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Heimatfreunde Tour führt von Alpakas bis in den Ratskeller

Eine Reise durch die Geschichte von Calvörde haben mehr als 30 Personen unternommen. Der Calvörder Heimatverein hatte eingeladen.

Von Anett Roisch 12.06.2018, 01:01

Calvörde l An der ersten Station des Ortsrundganges stellte Markus Heinemann den mehr als 30 Besuchern vier Alpakas vor. „Die Tiere waren noch nicht geschoren, so dass wir die herrliche Wollpracht bewundern konnten“, schwärmte Christa Merker, Vorsitzende des Heimatvereins.

Die männlichen Tiere hatte Heinemann beim Züchter gekauft, nachdem er einen Sachkundelehrgang besucht hatte. Auf die vielen Fragen der Teilnehmer gab der Besitzer der kamelartigen Tiere geduldig Auskunft. So erfuhren die Gäste, dass Alpakas den Rasen ganz vorsichtig abfressen und nicht wie Schafe die Wurzeln vom Gras herausreißen.

Philipp aus Braunschweig, der Enkel von Carla Schatz, war der jüngste Tourteilnehmer. Der Junge war begeistert von den Tieren, die mit den hiesigen Klimaverhältnissen gut zurecht kommen, aber keine Nässe mögen. Jedes Tier wird einmal im Jahr geschoren und hat 4,5 bis 5 Kilogramm Wolle. Die Schur dauert beim Fachmann nur einige Minuten.

„Die Wolle kann zur Verarbeitung beim Züchter bleiben, bei dem man sich dann Decken, Pullover, Handschuhe und andere Wollsachen bestellen kann. Das Leittier Aron, das die kleine Herde beschützt, war besonders neugierig und wollte sehen, was ich mit meinem Smartphone mache. Mein Mann erhielt sogar von diesem niedlichen Tier ein Küsschen, als er fotografierte“, schilderte die Vereinsvorsitzende.

Weiter ging der Rundgang durch die Haldensleber und durch die Geschwister-Scholl-Straße. „In den Straßen befanden sich fast in jedem zweiten Haus irgendwelche besondere Einrichtungen“, beschrieb Christa Merker. Es gab dort früher zum Beispiel ein Sägewerk, Fuhrunternehmen, Getreidehandel, Schäferei, Hospital, Tierhandlung, Grundschule, katholische Kirche, Hengststation, sehr viele Restaurants und Geschäfte für Lebensmittel, Fleisch, Öl, Backwaren, Obst und Gemüse, Milch, Kolonialwaren, 1000 kleine Dinge, Farben und Lacke sowie Textilien.

Dazu gehörten auch Dienstleistungen wie Werkstätten für Autos und Motorräder, Steinmetz, Schuster, Böttcher, Schneider, Heißmangel, Wannenbäder, Fremdenzimmer, Maurer, Friseure, Stärkefabrik, Hafen, Zollhaus, Bierhandel, Umspannwerk, Kürschnerei, Drogerie, Apotheke, Fotograf und Feinmechaniker. Brigitte Püls hatte zuvor ihre Bekannten gefragt, was sich früher in den Straßen befand. Nach den Recherchen der Vorsitzenden fanden die ersten Anpflanzungen von Rotdornbäumen in beiden Straßen im Jahr 1902 statt.

Genau 100 Jahre später wurde die Haldensleber Straße neu gebaut. „Wir könnten noch lange vor den Häusern stehen und über die ehemaligen Nutzungen sprechen, aber die Zeit drängt“, sagte Christa Merker.

Die Familie Baake erwartete nämlich schon im ältesten Schulhaus Calvördes, ihrem Wohnhaus, in der Hegstraße 11, mit kühlen Getränken auf die Heimatinteressierten. Das erste Schulhaus in der damaligen Schulstraße wurde 1570 gebaut, ist aber bei dem großen Brand in Calvörde 1700 abgebrannt. Später wurde es neu errichtet. Das Zimmer, in dem der Unterricht stattfand, ist nicht besonders groß.

Inge Baake trug einen Abschnitt über das Schulhaus aus dem Buch „800 Jahre Calvörde - eine Chronik bis 1991“ von Rudi Fischer vor. Die Gäste erfuhren, dass die Schule im unteren Teil des Gebäudes eingerichtet war, aber nur Knaben die Schule besuchen durften. Die Jungen wurden in Katechismus, Singen und Lesen unterrichtet. Das Schreiben lernten sie nicht. Oben wohnte der Lehrer, der gleichzeitig Küster und Orgelspieler war.

„Unser Heimatfreund Günter Baake führte uns in seinem Partyraum viele nostalgische Dinge von früher vor“, schilderte Christa Merker. So staunten die Besucher über den besonderen Klang der Musik aus dem uralten Radio. Die größte Aufmerksamkeit fanden aber ein altes Fahrrad mit Karbidlampe und sein Motorrad EMW, das er seit 1960 besitzt und das immer noch funktionstüchtig ist. Nach einem abschließenden Blick in das ehemalige Klassenzimmer führte der Ortsrundgang zum letzten Haltepunkt, dem Ratskeller.

Der Ratskeller am Markt 1 ist eines der ältesten historischen Gebäude Calvördes. Das Haus, in dem heute noch die Gaststätte besucht werden kann, war 1828 abgebrannt und neu aufgebaut worden. Von 1879 bis 1887 befand sich hier die Poststelle. Die Kutschen fuhren auf den Hof, auf dem die Stallungen für die Pferde waren, die später abgerissen wurden.

Christa Merker erzählte, dass ihre Schulfreundin Birgit Rieseberg, geborene Drohne, in diesem Gebäude ihre Kindheit verlebte. „Birgit erzählte mir, dass ihre Großeltern das Haus gekauft haben. Ihre Oma war gelernte Köchin und der Opa kellnerte. Nach dem Krieg hat Birgits Vater die Gaststätte übernommen. Russen und Amerikaner quartierten sich im Gebäude ein und die Familie Drohne musste zeitweise bei ihren Nachbarn, der Familie Kessler wohnen. Birgits Vater versorgte die Russen mit Essen und ist deshalb wahrscheinlich nicht enteignet worden“, erzählte die Vorsitzende.

Zu DDR-Zeiten befand sich in der oberen Etage ein großer Saal für Feiern und für die Fahrschule. Das Gebäude diente nicht nur als Restaurant, sondern auch als Hotel. „Nach dem Tod von Herrn Drohne führte seine Frau die Gaststätte weiter, verkaufte aber später das Anwesen an die Gemeinde, von der es Familie Gadau erwarb“, berichtete Christa Merker. Die neuen Eigentümer richteten sich im oberen Geschoss eine Wohnung ein. Alte Fotos und Gemälde schmücken die Wände in den Gastzimmern, die unter anderem historische Aufnahmen aus dem 19. Jahrhundert zeigen.

Der Heimatverein lud abschließend zu einem Imbiss ein. Noch lange wurde über Calvördes Vergangenheit diskutiert. „Wir bedanken uns bei den Familien Heinemann, Baake und Gadau für die Gastfreundschaft und ihren Beiträgen zum Gelingen dieses informativen Sonntagnachmittags“, sagte Christa Merker.