter Beratung in Sachen Denkmalschutz zur Seite stehen. Kulturdenkmale wie die Häuser am Markt in Haldensleben sind nach „denkmalpflegerischen Grundsätzen zu erhalten, zu pflegen und instand zu setzen“.

Doch was Familie Vogel irritiert: Es steht seit Jahren kein Haus mehr auf dem Grundstück. „Warum sollen wir ein Haus genau so bauen, wie es hier früher stand?“, fragt sich Steven Vogel. Das hat etwas mit der Wirkung des Kulturdenkmals zu tun, wie Neitzel ausführt. „Bei einer Baulückenschließung sind die Kubatur, die Materialien für die Gebäudehülle sowie deren Farbgebung so zu wählen, dass davon keine Beeinträchtigung der Wirkung des Kulturdenkmals in den Straßenraum ausgeht“, schreibt er auf Anfrage. Sprich: Ein moderner Flachbau würde schlicht und einfach nicht in die Bebauung am Markt passen.

Für Christin und Steven Vogel brach 2013 eine Welt zusammen, als die Hiobsbotschaft kam. „Das hat uns meilenweit zurückgeworfen“, sagt Steven Vogel. Die beiden verbannten die Pläne vom Traumhaus in eine Schublade und holten sie erst 2017 wieder hinaus, als sie Kraft geschöpft hatten. Mit der Denkmalschutzbehörde stimmten sie den künftigen Bau detailliert ab. „Die Höhe des Bauwerkes, die Dachziegel, die Fenstergröße – einfach alles wurde festgelegt“, erzählt Steven Vogel. Seine Frau und er hätten längst nicht mehr das Gefühl gehabt, ihr eigenes Haus zu bauen.

Die Mitarbeiter der Behörde dürfen im Zuge des Denkmalschutzes gestaltend eingreifen. Das hat sich bei der Sanierung der Otto-Boye-Grundschule gezeigt. Das Weiß des Gebäudes wich einem ockernen Farbton, der 1876 beim Bau an die Wände gebracht wurde. Für die Schulleitung und viele Betrachter war die neue, dunklere Farbe ein Unding. „Dies kommt in der Denkmalpflege zweifellos häufiger vor, insbesondere, wenn Gestaltungsvorstellungen und Sehgewohnheiten durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse in Frage gestellt werden“, so Thorsten Neitzel.

Dabei werde je nach Objekt entschieden, welche Maßnahmen notwendig sind, denn die Bandbreite der Kulturdenkmale ist groß. Dazu gehören Schlossanlagen, Kirchen und Rathäuser, aber auch Bauernhöfe und Wohnhäuser, sowie ganze Denkmalbereiche bis hin zu technischen Denkmalen wie Brücken, Mühlen oder Ziegeleien wie in Hundisburg.

Wann das Gebäude an der Stendaler Straße fertig ist, kann Steven Vogel noch nicht sagen. Je nach Auflage kann sich die Bauzeit verschieben. Im Nachhinein hat er seinen Frieden mit dem Grundstück geschlossen: „Ich bin froh, dass wir naiv an die Sache gegangen sind. Heute würde ich es anders machen.“